Wie sich Wirtschaftsbücher verändern

Einzigartig und brandaktuell

25. Juli 2019
von Sabine Schmidt
Auf den steigenden Markt- und Erwartungsdruck reagieren die Wirtschaftsverlage kreativ und dynamisch. Nicht nur Arbeitsprozesse und die Zusammenarbeit mit den Autoren verändern sich, sondern auch die Bücher: Sie werden lockerer, bunter, leichter zugänglich. 

Klassische Büroarbeit war gestern. "Wir verlegen keine Manuskripte, die uns fertig angeboten werden", sagt ­Peter Felixberger, Programmgeschäftsführer im Murmann Verlag. Er wartet auch nicht darauf, dass Autoren auf ihn zukommen. "Ich bin vielmehr sehr oft unterwegs, um mit Experten, mit Unternehmern, Gründern oder Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen, Projekte anzustoßen und weiterzuentwickeln."

Bücher entstehen in einem dynamischen, komplexen Prozess aus dem Verlagsnetzwerk heraus. Murmann kümmert sich zudem aktiv um Innovationen. Für Details sei es noch zu früh, so viel verrät Felixberger aber schon: "Wir arbeiten mit einem Forschungsinstitut an neuen Ideen und Zukunftsprojekten." Er spricht von überlebensnotwendigem Input, um mit dem Verlagsprogramm am Puls des (digitalen) Wandels zu bleiben.

Aktiv, dynamisch, kreativ: So sieht er Murmann. Die Entwicklung von Büchern gleicht dann auch erst einmal einem quirligen Wasserfall, bevor die Projekte in ruhigeres, aber immer noch lebhaftes Fahrwasser kommen: Sobald sich der Verlag mit einem Experten über eine Buchidee verständigt hat, folgt ein Workshop-System – in diesem Prozess geht es unter anderem um Selbstvergewisserung, Kommunikationsziele und Botschaften eines Titels. "Nach vier Workshops steht die Matrix für ein Buch. Danach formiert sich der Circle", so Felixberger: Je nach Projekt sind unter anderem Co- oder Ghostwriter dabei, Lektoren natürlich und Layouter.

Entscheidend ist für ihn, dass jedes Buch als neuer Prozess antritt: "Jedes soll einzigartig sein. Wir wollen ein abwechslungsreiches, heterogenes, brandaktuelles Programm." Eine der größten Herausforderungen dabei sind die langen Vorlaufzeiten des Buchmarkts – hier sieht Felixberger Veränderungsbedarf über Murmann hinaus, bei Titel und Cover zum Beispiel: "Für die Vorschauen müssen sie schon früh feststehen. Bis zum Erscheinungstermin arbeiten wir aber immer wieder am Titel, der eine zentrale Rolle für den Marktauftritt spielt." Die dynamischen Prozesse in feste Ablaufmuster einzupassen: Das ist dann auch eines der großen Themen der neuen Vertriebskooperation mit Haufe für die Murmann-Fachbücher.

Dynamischer Markt heißt für den Programmgeschäftsführer darüber hinaus: Bestseller werden nicht nur nachgedruckt, sondern überarbeitet oder sogar komplett neu geschrieben. Englisch ist zudem im internationalen Wirtschaftsfeld ein zentrales Thema. Nicht nur auf Kongressen, auch in Unternehmen und Start-ups wird Englisch gesprochen. "Wir bieten deshalb ab Herbst 'Wendebücher' an", so Felixberger. Auf der einen Seite ist der deutsche Text zu lesen, dreht man das Buch um, folgt die englische Version – so wie bei Christopher Peterkas Titel "Deine Wahl", den der Verlag als "humanistischen, ökologischen und technologischen Weckruf" für die digitale Gesellschaft bewirbt (Oktober).

Digitale Erweiterungen, etwa via Augmented Reality, sind ebenfalls ein Thema, das Wirtschaftsverlage derzeit umtreibt. "Sie kommen zu den interaktiven Arbeitshilfen der Fachbücher hinzu, auf die der Buchkäufer online Zugriff hat", sagt Elvira Plitt, Programmleiterin bei Haufe Publishing. Die Anforderungen sind hoch: Denn bei der Entwicklung neuer Produktformen geht es nicht nur darum, attraktive Titel zu erarbeiten – "die größte Herausforderung besteht in der Frage der Monetarisierbarkeit von digitalen Innovationen".

Wenn ein Buch so weit ist, dass es sich am Markt bewähren muss, hat es bei Haufe bereits eine strenge Qualitätskontrolle durchlaufen. "In mehreren internen Prüfrunden unterziehen Beteiligte verschiedener Verlagsbereiche aus Marketing, Vertrieb und digitaler Produktentwicklung das Projekt einer vertieften Prüfung", erklärt die Programmleiterin. "Kann die Buchidee auch vor diesen Gremien bestehen, wird der weitere Prozess bis zur Veröffentlichung von einem eingespielten Team aus Produktmanagement, Lektorat, Marketing und Herstellung eng begleitet."

Ebenso spielt die Nähe zu den Zielgruppen eine große Rolle. "Wir sehen vor allem im Einsatz von diversen Social-Media-Kanälen – etwa unserem Blog 'Karriere Boost' – ein wichtiges Ins­trument, um den Austausch mit den Lesern und die Nähe zu unseren Zielgruppen zu vertiefen und direktes Feedback zu erhalten", so Plitt.

Grundlage und Ausgangspunkt für jedes Buchprojekt ist aber bei allen Häusern das Verlagsnetzwerk: "Die Autoren sind die Experten für Themen und Trends", betont Hanser-Fachbuch-Lektorin Lisa Hoffmann-Bäuml. Die passgenaue Zielgruppenansprache ist dagegen Verlagsexpertise. Dabei sind veränderte Ansprüche zu berücksichtigen: "Das Wirtschaftsbuch soll heute möglichst kompakt, anschaulich und leicht zugänglich sein."

Zwar gebe es Klassiker, die sich auch nach mehr als zehn Jahren unverändert gut verkaufen würden. Neue Titel treten aber in neuen Gewändern und sehr individuell auf. Etwa der Hanser-Titel "Qualitäts­bewusstsein schaffen", ein vierfarbiges Buch im Querformat, das darauf setzt, das Wichtigste in wenige Sätze zu komprimieren. In diesen Kontext gehören auch die neuen Kartensets bei Hanser (etwa "Der Agilitäts-Navigator. 77 Karten für kreative Workshops", November) oder Expertise in ungewohnter Form: "Briefe an den Chef" (August).

Solche ungewöhnlichen Buchauftritte sorgten anfangs für Irritationen. Macht Vahlen jetzt Kinderbücher? Diese flapsige Frage musste sich Lektoratsleiter Thomas Ammon anhören, als der Verlag sich von den Bleiwüsten im Wirtschaftsfachbuch verabschiedete, stärker mit Zeichnungen und gestalterischen Elementen arbeitete. Grafiker spielen bei der Produktentwicklung eine sehr viel größere Rolle als noch vor einigen Jahren. Für den Titel "Leadership by Game of Thrones" (Oktober) beispielsweise hat ein Zeichner die Typen der erfolgreichen TV-Serie in Szene gesetzt.

Mittlerweile sind irritierte Rückmeldungen passé. "Die veränderte Ausrichtung des Wirtschaftsbuchs hat sich bewährt", resümiert der Lektoratsleiter, zumal sie neue Zielgruppen abholt, etwa beim großen Thema Digitalisierung: Bei Entwicklungen, Trends und Herausforderungen wollen im Internetzeitalter auch Führungskräfte oder Personalreferenten auf der Höhe der Zeit sein. "Sie lesen unsere Bücher in ihrer Freizeit. Das heißt, dass die Titel unbedingt Entertainment-Qualitäten haben müssen", betont Ammon – zusätzlich zur fachlichen Expertise.

Kurzum: Die Anforderungen an das Wirtschaftsfachbuch sind enorm hoch, die Marktdynamik hält die Verlage auf Trab. Erstaunlich ist, dass die Programmmacher diese Herausforderungen weniger als Last denn als Anstoß zu spannenden, kreativen Prozessen betrachten.