Interview mit Katharina Adler über ihre Visionen für Arbeit

Arbeitspoesie I

11. Juli 2019
von Börsenblatt
Das Projekt "Acht Visionen" lädt Autoren dazu ein, einen literarischen Blick auf die Zukunft der Arbeit zu werfen. Mit dabei: Katharina Adler.

Was fällt Ihnen zu "New Work" ein?    
Es ist jetzt schon ein bisschen her, dass alle – vom Großkonzern bis zum lokalen Kaffeeröster – die Philosophie ihres Unternehmens vermelden mussten. "New Work" löst das gerade ab. Trug man als MitarbeiterIn gerade noch die "Philosophie" auf dem Dienstausweis, soll da jetzt die Auskunft stehen: "Mein Job fühlt sich wirklich sehr sinnvoll an." Dabei soll es eine existenzielle Bereicherung sein und Freiheit bringen, wenn man seine Arbeit zu Hause noch im Bett erledigt, während man seinen Hund per Videochat Gassi führt. Im Büro wird dann Sport gemacht, im Schwimmbad findet Networking statt.
Das ist ein bisschen überspitzt ausgedrückt, aber "New Work" wirkt auf mich so, als würden Unternehmen anerkennen, dass ihre Angestellten existenzielle Fragen rund um den Sinn ihrer Arbeit umtreiben, und dafür werden dann aber eher kosmetische Antworten gefunden.

Außer schreiben – welchen Job würden Sie gern machen?     
Da fällt mir jede Woche etwas Neues ein. Ich bin wie ein Kind, das gern Feuerwehrarchäologin werden möchte. Und Astroanwältin und Ökopilotin und Programmiererin von Love-and-Peace-Software. Deshalb ist schreiben für mich wohl die beste Berufswahl. Da kann ich das alles und noch viel mehr sein, wenigstens in der Textverarbeitungsdatei, in der ich gerade arbeite.

Welchen Beruf sollte man für die Zukunft erfinden?     
Ökopilot! Und den Algorithmisten. Dieser Beruf ist allerdings keine Erfindung von mir, sondern des Rechtswissenschaftlers Viktor Mayer-Schönberger (Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung) und des Journalisten Kenneth Cukier. In ihrem Buch "Big Data" schlagen sie vor, dass AlgorithmistInnen – ähnlich wie WirtschaftsprüferInnen – Algorithmen in Firmen, öffentlichen Einrichtungen, an Universitäten usw. prüfen. AlgorithmistInnen wären MathematikerInnen, StatistikerInnen und InformatikerInnen, die sich verpflichten, unparteiisch Algorithmen nach unterschiedlichen Kriterien abzuklopfen, auf Fehler, auf Missbrauch, auf Diskriminierung. Das könnte ein wichtiger und absolut notwendiger Schritt in Richtung Transparenz sein.

Spielt das Thema Arbeit in Ihrem Werk eine Rolle?    
Arbeit ist ein ungemein prägender Lebensbereich in unserer Gesellschaft. Wir verbringen so viel Zeit mit Arbeit. Betroffen ist auch, wer keine Arbeit hat oder eine Arbeit verrichtet, die entweder nicht anerkannt ist oder kein Geld einbringt. Insofern muss Arbeit beim Schreiben nicht einmal direkt Thema sein und ist es indirekt doch immer. Allein, wenn ich eine Figur entwerfe, ist da stets die Frage: Was arbeitet diese Figur? Und wenn das keine Rolle spielt, dann doch zumindest die Überlegung, wie ist ihre finanzielle Situation und wo kommt das Geld her?  

Haben Sie schon eine Ahnung, worum es in Ihren Vorträgen im September gehen wird?  
 Im Augenblick tüftele ich an einer Erzählung, in der es um die Arbeitswoche der Zukunft geht. Antworten habe ich noch nicht, aber viele Fragen. Zum Beispiel; Wird die Kernarbeitszeit noch zwischen Montag und Freitag stattfinden? Wird die Schere zwischen Arbeit und Gelderwerb immer weiter auseinanderklaffen? Wer wird überhaupt Arbeit haben, wenn Maschinen bald so vieles übernehmen können? Wie lange werden wir noch in nur einer Geldform verdienen, oder könnte eine Zersplitterung in staatliche Währungen und Kryptowährungen kommen? Und was bedeutet eigentlich der Klimawandel für zukünftige Arbeit? Werden wir womöglich gar nicht mehr so viel arbeiten können, um Emissionen einzusparen?

Was reizt Sie an dem Kollektiv­projekt "Acht Visionen. Zukunft. Arbeit. Literatur"?    
Für meinen Beitrag will ich in der Zukunft umherschweifen, überlegen, welcher Wert dem Menschen und seinen Fähigkeiten in einer durch und durch digitalisierten Gesellschaft zugeschrieben wird. Genauso gespannt bin ich auf die sieben anderen Visionen. Zusammengenommen blitzt vielleicht wirklich ein Stück Zukunft auf. Wir stecken mitten in einer Zeitenwende. Die Literatur hat dabei das Potenzial, jenseits der Interessen von Politik, Wirtschaft und Systemideologien vor Gefahren zu warnen, aber auch viel Tolles zu imaginieren, im Sinne der Bedürfnisse des Menschen und für mehr Menschlichkeit.

Katharina Adler schreibt Romane, Essays und Theaterstücke, auch ein Drehbuch hat sie bereits geschrieben. Katharina Adler wurde 1980 in München geboren, wo sie nach Stationen in Leipzig und Berlin heute wieder lebt. Für ihren Roman "Ida" (Rowohlt) war sie für den Klaus-Michael Kühne-Preis und den ZDF-aspekte-Literaturpreis nominiert.

Acht Visionen

Acht Visionen. Zukunft. Arbeit. Literatur ist ein Projekt des Literaturhauses Frankfurt und des Museums für Kommunikation.

Inhalt: Acht Autoren schreiben exklusive Auftragsarbeiten über ihre Visionen von Arbeit im digitalen Transformationsprozess.

Mitwirkende: Katharina Adler, Isabelle Lehn, Mariana Leky, Lukas Rietzschel, Jochen Schmidt, Thomas von Steinaecker, Daniel Wisser und Julia Wolf

Ziel: Mit dem Projekt wollen die Partner einen Dialog zwischen Gegenwart und Zukunft, Realität
und Fiktion, Kommunikation und Literatur eröffnen.

Start: Die Autoren werden ihre Texte in vier Premierenlesungen zwischen September 2019 und April 2020 präsentieren. Den Anfang machen Katharina Adler und Daniel Wisser.
Im Juni erscheinen alle Texte der "Acht Visionen" in einer Publikation.


https://literaturhaus-frankfurt.de/programm/termine/acht-visionen-i-ii-2019-09-18/

Lesen Sie hierzu auch unsere Meldung sowie das Interview mit Daniel Wisser.