Interview mit Verlegerin Elisabeth Raabe

"Nichts ist vollkommen, wir sind immer auf dem Weg"

9. Juli 2019
von Börsenblatt
1972 fing sie als Lektorin bei Rowohlt an, war Verlegerin von Luchterhand Literatur und Arche und stemmt mit Regina Vitali seit einem Jahr die Edition Momente: Heute wird Verlegerin Elisabeth Raabe 80 Jahre alt. Anlass für ein kleines Gespräch.

Vor einem Jahr haben Sie mit Regina Vitali beschlossen, noch einmal mit einemneuen Verlag durchzustarten. Woher nehmen Sie eigentlich die Energie, mit 80 Jahren und unvermindertem Tempo die Edition Momente zu steuern?
Die Energie kommt in erster Linie aus der Arbeit. Regina Vitali und mir gehört der Verlag, wir müssen für Erfolg wie Misserfolg geradestehen. Aber ich empfinde es zugleich als ein großes Glück, dass wir weiterarbeiten können. Es macht Freude und hält jung – sicher, unsere Freunde ringsum sind pensioniert, sie reisen, gehen in Konzerte – das kommt zu kurz. Ich genieße dafür die kleinen Momente.

 

Ist die Fortsetzung des Lebenswerks – von den Arche-Büchern bis zu den Kalendern – ein Motivationsmoment?
Sicherlich. Kalendermachen wird in der Buchbranche immer noch als etwas Zweitrangiges betrachtet, und ich zeige mit unseren literarischen Kalendern, dass es eben sehr wohl Büchermachen in einer anderen Form sein kann. Das Feedback ist beim Buch direkter, beim Kalender sind die Endkunden eher eine Black-Box, die große Zustimmung aus dem Buchhandel, der Leserschaft und der Presse motiviert mich sehr. Und Sybil Gräfin Schönfeldts Bestseller "Kochbuch für die kleine alte Frau" motiviert zusätzlich.

 

Sie sind bekannt dafür, dass Sie sich nicht mit der zweitbesten Lösung zufrieden geben, sondern das Optimum bevorzugen. Treibt dieser Perfektionismus ebenfalls an?
Perfektionismus würde ich das nicht nennen. Für mich zählt die Qualität – und die kostet Zeit und Geld. Ich möchte im Zusammenspiel mit unserem langjährigen Grafiker Max Bartholl, ohne dessen Arbeit unser Kalenderprogramm gar nicht zu denken ist, der Reprografin und der Druckerei das Beste herausholen. Als ich bei Arche dem Schriftsteller Peter Stamm einmal sagte, da müsse noch ein Satz verändert werden, war er ganz erstaunt und meinte: "Aber wir sind doch schon mit dem Manuskript fertig …" Nichts ist vollkommen, wir sind immer auf dem Weg.

 

Ist die Edition Momente nur mit Ihrer Partnerin Regina Vitali zu denken?
Ja, unbedingt, und mit Max Bartholl. Wir ergänzen uns ideal und haben uns gesagt: Wir gehen diesen Weg auch mit diesem Verlag zusammen.

 

Was ist der schönste Moment für Sie, im Verlegerinnen-Alltag?
Unsere Kalender sind letztlich komponierte Anthologien an der Wand – und wenn ich das haargenau passende Zitat zum Thema des Kalenders gefunden habe – und das oft aus Zufall –, ist das ein sehr schöner Moment. Und dann an der Druckmaschine das Endprodukt zu sehen: Das ist für mich der schönste Moment!

Welche neuen Ideen spuken schon wieder in Ihrem Kopf?
Der Kalendermarkt hat ja seine Phasen und Trends, derzeit sind Kalender in Buchform en vogue oder Kalender mit Motiven aus der Natur. Wir konzentrieren uns weiter auf Literatur, Musik, Kinder, Küche und Jazz. Jetzt habe ich den „Literatur Kalender 2020“ inhaltlich völlig neu ausgerichtet: Er ist zu einer poetischen "Anthologie der Weltliteratur an der Wand" geworden. Im Übrigen ist meine Erfahrung, dass die Ideen immer auf mich zukommen, zum Beispiel die Idee für den Nachfolgeband des gräflichen Bestsellers, dem "Kochbuch für den großen alten Mann".

Elisabeth Raabe, geboren 1939 in Oldenburg, studierte Germanistik Geschichte und Kunstgeschichte. Sie war mehr als zehn Jahre Lektorin bei Rowohlt, Dressler und Otto Maier Ravensburg. Seit 1983 arbeitet sie immer gemeinsam mit Geschäftspartnerin und Co-Verlegerin Regina Vitali, ebenso lange ist der Frankfurter Grafiker Max Bartholl für das Design verantwortlich. Von 1983 bis 2008 war Raabe Verlegerin des Arche Verlags, von 1987 bis 1994 Verlegerin des Luchterhand Literaturverlags, von 2008 bis 2017 des Arche Kalender Verlags. 2014 gründete sie mit Vitali die Edition Momente.