Jahrestagung von LG Buch und IGUS in Bremen

Strategisch denken

26. Mai 2019
von Börsenblatt
Die LG Buch machte am Freitag den Auftakt, am Samstag kam die IG Unabhängiges Sortiment dazu: 170 Teilnehmer trafen sich in Bremen zu einer äußerst lebendigen Tagung, die eine breite Themenpalette von Wertermittlung einer Buchhandlung über Aktionsideen und Logistik bis zu Notfallplänen enthielt und heute zu Ende geht.

Eine Stimmung zog sich durch die 20 Programmpunkte der Tagung und die vielen Gespräche: Die Schwarzmalerei in puncto Buch und Buchhandlungen hatten die Sortimenter gründlich satt. „Kunden wissen unsere Arbeit wertzuschätzen, Verlage sind aufgeschlossener, sind offener für Ideen aus dem Handel“, stellte Iris Hunscheid, Vorsitzende des IGUS-Sprecherkreises, fest. Wie wichtig eine solch positive Stimmung auch im Laden ist, machte Betriebsberater Jörg Winter deutlich: „Wo kaufen Kunden lieber: In einer Buchhandlung, in der die Mitarbeiter mürrisch und griesgrämig vor sich hinarbeiten, oder in einem Buchladen, in dem die gute Stimmung der Mitarbeiter spürbar ist?“ Eine der Ursachen für abträgliche negative Stimmungen: „Die Buchbranche verkauft sich dramatisch unter Wert“, sagte Winter unter Applaus der 170 Teilnehmer in Bremen, „Verlage und Buchhandlungen tun so viel für das Buch, es gibt eine ausgefeilte Logistik usw.: Darauf können Sie und ihre Mitarbeiter stolz sein!“ Wenn aber selbst Stammkunden nicht wüssten, dass man über Nacht Bücher bekommen kann, werde klar, dass es Kommunikationsbedarf gebe.

Worin der Wert einer Buchhandlung besteht

Winter hatte sich auch eines komplexen Themas angenommen, das im Sortimenteralltag oft beiseite geschoben wird: dass man den Verkauf einer Buchhandlung sehr langfristig vorbereiten muss. Was können die Buchhändlerinnen tun, um die Buchhandlung für mögliche Käufer attraktiv zu machen? lautete Winters Ausgangsfrage. Hier sei es entscheidend, strategisch zu denken.

Im Detail: Für was zahlt der Käufer? Für die recht klar zu beziffernde Ware, das Inventar (meistens abgeschrieben und buchhalterisch nichts mehr wert) und den eigentlichen Wert des Unternehmens. Der hängt davon ab, wie das Unternehmen geführt wurde: „Das Zutrauen des Käufers wächst, wenn sich die wirtschaftlichen Daten nachweislich verbessern – bloß haben viele Sortimenter keine Datensicherheit“, so Betriebsberater Jörg Winter. Seine Anregungen zur Umsatzsteigerung notierten sich auch die Jüngeren eifrig mit, etwa die der Buchhandlung Bellini in Stäfa , die ihr Schaufenster geöffnet hat: Die Kunden können in den Laden schauen, es wirkt einladend und erhöht deutlich die Kundenfrequenz.

„Warten Sie nicht, dass Kunden zufällig kommen, sondern schaffen Sie Kaufanlässe, die Barkunden in den Laden ziehen und potenzielle Kunden, die noch nie im Laden waren“: Das sei heute wichtiger denn je. „Erfolgreich ist, wer Regeln bricht – wenn Sie nur das tun, was alle anderen auch machen, sorgt das für wenig Aufmerksamkeit.“ Dazu gehöre der Mut, Ideen auszuprobieren, etwa Bücher über WhatsApp verkaufen, und nicht gleich zu sagen, „Ach, das geht vermutlich doch nicht“. Und was eben oft viel zu wenig bedacht wird: Wie fröhlich, wie positiv ist die Ausstrahlung der Mitarbeiter. „Ein Käufer interessiert sich für eine stabile Kundenbeziehung“ – in vielen Läden drehe es sich aber nur noch um interne Prozesse und Abläufe, die nicht mehr den Kunden in den Mittelpunkt stellen. Wie die Mitarbeiter arbeiten – das habe fast immer etwas mit der Führung und Unternehmenskultur des Inhabers zu tun, legte Winter den Finger in eine den Sortimentern offenbar recht bewussten Wunde. Die Mitarbeiter, ihre Kompetenz, ihre Ausstrahlung, all das habe entscheidenden Anteil am Wert der Buchhandlung. „Es geht immer um Menschen – Bücher und Dienstleistungen sind das Vehikel“.

Gibt es ein Leben außerhalb der Buchhandlung?

Der Hamburger Betriebsberater wies noch auf einen weiteren für die Betroffenen meist heiklen Punkt hin: zu bedenken, dass das eigene Unternehmen das eigene Leben so intensiv ausfüllt, auch mit Ehrenämtern etc., dass nach dem Verkauf eine riesige Lücke entsteht. „Gibt es ein Leben neben der Buchhandlung?“ Ähnlich sah es auch Wirtschaftsmediator Holger Reichert, der über Vorbereitungen für den Notfall referierte: „Die Menschen können nicht loslassen – oft, weil sie nichts anderes haben“, sagte Reichert und zitierte den Satz „So groß ist mein Garten nicht, dass ich ihn ständig mähen könnte“.

Jörg Winter umriss fünf Schritte auf dem Weg zum erfolgreichen Verkauf:

  1. Wie lange möchte ich den Laden noch haben?
  2. Wie will ich dieses Zeitfenster gestalten? Wie wäre es, wenn es „richtig schön“ wäre? Wenn ich um 19 Uhr schon zu Hause wäre? Was müsste da passieren, um es zu realisieren?
  3. Was stört? Welche Entscheidungen müssten getroffen werden? Das größte Defizit: Wenn es emotional wird, werden keine Entscheidungen getroffen. Mangelnde Kommunikation ist ein großes Dilemma.
  4. Wie sorge ich für Datensicherheit?
  5. Wie baue ich ein Umfeld auf, wo man an das, was man tut, auch glaubt – und nicht ständig zweifelt. Entscheidend ist zu vermitteln: „Bücher kann man überall kaufen – aber in der Buchhandlung kriegen Sie uns noch dazu“, so der Satz einer Buchhändlerin. Wenig hilfreich sei es auch, in die permanente Kritik zu verfallen – statt dessen sollte man lieber an die positiven Dinge erinnern, wie es Robert Duchstein in der Buchhandlung Reuffel tut: „Was ist uns in dieser Woche gelungen?“

 

Die 37. AkS/IGUS-Tagung und 24. LG Buch-Tagung war zugleich die dritte gemeinsame Tagung, und was dort traditionell nicht fehlen durfte, waren Praxisbeispiele aus dem Alltag. Gertrud Selzer, mit Ingrid Röder Inhaberin der Roten Zora in Merzig, berichtete von zwei Aktionen:

Pippi plündert den Weihnachtsbaum

Vor der Buchhandlung steht ein von der Stadt aufgestellter Weihnachtsbaum, um den sich nach Weihnachten Kinder versammeln. Die Kinder stehen um den Baum (selbst bei Regen), es wird eine Geschichte vorgelesen, Kakao serviert (der in der Geschichte ein Rolle spielt), gesungen. Ein Mädchen wird als Pippi Langstrumpf verkleidet, sie wird interviewt und verteilt Buchgeschenke – der Baum wird wegen der Standfestigkeit nicht wirklich erklommen. Rund 120 Kinder kommen, dazu die Eltern. „Das ist eine unserer beliebtesten Aktionen – vielleicht, weil sie so einfach ist“, resümierte Selzer.

Bücher am Beckenrand

Auf die Buchhandlung kam das Hallenbad zu, das gerne noch andere Badegäste mit einer Aktion ins Schwimmbad holen wollte. Die Buchhandlung holte einen Autor zur Lesung, stellte aber anschließend fest: „Die Textstellen waren zu lang für die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer, und ich hätte moderieren sollen, die Geräuschkulisse im Bad war sehr laut – das habe ich unterschätzt“, meinte Selzer. Und wie macht man einen Büchertisch im Bad, wo die Leute kein Geld in Badehose oder Bikini haben? „Die Bücher wurden in der Schwimmhalle signiert und dann am Ausgang für die Käufer bereitgehalten“, nannte Selzer die Lösung.

 

Zusammenarbeit mit Kindergärten

Über das neue Gütesiegel Buchkindergarten berichtete Irmgard Clausen, Vorsitzende der IG Leseförderung. Das seit 4. Februar laufende Projekt soll Aufmerksamkeit auf die Kindergärten lenken, in denen vorgelesen wird, in denen aktive Sprachförderung geschieht, in denen Bilderbücher uneingeschränkt zur Verfügung stehen – und die mit Buchhandlungen zusammenarbeiten. „Wir haben bislang 500 Einsendungen von Kindergärten – dass es so viele Bewerbungen geben würden, hätten wir nie gedacht“, zog Clausen Bilanz; Einsendeschluss ist der 31. Mai. Die Chance, dass dieses kleine Projekt Früchte trägt, dass Bücher als etwas zutiefst Sympathisches von den Kindern empfunden werden, ist groß“, sagte Clausen und zitierte einen Satz von Astrid Lindgren: „Ihr müsst dem Kind den Weg zum Buch weisen – denn wenn es den Weg als Kind nicht findet, findet es ihn nie.“