Sieben Hoffnungen für das Krimigenre

Spannungsgeladen

28. Mai 2019
von Börsenblatt
Debüts, die überraschen, Plots, die faszinieren: sieben Autorinnen und Autoren, die dem deutschsprachigen Krimi neue Impulse geben.

Die deutschsprachige Krimi­szene ist erstaunlich lebendig. Davon profitieren auch die Publikumsverlage, die in ihren Programmen zahlreiche Neuzugänge präsentieren können. Oft sind es Autorinnen und Autoren, die über einen anderen beruflichen Background verfügen, ob als Rallye­fahrerin oder Barbetreiberin.

Achim Zons

Mitten ins nahöstliche Herz der Finsternis, das Regime Baschar-al-Assads und seine geheimen Folterzentren, trifft der zweite Politthriller von Achim Zons bei C. H. Beck, "Beim Schrei des Falken" (Juli, 430 S., 16,95 Euro). In Damaskus wird der Leibarzt des Diktators erschossen, aber auch der Anführer der syrischen Opposition fällt einem Attentat zum Opfer. In beiden Fällen hielt sich der deutsche Journalist David Jakubowicz in der Nähe der Tatorte auf. Als Tilda Hansson, Leiterin einer Anti-Terror-Abteilung des BND, Nachforschungen anstellt, findet sie Jakubowicz in einer Klinik in der Schweiz und versucht, ihm Wissen über die Hintergründe der Anschläge zu entlocken. Noch bevor sie der Wahrheit näherkommt, geschieht in der Schweiz das dritte Attentat.

Achim Zons kann nicht nur auf eine lange journalistische Karriere zurückblicken, sondern kennt sich als Drehbuchautor von Fernsehspielen und Krimis mit der Dramaturgie von Spannungsplots bestens aus.

Susanne Saygin

Eine Autorin, die nicht jedes Jahr einen neuen Thriller schreiben wird, weil sie bereits für ihr Debüt fünf Jahre recherchiert hat, ist Susanne Saygin, promovierte Historikerin und Projektmanagerin. Man sollte sie sich unbedingt merken. Ihr Thriller "Feinde" (Heyne, ­352 S., 12,99 Euro), im September 2018, gehört in jede gut sortierte Buchhandlung. Der Held von Saygins Roman, der deutsch-türkische Polizist Can, wird mit einem Doppelmord im Kölner Sinti-und-Roma-Milieu konfrontiert. Was mit einem Tötungsdelikt beginnt, weitet sich schnell zu einem komplexen Fall aus, in dem es auch um Korruption und Menschenhandel geht. Temporeich und atmosphärisch dicht erzählt.

Judith Merchant

Ein neues Thrillertalent "von internationalem Format", so die Vorschau, schickt Kiepenheuer & Witsch im Spätsommer ins Rennen: Judith Merchant, die bereits zweimal einen "Glauser" für Kurzgeschichten bekommen hat. Auch als Krimiautorin ist Merchant, die Creative Writing an der Universität Bonn unterrichtet, kein unbeschriebenes Blatt. Sie hat bereits mehrere Rheinkrimis veröffent­licht – darunter "Nibelungenmord" und "Loreley singt nicht mehr" (beide Knaur). "Atme!" (August, ca. 384 S., 15 Euro) lautet der Titel ihres ersten Thrillers bei Kiepenheuer & Witsch – ein Imperativ, den auch die Leser befolgen sollten, denn die in der Vorschau skizzierte Handlung könnte ihnen den Atem stocken lassen: Der noch verheiratete Ben, Niles große Liebe, verschwindet spurlos. Nile muss, um ihn zu finden, mit seiner Ex-Frau Flo kooperieren. Doch weder ihr noch Ben kann sie trauen. Und vielleicht ist Nile ja selbst die gejagte Beute.

Nienke Jos

Die Abgründe eines vertrauten Menschen kennenzulernen – das hat etwas Verstörendes. Das bisherige Bild des normalen Menschen deckt sich nicht mit dem Bild des Psychopathen, das dahinter zum Vorschein kommt. Für die Rallye- und Motorradfahrerin Nienke Jos war dies die Inspiration für ihr Thrillerduo "Die Einsamkeit der Schuldigen", dessen zweiter Teil "Der Abgrund" demnächst im Gmeiner Verlag erscheint (Juni, 508 S., 16 Euro). Ihr Debüt mit Teil 1 ("Das Verlies") wurde auch im Buchhandel begeistert aufgenommen. Die Autorin, die in ihrer Freizeit Klavier und Akkordeon spielt sowie Cartoons zeichnet, lebt nach einem längeren Auslandsaufenthalt heute in Wiesbaden.

Johannes Groschupf

Der aktuelle Romanheld des Autors heißt Noack und arbeitet als Online­redakteur im Newsroom einer großen Berliner Tageszeitung. Die Zeit: nach der Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge im Herbst 2015. Sein Job: Content-Moderation, das heißt, Kommentare freischalten oder löschen. Wenn er morgens seinen Computer hochfährt, überschwemmen Hassmails den Bildschirm. Unflätigste Beschimpfungen, Gewaltausbrüche, Morddrohungen. Der 44-jährige Journalist bleibt nicht resistent und gleitet allmählich – wie sein Chef Kottwitz – in die fremdenfeindliche Szene von Preppern und Reichsbürgern ab. Prepper sind Menschen, die im ständigen Katastrophenmodus leben, Vorräte für den Notfall anlegen und Waffen horten. Als es während des heißen Sommers zu Unruhen und offener Anarchie kommt, merkt Noack, dass er im falschen Milieu gelandet ist.

Johannes Groschupf, der bis zu einem Hubschrauberabsturz 1994 in der Sahara vor allem als Reisejournalist tätig war, taucht in seinem Roman tief in die Gefühlswelt derjenigen ein, die sich abgehängt und von der Politik im Stich gelassen fühlen. Die Sprache der Dialoge ist brutal, schmerzhaft, gnadenlos – gespeist von einer Wut, die nicht bei Hinrichtungsfantasien stehenbleibt. Das ist unheimlich und zugleich unheimlich real. Ein spannender Gesellschaftsthriller, der unter die Haut geht und im selben Moment ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt ("Berlin Prepper", Suhrkamp, 238 S., 14,95 Euro).

Kerstin Ehmer

Wer wie Kerstin Ehmer viele Jahre als Mode- und Porträtfotografin gearbeitet hat und zudem seit 2003 die legendäre Victoria Bar in Berlin mitbetreibt, bringt beste Voraussetzungen für das Krimischreiben mit. Wie sie ihre Protagonisten zeichnet, wie sie Bilder evoziert und Stimmungen erzeugt – das hat eine große Unmittelbarkeit. Dazu kommt das schnoddrige, manchmal rotzige Idiom, das den typisch nassforschen Berliner Charme ausmacht.

Nach dem erfolgreichen ersten Roman "Der weiße Affe" (inzwischen in dritter Auflage), der das Berlin der Weimarer Zeit in ganz anderer Weise erschließt als die Bücher Volker Kutschers, kommt im August der zweite Band, "Die schwarze Fee" (Pendragon, 376 S., 18 Euro). Kommissar Ariel Spiro muss wegen zweier Giftmorde im russischen Milieu ermitteln – unter Emigranten, die vor der sowjetischen Geheimpolizei nach Berlin geflohen sind. Ein zeitgeschichtlicher Krimi, der die aufgewühlte und gewaltsame Situation der 20er Jahre schildert.

Alex Beer

Schon für ihren zweiten Roman über Kriminalinspektor August Emmerich ("Der zweite Reiter") ist die in Bregenz geborene österreichische Autorin und studierte Archäologin Alex Beer 2017 mit dem renommierten Leo-Perutz-Preis ausgezeichnet worden. Die Jury lobte das Buch als "ein Kunststück der Stimmungsmalerei, das Wien in einem düsteren, aber faszinierenden Licht neu erstrahlen lässt". Der dritte Fall für Emmerich ereignet sich im November 1920. Eine vorzeitige Kältewelle im Herbst hat die Ernte zunichtegemacht, die Arbeitslosigkeit grassiert, die organisierte Kriminalität prosperiert – und inmitten des Elends erschüttert eine Mordserie die Stadt. Die Leichen sind so grauenvoll zugerichtet, als ob sie dem Eistod in Dantes "Inferno" entsprungen wären. Der Täter scheint ein Rächer zu sein, der andere, die gegen das Gesetz verstoßen haben, zur Rechenschaft zieht. Seine Bekennerschreiben unterzeichnet er mit "666", der Teufelszahl ("Der dunkle Bote. Ein Fall für August Emmerich", Limes, 400 S., 20 Euro).