Vorlesewettbewerb des Börsenvereins

Anton Naab ist der beste Vorleser Deutschlands

26. Juni 2019
von Stefan Hauck
Im Studio A des Rundfunk Berlin-Brandenburg haben heute beim Bundesfinale des Vorlesewettbewerbs 16 Landessieger grandios gelesen: Bundessieger ist Anton Naab (11) von der IGS Johann Wolfgang von Goethe in Wismar.

572.000 Schüler aus 24.400 Klassen in 6.985 bundesdeutschen Schulen hatten beim 60. Vorlesewettbewerb mitgemacht. Die 16 Landessieger hatten gestern schon auf der Halbinsel Stralau ihnen jeweils unbekannte Novitäten ausgesucht - und Textstellen, die sie persönlich spannend fanden. Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller wünschte sich, dass die Landessieger als Botschafter die Lust am Lesen weitergeben:"Ihr vermittelt den Zauber, der Geschichten innewohnt."

"Der Vorlesewettbewerb ist definitiv der lauteste Tag des Jahres im Studio A - und das ist toll!", begrüßte Anja Hagemeier, Leiterin der Abteilung Familie & Kinder beim RBB. Der laute Applaus freute Hagemeier: "Das hört man bestimmt bis in den 13. Stock, wo die Intendantin gerade eine Sitzung leitet."

"Nutzt Pausen!", hatte KiKa-Moderator und Juror Tim Gailus zuvor empfohlen: "Die verschaffen Luft zum Durchatmen und erzeugen beim Publikum dieses besondere Knistern ..." Das hatte Pauline Martin bei Tamara Bachs „Wörter mit L“ (Carlsen) beherzigt; sie spiegelte die Gemütsverfassung der Protagonistin zwischen enttäuscht, genervt und hoffnungsvoll.

Gänsehaut

Welche Möglichkeiten eine Lesestimme hat, zeigte Tamina Fohrmann, die Schauer und Herzklopfen bei einer phantastischen Verfolgungsjagd in „Traumspringer“ (dtv) erzeugte, die raue Stimme zu Höchstleistungen trieb, vom sanft säuselnden Timbre über Zischen bis zu krassen Kontrasten. „Wie sich der Bösewicht angepirscht hat, war in jeder Sekunde zu spüren – Du hast das Böse fantastisch wiedergegeben“, lobte Tim Gailus. Ähnlich bei Tamina Zoe Hämke Rojas, die einen historischen Titel gewählt hatte: „Das Geheimnis der roten Schatulle“ (Thienemann). Den Überfall auf eine Kutsche dokumentierte sie flüsternd, geheimnisvoll, dann crescendoartig anschwellend bis hin zum Brüllen: „Das hat Gänsehaut ausgelöst!“, urteilte Juror Tim Gailus.

Felix Rosenkranz hatte mit "Amy und die geheime Bibliothek" (Hanser) zugleich eine Botschaft gewählt: sich dagegen zu wehren, dass Bücher aus Schulbibliotheken zensiert und entfernt werden. Er erzeugte das, was Hörcompany-Verlegerin Angelika Schaack zuvor als Rat gegeben hatte: „Bilder im Kopf erzeugen ist das Wichtigste“. Man konnte sich die von Rosenkranz vorgelesene Szene sehr genau vorstellen. Auch Anton Naab schaffte es mit einer grandiosen Strandszene aus „Als mein Bruder ein Wal wurde“ (Oetinger), dass man das Meer schmecken, das Wasser rauschen hören, den Geruch von Kokossonnenmilch riechen konnte: Eine Atmosphäre zum Greifen. "Diese Beschreibungen, ein bisschen Trauer, auch glücklich sein, großartig", begründete Jury-Sprecherin Angelika Schaack die Wahl von Naab zum besten Vorleser Deutschlands. Die Wahl widerlegte auch, dass Dialoge am besten geeignet seien, um die Kunst des Vorlesers zum Ausdruck zu bringen: Naab hatte den reinen Prosatext zum Klingen gebracht.

Kunst der Kontraste

Die Landessieger zeigten auch, wie man gekonnt mit Gegensätzen arbeiten kann. Leopold Ferdinand Schill kontrastierte in „Ziegen bringen Glück“ (Carlsen) die gnadenlose Fröhlichkeit von Therapeuten mit dem inneren Dialog des Patienten. Gegensätze mit Verve aufeinanderprallen ließ auch Matthis Studtmann: „Genau die richtigen Tempi gewählt bei dem total genervten Sohn und der völlig überkandidelten Mutter“, lobte „Aspekte“-Moderatorin Katty Salié. Von genervt ist es nicht weit weg zu peinlich – und welche Stufen der Peinlichkeit durchschritten werden können, zeigt stimmlich wunderbar Philomeena Beetschen, die just am heutigen Mittwoch Geburtstag hat.

Nasse Augen

Zwischen unbarmherziger Kälte und sanfter Traurigkeit zauberte Melissa Yi Fei Meiser eine hochdramatische Todesszene aus „Herzenmacher“ (Ueberreuter). Im Publikum sah man am Ende manches Auge feucht werden. „Mystisch“, meinte Schauspieler Damian Hardung, der in der Jury saß. Beklommenes Schlucken sah man auch bei Edgar Seifert: Emotionen pur bei seiner Lesung aus „Der Sonne nach“ (Hanser). „Das war eine Achterbahn der Gefühle, die Du mit uns gemacht hast“, urteilte Hardung.

Der RBB hat das Finale aufgezeichnet: Es wird am 6. Juli 2019 um 17 Uhr im KiKA ausgestrahlt. Das Erste zeigt zum Start des neuen Vorlesewettbewerbs 2019/20 eine weitere Sendung am 19. Oktober 2019 um 7.50 Uhr.