Interview mit der designierten Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs

"Ich werde bei Heinrich Riethmüller in die Lehre gehen"

21. Juni 2019
von Börsenblatt
Die Mainzer Verlegerin, am 19. Juni bei den Buchtagen Berlin frisch an die Spitze des Börsenvereins gewählt, will eine Vorsteherin für alle sein – und sieht die nächsten Monate als verkürzte Ausbildungszeit fürs neue Amt. Ein Interview über Kämpfen und Feiern, über Quotenfrauen und den Samstagsverkauf auf der Frankfurter Buchmesse.

Haben Sie Ihren Wahlerfolg am Mittwoch (mehr dazu hier und hier) noch ein bisschen gefeiert?
Natürlich! Wer kämpft, muss auch feiern. Mit einer bunten Runde aus Freunden, mit meiner Tochter und meinem Mann, der gerade 60 geworden ist, habe ich den Wahltag in der Berliner "Paris Bar" ausklingen lassen. Das war ohnehin geplant – aber jetzt hatten wir gleich doppelten Grund zum Feiern.

Hätten Sie nach dem Wahlkampf gedacht, dass Sie durch die Ziellinie laufen?
Ich bin nur mit einem einzigen Ziel nach Berlin gefahren: als faire und anständige Verliererin vom Platz zu gehen. Jetzt ist es anders gekommen und der Wahlkampf für mich kein Thema mehr. Ich habe mich wirklich sehr über die herzlichen Glückwünsche von Stefan Könemann gefreut, Eckhard Südmersen hat mich zu Libri eingeladen. Es geht mir nun vor allem darum, die Branche zu einen. Denn mir ist bewusst, dass mich 500 Kolleginnen und Kollegen gewählt haben, 443 jedoch lieber Stefan Könemann im Vorsteher-Amt gesehen hätten. Meine Aufgabe ist es, diese Mitglieder ab dem 26. Oktober durch meine Arbeit zu überzeugen, ebenso wie alle anderen.

Sie übernehmen das Vorsteher-Amt von Heinrich Riethmüller. Werden Sie ihm bis zum offiziellen Beginn Ihrer Amtszeit nach der Frankfurter Buchmesse schon mal über die Schulter schauen?
Heinrich Riethmüller ist ein sehr, sehr guter Vorsteher, von dem ich viel lernen kann. Bei ihm gehe ich jetzt in die Lehre, wir werden uns Anfang Juli treffen. Am 24. September werde ich dann zum ersten Mal als Gast an einer Vorstandssitzung teilnehmen und vorher schon versuchen, in vieles hineinzuschnuppern – soweit es möglich ist. Vor mir liegt gewissermaßen eine verkürzte Ausbildungszeit.

In 194 Jahren Verbandsgeschichte sind Sie die zweite Frau an der Spitze des Börsenvereins. Spielt das für Sie eine Rolle?

Ich will keine Quotenfrau sein und habe mich auch nie so verstanden. Aber in den vergangenen Monaten habe ich gemerkt, dass viele Frauen in der Branche Hoffnungen in mich setzen. Dass ich als Frau das Vorsteher-Amt übernehme, mag für mich keine Rolle spielen – in der Außenwahrnehmung jedoch ist das anders. Nachdenklich wurde ich, als sich im Vorfeld der Wahl Dorothee Hess-Maier bei mir gemeldet hat, die den Börsenverein ja von 1989 bis 1992 als erste Vorsteherin geführt hat: Sie ist in diesem Jahr zur Hauptversammlung gekommen, hat an mich geglaubt und wollte hinterher mit mir anstoßen. Nicht zuletzt das zeigt mir: Eine Frau in dieser Position – das ist offenbar doch noch etwas Besonderes.

Vor welcher Aufgabe im neuen Amt haben Sie am meisten Respekt?
Davor, dass ich das gesamte Kaleidoskop an Themen und Perspektiven in der Branche erst noch besser kennenlernen muss. Natürlich kann ich auf meinen eigenen Erfahrungsschatz als Verlegerin zurückgreifen, aber die Probleme eines international aktiven Fachverlags wie Thieme oder Elsevier zum Beispiel kenne ich nicht. Das Gleiche gilt in Teilen für den Buchhandel und den Zwischenbuchhandel. Ich brauche Unterstützung von außen und bin im Moment dabei, mir ein beratendes Team aus Kollegen zusammenstellen, die ich mit charmanter Impertinenz befragen darf – auch außerhalb vom engeren Vorstandskreis.

Klein gegen groß oder Buchhandel gegen Verlage: Wo sehen Sie bei Interessenskonflikten den größten Sprengstoff für den Verband?
Alle vier Ebenen bilden die Hölle der Matrix-Organisation.... Aber im Ernst: Ich denke, dass bei Verlagen das Verhältnis zwischen Konzernen auf der einen und Independents auf der anderen Seite nur indirekt eine Rolle spielt. Das ist im Buchhandel anders. Viele kleine, unabhängige Sortimente haben Angst. Vor den großen Filialisten und Online-Händlern und ums wirtschaftliche Überleben. Für Sprengstoff sorgt hier vor allem der Konzentrationsprozess – während Konflikte zwischen den Sparten eher durch die Digitalisierung und neue Vertriebswege entstehen. So oder so kann ich eines versprechen: Ich werde eine Vorsteherin für alle sein.

Ein Dauerkonflikt zwischen den Sparten war auch Thema bei den Buchtagen: Der Samstagsverkauf auf der Frankfurter Buchmesse. Haben Sie eine Haltung dazu?
Ich leite einen kleinen Verlag. Und ich glaube nicht, dass der Messeerfolg wirklich davon abhängt, ob man in Frankfurt Bücher verkauft oder nicht. Da hätte ich erst einmal viele andere Anregungen an die Messe, die für mein Geschäft wichtig sind. Aber wir alle müssen uns immer wieder klar machen: Es geht beim Messeverkauf überhaupt nicht um unsere eigenen Befindlichkeiten als Buchhändler und Verleger, so nachvollziehbar sie auch sein mögen - sondern einzig und allein um den Kunden. Ihn lassen wir im Moment vor dem Schaufenster stehen und leckere Törtchen anschauen, die er nicht kaufen kann. Und weil wir seine Wünsche nicht ernst nehmen, zückt er sein Handy, um mobil bei Amazon zu bestellen. Wir müssen Kundenversteher werden, keine Kundenerzieher. Genau das hat uns ja auch die Studie „Buchkäufer – quo vadis?“ sehr deutlich gezeigt.

Die Buchkäufer-Studie zieht viele Kreise: Ende Juni entscheidet der amtierende Vorstand über eine mögliche Neuausrichtung der Image-Kampagne "Jetzt ein Buch!". Wären Sie als Marketingfachfrau gern dabei?
Oh ja, es gibt zwei aktuelle Aufgaben, um die ich Heinrich Riethmüller beneide: die Rede bei der diesjährigen Friedenspreisverleihung an Sebastião Salgado, die er als amtierender Vorsteher ja noch halten wird, und den Neustart der Image-Kampagne. Aber: Natürlich gönne ich ihm beides von Herzen, ich bin ja noch nicht im Amt. Was ich anbiete, ist ein Bereitschaftsdienst: Wenn mein Rat gewünscht und gebraucht wird, dann bin ich zur Stelle.

Das Nachwuchsparlament des Börsenvereins hat in Berlin mehr Mitspracherecht gefordert – und will bei der Hauptversammlung nicht erst am Ende der Tagesordnung zu Wort kommen. Hat der Nachwuchs hier Rückendeckung von der designierten Vorsteherin?
Auf der Hauptversammlung wurde gefragt, warum wir externe Redner zu den Buchtagen einladen, die uns vom Nutzerverhalten der Digital Natives erzählen - wenn doch unsere Nachwuchskräfte genau diese Expertise mitbringen. Das ist ein Argument mit hundertprozentiger Durchschlagskraft. Ich bin deshalb unbedingt dafür, den Branchennachwuchs stärker einzubinden, bei der Programmplanung und tatsächlich auch auf der Kongressbühne, bei der Planung und Durchführung des Mitgliederfestes. Lassen wir die junge Generation doch eigene Ideen dafür entwickeln! Die Hauptversammlung ist aus meiner Sicht nicht der richtige Ort dafür, viel umzustellen, denn dort ist das Korsett der satzungsbedingten Regularien einfach zu eng.

Beim Thema Buchtage sehe ich übrigens noch eine zweite Baustelle: Viele kleinere Buchhändler und Verleger kommen nicht nach Berlin, weil die Reise ihr Budget sprengen würde. Aber wie will der Börsenverein überleben, wenn es sich seine Mitglieder nicht leisten können, das Verbandsleben mitzugestalten? Auch dafür müssen wir eine Lösung finden.

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