Der Buchhändler Thomas Mahr widerspricht Rainer Moritz

"Es können gar nicht genug Natur- und Ökologiebücher erscheinen"

16. August 2019
von Börsenblatt
Dem Literaturhaus-Chef und Börsenblatt-Kolumnisten Rainer Moritz geht der Hype um Naturbücher auf die Nerven. Thomas Mahr, Buchhändler in Langenau fragt sich: Warum kommt ausgerechnet bei diesem Thema der Moritz'sche Aufschrei und nicht, zum Beispiel, bei Fantasyromanen oder Regionalkrimis? Ein Einspruch.

Ja, es stimmt schon, unsere Regale sind gut gefüllt mit Natur. Ein Großteil der darin enthaltenen Bücher beschäftigt sich ernsthaft mit den drängenden und wichtigen ökologischen Fragen der Zeit.

Was konnte die 68er Bewegung dafür, dass es auch Millionäre plötzlich schick fanden, 2 CV, also eine Ente, zu fahren? Jedes brisante, gesellschaftspolitische Thema lockt auch Trittbrettfahrer an, zumal damit Geld verdient werden kann. So ist das in unserem Wirtschaftssystem.

Doch wo blieb der Moritz’sche Aufschrei bei all den fürchterlichen Dystopien in den Jugendbuchabteilungen des Sortiments! All die entsetzlichen Untergangsszenarien, die wir seit Jahren unseren Kindern zumuten. Den Fantasyromanen, die so einfach vorgaukeln, wo gut und böse anzusiedeln sind, die in ihrer Schwarz-weiß-Sichtweise nichts von der Kompliziertheit unserer Welt vermitteln. In meinen Albträumen denke ich an die schrecklichen, zukünftigen Nebenwirkungen solcher Bücher.

Warum ist die Intervention ausgeblieben als nach Shades of Grey eine Armada von "sex sells" für gerade mal so pubertierende Mädchen auf den Markt geschleudert wurde. Bücher mit einem Rollenverständnis – trotz #MeToo –, dass man sich ins viktorianische Zeitalter versetzt sieht.

Und dann die unsäglichen Regionalkrimis. Es sind mehr Islandkrimis auf Deutsch erhältlich auf dem Buchmarkt, als es die letzten 500 Jahre Morde auf der Insel gab. Jedes Halbjahr blättere ich Hochglanzvorschauen durch, die mir auf mehr als 100 Seiten von jedem Dorf mit einem Kirchturm einen Regionalkrimi anbieten. Heimat ja, aber nur wenn ein Apotheker oder Pastor im Städtle um die Ecke gebracht wird.   

Doch zurück zur Ökologie. Wenn unsere Städte verkehrstechnisch kollabieren und die Autoindustrie Abgaswerte manipuliert, wenn Präsidenten den Klimawandel leugnen und fleißig wieder Regenwälder abholzen, wenn wir unsere Landschaft mit Gülle und giftigen Spritzmitteln überschwemmen, wenn wir nach wie vorher so weitermachen und in unserem Land über unsere ökologischen Verhältnisse leben, dann können gar nicht genug Natur- und Ökologiebücher erscheinen…

MEHR LESEN

Pilze suchen für die Seele: Rainer Moritz über den Naturbücher-Hype