Interview mit Arnd Roszinsky-Terjung über "Selfseller"

"Gewinn für alle"

11. April 2019
von Christina Busse
Die Erfahrungen, die Independent-Verlage in ihren eigenen Buchhandlungen sammeln, können der gesamten Branche nutzen – meint Berater Arnd Roszinsky-Terjung im Interview.

Warum entscheiden sich immer mehr Indie-Verlage dafür, eigene Buchhandlungen zu eröffnen?
Dass kleinere Verlage sich zusammenschließen, um den Kunden gegenüber auf dem Markt Flagge zu zeigen, ist in der Tat ein relativ neues Phänomen – auch wenn es eine gewisse Erfahrung in Form von Vertriebskooperationen gibt, ganz abgesehen von der langen Tradition der Verlagsbuchhandlungen, die ja Vorläufer für das Sortiment in seiner heutigen Form waren. Die aktuelle Entwicklung ist sicherlich auf Social-Media-Aktivitäten zurückzuführen: Über die Kommunikation mit den Endkunden via Facebook und Instagram ist man auf den Geschmack gekommen, unmittelbarer mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Daraus haben Verlage den Mut geschöpft, auch auf Handelsebene direkt auf Kunden zuzugehen.

Erwächst dem Sortiment dadurch eine neue Konkurrenz?
Es gibt sicher Händler, die neue Angebote skeptisch beäugen. Doch natürlich hat niemand ein Alleinvertretungsrecht. Meiner Meinung nach sollte man das Ganze jenseits des Wettbewerbsgedankens betrachten: Jemand nimmt Geld in die Hand, um eine Idee umzusetzen. Die Erfahrungen daraus nutzen allen.

Die neuen Verlagsbuchhandlungen sind also ein Experiment, aus denen die ganze Branche Erkenntnisse ziehen kann?
Ich sehe solche Aktivitäten vor allem als hilfreich an. Wer neue Wege geht, um das Produkt an die Kunden zu bringen, schafft eine Bereicherung für die Branche. Man sollte dabei im Auge behalten, dass das Ganze unter Bedingungen stattfindet, die im »normalen« Rahmen nicht realisierbar wären. Ein Streiflicht auf die Wirtschaftlichkeit dieser Projekte werfen etwa die oft kürzeren Ladenöffnungszeiten.

Das Bücherbüffet in Karlsruhe und die Münchner Buchmacher sind Pop-up-Stores. Welche Chancen birgt das?
Diese Form ist eine gute Möglichkeit, auszuprobieren, ob sich eine längere Laufzeit und ein höherer Mietzins rentieren könnten. Die Bereitschaft, sich zu erproben, und die in Einkaufsstraßen sichtbaren Leerstände, die für die Besitzer eine Zwischennutzung sinnvoll werden lassen, gehen hierbei eine vernünftige Symbiose ein. Grundsätzlich sollte man allerdings in puncto Wirtschaftlichkeit gnädig sein mit sich selbst und Geduld beweisen: Da ist ein längerer Atem gefragt und ein Durchhaltevermögen, das über ein Jahr hinausreicht.

Nun steht für die Verlage dabei nicht unbedingt die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund …
Je mehr man es als "Experiment" begreift, desto mehr wird man die immateriellen Effekte schätzen. Es eröffnet sich eine neue Perspektive auf den Markt und man kann sich über den Verkauf der Titel aus anderen Verlagen besser selbst einschätzen. Der Erkenntnisgewinn durch das unmittelbare Feedback der Kunden ist ein großer Zugewinn. Wer aus dem Status des Einzelkämpfers heraustritt und sich öffnet, kann gestärkt weitergehen.

Was kann das angestammte Sortiment daraus mitnehmen?
Die Projekte zeigen, dass man den Fokus des Publikums erfolgreich lenken kann, indem man ein Angebot schafft, das ins Auge fällt. Es ist empfehlenswerter, Themen zu bündeln, als sehr breit zu streuen – etwa indem man ganz bewusst Kleinverlage aus der Region in den Vordergrund rückt.

Ihre Bilanz in Hinblick auf die Independent-Verlage, die sich der Herausforderung als Händler stellen?
Die Buchläden sind eine intelligente und hilfreiche Form für den eigenen Erkenntnisgewinn und um sich stärker in den Vordergrund zu spielen – und darüber auch den klassischen Handel auf sich aufmerksam zu machen.

Eine ausführliche Vorstellung dreier von Independent-Verlagen geführten Buchhandlungen finden Sie im aktuellen Heft 15 des Börsenblatts.