Die aktuelle Lage der Bahnhofsbuchhändler

Extras für mobile Kunden

11. April 2019
von Tamara Weise
Leiden die Tageszeitungen, geraten auch die Bahnhofsbuchhändler unter Druck – trotz hoher Frequenz und Fahrgastrekord sind ihre Umsätze 2018 gesunken. Mit digitalen Services wollen sie gegensteuern.

Über mangelnde Frequenz vor ihren Läden müssen sich Bahnhofsbuchhändler kaum Gedanken machen, wenn sie sich diese Woche in Berlin zu ihrer Jahrestagung treffen. Vergangenes Jahr erreichte die Zahl der Fahrgäste ein neues Allzeithoch: Allein im Fernverkehr waren 148 Millionen Menschen unterwegs, vier Prozent mehr als im Jahr zuvor – und die Kurve zeigt weiter nach oben. Bahnchef Richard Lutz rechnet damit, dass in diesem Jahr mehr als 150 Millionen bei ihm einsteigen, für 2030 liegt seine Zielmarke aktuell bei über 200 Millionen Reisenden im Fernverkehr. Das wäre ein Plus von rund 35 Prozent zu heute.
        
Für die Bahnhofsbuchhändler ist die Lage dennoch schwer einzuschätzen. Bahnhöfe sind im Einzelhandel keine Inseln. Das veränderte Leseverhalten, die Digitalisierung, Smartphones so weit das Auge reicht: Auch sie fragen sich, wie weit sie diesen Weg mitgehen – wie viel Service Kunden von ihnen in diesem Umfeld wollen und wie sie ihr Sortiment künftig ausbalancieren können.

Komplex wird die Sache nicht nur dadurch, dass sie attraktive Angebote für ihre mobilen, dauerdigitalen Kunden finden müssen, sondern auch dadurch, dass sie nur bedingt freie Hand dabei haben. Die Bahn, als Vermieter, gibt ihnen den Rahmen vor: 70 Prozent ihres Angebots müssen sie mit Gedrucktem bestreiten (Presseerzeugnisse, Bücher). So steht es nach wie vor im Vertrag. Der Idee, entstandene Umsatzlücken mit Zusatzsortimenten wie Spielen, Geschenkartikeln und Ähnlichem zu füllen, sind damit Grenzen gesetzt. Die Bahn rät ihnen: Investiert in Dienstleistungen.

Im Jahr 2018 setzten die Bahnhofsbuchhändler nach Angaben ihres Verbands (Verband Deutscher Bahnhofsbuchhändler/ VDBB; 17 Mitgliedsfirmen) brutto, gemessen an den Ladenpreisen, insgesamt 280 Millionen Euro um.

Da sie ihr Panel verändert haben, ist das Ergebnis mit jenen der Vorjahre nicht vergleichbar, sie sehen dennoch, dass sie sich im Minus bewegen – vor allem aufgrund der Auflagenrückgänge bei Tageszeitungen haben sie rund 3,9 Prozent weniger erwirtschaftet als noch 2017.

Torsten Löffler, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Dr. Eckert und aktuell zugleich zweiter Vorsitzender des VDBB, sieht die Branche angesichts dieser Entwicklung zwar herausgefordert, aber nicht wirklich in Bedrängnis. "Die Frequenz an Bahnhöfen ist hoch, jetzt müssen wir sie für uns umsetzen", sagt er. Welche Optionen die Händler ihm zufolge sehen, zeigen folgende Beispiele:

  • Digitalisierung. Webshops mit Verfügbarkeitsanzeige und Click & Collect-Service gehören laut Löffler bei den meisten zum Standard, dazu würden Bahnhofsbuchhändler ihr Angebot an digitalen Inhalten erweitern (Partner u. a.: Tolino, eKiosk) und in digitale Displays für die Läden investieren, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen; Stichwort: Digital Signage.
  • Flächenoptimierung. Eine durchschnittliche Bahnhofsbuchhandlung ist heute nach Informationen der Bahn gut 180 Quadratmeter groß. Auch da entdecken die Händler Potenzial, speziell bei Zeitungen und Zeitschriften. "Flächen zu optimieren, also auch zu verkleinern, das wird irgendwann kommen", sagt Löffler.
  • Zusatzsortimente. Presse verliert, die Buchumsätze – besonders mit Sachbüchern und Ratgebern – bleiben stabil. An einigen Standorten werde bereits darüber nachgedacht, die Buchabteilungen noch einmal zu vergrößern, erklärt Löffler. Zusatzsortimente eignen sich als Umsatzstütze und sollen die Angebote weiterhin ergänzen.

280 Mio. €
haben Bahnhofsbuchhändler 2018 umgesetzt (brutto), 3,9 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Probleme bereitet in erster Linie das Segment Presse – die Nachfrage nach Büchern bezeichnen die Händler als stabil (Anteil am Gesamtumsatz: ca. 30 Prozent). 

453 Verkaufsstellen betreiben die Bahnhofsbuchhändler derzeit bundesweit – an 318 Standorten. Geöffnet haben sie in der Regel mindestens 100 Stunden pro Woche. 


Bahnhofsbuchhandel: Top 4 nach Umsatz

Diese vier Bahnhofsbuchhändler teilen sich mittlerweile fast 90 Prozent des Marktvolumens:

  1. Valora Retail Deutschland: ca. 170 Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen (Marken: Presse & Buch; k presse + buch)
  2. Lagardère Travel Retail Deutschland: über alle Marken 160 Standorte (Bücher gibt es u. a. bei Relay und den Läden der Marke hub convenience)
  3. Schmitt & Hahn: ca. 90 Buchhandlungen (69 davon unter dem Namen Schmitt & Hahn Buch und Presse)
  4. Unternehmensgruppe Dr. Eckert: 110 Bahnhofsbuchhandlungen (Bücher haben Ludwig und Eckert; Läden insgesamt: mehr als 300)
Interview mit Torsten Thiel, Key-Account-Manager bei DB Station & Service

Immer mehr Leute fahren Bahn. Steigen damit auch die Umsätze der Einzelhändler am Gleis?
Da gibt es sicherlich Unterschiede zwischen den Branchen. Für die meisten Branchen und im Gesamtergebnis gehen die Umsätze nach oben. Kontinuierlich.

Welche Rolle spielt dabei der Bahnhofsbuchhandel?
Für uns als Vermieter ist er extrem wichtig. In jedem Bahnhof, in dem wir Nachfrage nach einer Bahnhofsbuchhandlung sehen und in denen ein wirtschaftlicher Betrieb möglich ist, werden wir gemeinsam mit unseren Mietern eine vorhalten. Trotz der schwierigen Situation der Branche – vor allem aufgrund des Auflagenrückgangs bei den Tageszeitungen – ist die Akzeptanz bei Reisenden und Besuchern nach wie vor sehr groß. Wir werden auf jeden Fall daran festhalten, sofern das auch die Bahnhofsbuchhändler wollen.

Unterstützen Sie sie dabei, entstandene Umsatzlücken durch den Verkauf von Zusatzsortimenten auszugleichen?
Die Händler haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich ihr Angebot erweitert, insbesondere in mittleren und kleinen Bahnhöfen ist der wirtschaftliche Druck dafür existenzieller als an den Topstandorten. Es ist den Bahnhofsbuchhändlern 2018 gelungen, insbesondere durch die gezielte und sorgfältig abgestimmte Erweiterung des Angebots an Zusatzsortimenten, den Gesamtumsatz zu stabilisieren – was uns natürlich freut. Zurück zu Ihrer Frage: Ja, wir begleiten diesen Prozess konstruktiv, können uns sogar noch mehr vorstellen. Wir denken da unter anderem an die Erweiterung von Dienstleistungsangeboten, die zu einem zusätzlichen Kundennutzen sowie zu Frequenzerhöhungen in den Buchhandlungen führen werden.

Wo sehen Sie da Chancen?
Ein Beispiel sind Post- und Paketdienst-leistungen in den Bahnhofsbuchhandlungen, deren Größe eine solche Dienstleistung ohne Reduzierung der Presseverkaufsfläche zulassen. Aufgrund der Schließung von Postfilialen erwächst aus diesem Angebot ein echter Mehrwert für unsere gemeinsamen Kunden.

Die Erweiterung um Zusatz­angebote hat also Grenzen?
Wir wollen und werden den Händlern helfen, aber wir müssen darauf achten, dass der Branchenmix erhalten bleibt, es darf nicht zu Kannibalisierungen kommen. Und wir haben die gemeinsame Verantwortung dafür, dass die Bahnhofsbuchhandlungen auch weiterhin Premium-Presseverkaufsstellen bleiben.