Kalendermacher über die Kunst, kommende Trends herauszufinden

Auf den Spuren des Zeitgeists

16. Mai 2019
von Stefan Hauck
Mehr als zwei Jahre, bevor ein Kalender erscheint, müssen die Verlage schon die kommenden Trends aufspüren: Wie geht das? Kalendermacher über Erfolge und Klippen in einem komplexen Markt.

"Ganz einfach: offen sein": Das ist für Julia Redemann, Herstellungsleiterin im Ackermann Kunstverlag die Zauberformel, um heute schon die Trends von übermorgen im Blick zu haben. Kalenderverlage müssen mindestens zwei Jahre im Voraus produzieren, das verlangt Gespür: Was im Mai 2019 geplant wird, darf auf dem Kalenderblatt Dezember 2021 nicht als gestrig empfunden werden. Die besten Ideen, meint Ackermann-Verlagsleiterin Nicole Roussey, "kommen im Leerlauf. Wir halten nichts von Kreativ­themen-Konferenzen, das ist meist nur Krampf. Wir schauen uns lieber um."


Umschauen – das bedeutet für Kalenderverleger: "scannen, welche Tenden­zen die Medien aufgreifen – die ganz klassisch gedruckten wie die digitalen", erläutert Julia Redemann. Da die Mitarbeiter gern reisen, sind auch Impulse aus anderen Ländern willkommen. "Sobald wir etwas sehen, was wir spannend finden, schlagen wir es vor." Ob Alltag, Einkauf, Hobby oder kreuz und quer durchs Netz surfen: Anregungen gibt es überall. "Ob etwas wirklich ein Trend wird, ist ja nur schwer vorhersehbar – aber wir können etwas visuell so interessant finden, dass wir denken, dass es auch andere neugierig macht", erklärt Redemann.

"Das Wichtigste ist, immer und überall neugierig zu sein": So beschreiben Korsch-Verlagsleiterin Andrea Röder und ihr Redaktionsteam das Rezept, um Trends aufzuspüren. "Wir sind ununterbrochen auf der Suche nach neuen Ideen und Impulsen", meint Röder und nennt das Internet und Ausstellungsbesuche als "nicht wegzudenkende Inspirationsquellen. Diese Impulse werden dann in einem kreativen Prozess weiterent­wickelt – unter Berücksichtigung der inhaltlichen und produktionstechnischen Umsetzbarkeit."

"Fingerspitzengefühl" ist für Anette Philippen, Geschäftsführerin des Dumont Kalenderverlags, ein weiterer wichtiger Punkt, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet: "Denn die Wandkalenderthemen sind eher konservativ." Deshalb reicht es nicht, wenn bestimmte Themen nur in der Luft liegen; sie müssen bereits in bestimmte Produkt- und Käufergruppen "hineingesickert" sein, meint Philippen und nennt ein Beispiel: "Sehr überspitzt formuliert: Wenn die Eule bei Aldi auf der Bettwäsche zu sehen ist, taugt sie auch als Trendtier für Kalender." Das Thema Bienen etwa hatte Dumont 2015 zu früh auf dem Markt, "die Imkerei startete damals im Ratgeberbereich, wir haben darauf den Kalender klassisch mit Rezepten, Tipps zum Selbstimkern und Infos rund um die Biene angereichert". Die Mühe war umsonst, der Titel hat nicht funktioniert. Zwei Jahre später erhielt Piotr Socha für sein illustriertes Sachbuch "Bienen" (Gerstenberg) den Jugendliteraturpreis, Dumont kooperierte und brachte 2018 den Kalender dazu heraus: "Der hat sich hervorragend verkauft und erhielt den Kalenderpreis der Frankfurter Buchmesse."

Dass Kalender zunächst ein inhaltliches Produkt sind – daran erinnert Heye-­Redaktionsleiterin Sibylle Lehmann: "Deshalb beobachten wir den Buchmarkt, insbesondere den Geschenkbuchmarkt – denn der Anlass, ein Geschenkbuch zu kaufen, kann sehr gut auch der Anlass für einen zu verschenkenden Kalender sein." Die Kalendermacher sprechen mit den Buchverlagen, sie sondieren, aber nicht jedes Buch­thema reüssiert an der Wand: "Vegan mag ein Trend gewesen sein, aber der vegane Spitzenkoch funktionierte als Kalender nicht wirklich", urteilt Anette Philippen. Dabei stehen Kochkalender durchaus in Konkurrenz zum Buch: "Gegenüber den Kochbüchern mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis reicht ein Kalender mit zwölf Bildern und Rezepten nicht mehr aus", weiß Philippen.

Fast alle Programmmacher besuchen die einschlägigen Messen, die Einblick in unterschiedliche Lebensbereiche geben: die Ambiente, TrendSet, Paperworld ... "Da sieht man die Trends, die sich ­abzeichnen", berichtet Lehmann, "der Typografie-Trend etwa hat sich vorher schon deutlich im Postkartenbereich abgezeichnet." Aber, betont sie, man müsse die Messen "regelmäßig abklappern – nur so kann man die Veränderungen erkennen". Derzeit läuft in der Typografie die Farbkombination Schwarz-Weiß-Gold sehr gut. Dabei stellen sich die Kalendermacher immer die Frage, worauf sie mehr Wert legen sollen: auf den launigen Spruch oder die visuelle Lösung? Bei Heyes Typokalender "typealive" mit der heraushängenden Zunge auf dem Cover etwa hat das Bild im Vordergrund gestanden, bei anderen ist es ein frecher Satz. "Schließlich muss der Käufer bereit sein, sich einen Spruch wie 'Zur Realität pflege ich nur ganz sporadisch Kontakt' einen Monat lang anzuschauen", meint Lehmann. Dieses Kunststück kann durchaus gelingen, meint Anette Philippen von Dumont, die den Trend mit dem Bestseller "Funi-Typokalender" früh besetzt hatte und ihn im Großformat bis heute erfolgreich bedient.

Da es unter dem Strich aber nur in wenigen Fällen glückt, gehen die Verleger in diesem Segment eher zum Wochenkalendertypus über, meist zum mittleren Wandkalenderformat unter 20 Euro, noch kleinere eignen sich dann als schönes Mitbringsel. "Beim Sprüchemarkt kommen wir jetzt in eine Übersättigungsphase", beobachtet Kollegin Roussey.

Eine zentrale Rolle bei der Kalendergestaltung spielen die Farben: Was wird in zwei Jahren noch in sein – und was schon out? Ein Indikator ist die Firma Pantone, Marktführer im Segment der Farbkommunikation, die Farbtrends genau beobachtet und "The Colour of the Year" und Ähnliches kürt. Ein anderer Indikator ist die Kosmetik-, Design- und Modebranche: "Wir fragen bei Textil­ketten gezielt nach, auf welche Farben sie setzen", erläutert Alpha-Edition-Verlagsleiter Kai Dombrowski, "vor allem bei den Accessoires. Denn diese Farben werden dann auch produziert und auf den Markt gebracht." Dunkelblau und Dunkelrot funktioniere immer, "dann kommen trendige Farben oben drauf – es ist trotz intensiver Meinungsrecherche nicht immer einfach vorherzusehen, denn die Produkte haben ihr Verfallsdatum". So kommt es, dass Pastellgrün gut laufen kann, während ein kräftiges Rosa, anders als gedacht, keine Abnehmer findet.

Anette Philippen ergänzt, dass auch Wohnwelten und Dekorationsgegenstände im Hinblick auf Farbigkeit und Materialien wichtige Indikatoren sind. Denn Kalender werden nun mal in den Lebenswelten der Menschen präsentiert. So findet sich gerade Kupfer als angesagtes Material in Veredelungen und Spiralfarben wieder.

Was auf jeden Fall ein Trend ist: die aus dem angloamerikanischen Raum kommenden Kalenderbücher im mittleren Preissegment von 25 Euro. "Wir haben im vergangenen Jahr mit illustratorisch aufwendigen Spiralkalendern begonnen, sorgfältig durchkonzipiert, angereichert durch Sammellaschen und Klebesticker zum Markieren von Terminen, und die laufen bestens", sagt Lehmann. In der Tat: Mehr und mehr sieht man auch auf den Messen in der Kreativbranche, wie das Aufschlagen dieser Kalender zelebriert wird – ein Statement im Zeitalter der Digitalisierung. Gegenüber Smartphone & Co. verschaffen die Notizkalendarien "einen guten Überblick – und wenn ich mit der eigenen Handschrift etwas festhalte, wird es ganz anders im Gedächtnis verankert", weiß nicht nur Sibylle Lehmann.

Trends aufzuspüren, ist eine Sache. Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, welcher Trend bleibt – zumindest die nächs­ten zwei Jahre. Die Ausmalwelle etwa hat den Kalendermarkt nur kurz touchiert, erinnert sich Anette Philippen: "Wir sind rechtzeitig ein- und wieder ausgestiegen – im zweiten Jahrgang wären wir auf dem Ausmalkalender sitzengeblieben. So haben wir den Trend gut mitgenommen." Und wenn schließlich alle auf den Trend aufspringen und wie wild produzieren, "dann wird versucht, die Nachfrage über den Preis zu regeln", sagt Roussey.

Dreht sich das Trendkarussell bei Kalendern im Internetzeitalter eigentlich schneller? Das verneinen fast alle Kalenderverleger. Trends auf Instagram und Facebook sind zwar sehr kurzlebig, aber optisch ohnehin schwer umsetzbar – "der Großteil der Kalenderkäufer ist nun mal im gehobenen Alter", rückt Julia Redemann von Ackermann die Vorstellung von der permanenten Veränderung zurecht.

"Oft wird auch krampfhaft nach einem Trend gesucht", ergänzt Alpha-Geschäftsführer Kai Dombrowski. Die legendäre Eule als Kalendertier etwa hat mit Blick auf die verkauften Mengen bis heute keine richtige Nachfolgerin gefunden; weder Fuchs noch Eichhörnchen noch Flamingo können ihr auflagen­mäßig das Wasser reichen. "Der Trend zur heimischen Tierwelt hält zwar an, der Wald ist angesagt, aber die Kalenderwelt folgt eigenen Regeln, und anderen als die Bücherwelt", so Dombrowski. Vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzbemühungen werden sich Wald- und Naturthemen noch länger halten, prognostiziert Nicole Roussey.

Statt genauester Marktbeobachtung und Trendanalyse: Kann man denn selbst Trends setzen? "Das ist gewagt", resümiert Roussey, "weil zwei Jahre einfach ein zu großer Zeitraum sind." Ab und an wagen die Verlage deshalb Schnellschüsse wie Heye mit dem "Wir retten die Bienen!"-Kalender. "Von der Entscheidung bis zur Produktion haben wir sechs Wochen gebraucht", sagt Redaktionsleiterin Sibylle Lehmann. "Für solche Hot Shots wählen wir Formate, die schnell produzierbar sind, wie Postkartenkalender, die im niedrigpreisigen Bereich zudem risikoärmer sind."

Etabliert sich ein Thema? Wird es bleiben und das Kalenderjahr überleben? "Letztlich sammeln wir überall Indizien und schauen, wie sich ein Thema ent­wickelt", meint Sybille Lehmann, die wie die anderen Kalendermacher gedanklich schon längst im Jahr 2021 ist. Was dabei aber unbedingt nötig ist: "Um Trends für die Kalender von morgen aufzuspüren und zu setzen, ist auch immer eine Portion Mut notwendig", erklärt Korsch-Verlagsleiterin Andrea Röder, "und eine Geschäftsführung, die ihren Mitarbeitern die notwendigen kreativen Freiräume für innovative Ideen schafft."

Mehr zum Thema Kalender finden Sie im Kalender-Spezial der Printausgabe 20/2019 des Börsenblatts.