Folkert Roggenkamp über ganz spezielle Leseförderung

Oh! Mein! Gott!

22. August 2019
von Börsenblatt
Nicht nur auf "Lesen ist easy" setzen, sondern auf die Generation 50 plus: Folkert Roggenkamp erklärt, was die Buchbranche mit den christlichen Kirchen gemeinsam hat und warum die Bibel für ihn eine Antwort ist.

Buchhandel und Verlagen laufen die Käufer weg, den beiden großen Volkskirchen die Mitglieder. Sechs Millionen Buchkäufer hat die deutsche Buchbranche in fünf Jahren verloren, bei den Kirchen waren es allein im Jahr 2017 660.000 Mitglieder. Wenn der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, aus den Zahlen liest, "dass wir als Kirche gezwungen sind, neue Wege finden, Menschen zu erreichen, sie zu begleiten und ihnen nah zu sein", dann klingt das nicht wesentlich anders als die Erkenntnis des Hauptgeschäftsführers des Börsenvereins, dass für Buchhandel und Verlage "eine neue Art der Kundenansprache nötig" ist. Es geht also um Zielgruppen. Aber um welche?

In den Initiativen der Kirchen – "Jugendkirche", Social-­Media-Aktivitäten, Konficamps etc. – steckt viel Zukunftsorientierung, aber oft wenig Gegenwartssinn. Das gilt leider auch für die Buchbranche: Alles für die Leseförderung bei den lieben Kleinen – und für die Senioren werden allenfalls verstaubte Lesebrillen angeboten. Dabei gibt es laut Käuferstudie immer noch beeindruckende 30 Millionen Buchkäufer, die Zahl der Vielkäufer nimmt sogar zu. Kein Wunder: Die Babyboomer-Jahrgänge nähern sich dem Rentenalter, sind oftmals akademisch gebildet und gut situiert – und vor allem: Sie sind mit gedruckten Büchern aufgewachsen und sozialisiert. Da hängen immer noch viele reife Pflaumen am Baum.

Wäre daher nicht, wenn es schon eine "Kampagne" sein muss, eine anspruchsvolle, geradezu elitäre Kampagne für das Lesen sinnvoll? Eine bewusste Abkehr vom "Lesen ist easy und hip"-Gedöns für die vermeintlich jüngere Generation? Nicht "Ich schenk Dir eine Geschichte!", sondern "Wir schenken ­Ihnen einen wunderbar anspruchsvollen Roman!"?

Wie das geht, kann man sich wiederum bei den Kirchen anschauen: Seit 2.000 Jahren setzen sie auf die Bibel, das "Buch der Bücher". Ein sehr anspruchsvoller Text, der zwar alles enthält, was in den Bestsellern von heute wieder und wieder neu erzählt wird (Liebe, Hass, Tod, Verlust, Mord und Eifersucht, grausame Despoten, tragische Helden und strahlende Sieger), ein Buch großer Geschichten und zugleich ein Lebens­hilfe-Ratgeber, aber auch schwer zugänglich, schwer lesbar und alles andere als leicht zu verstehen. Glauben ist nicht "easy", die Bibel zu lesen und zu verstehen erst recht nicht. Das Ergebnis: Ja, die Kirchen verlieren seit Jahren Mitglieder (naheliegenderweise: Wer nie in die Kirche geht, möchte in der Regel auch keine Kirchensteuer entrichten). Aber das ehrenamtliche Engagement und die Bereitschaft, sich an kirchlichen Initiativen zu beteiligen, die oft gesellschaftliche Funktionen übernehmen, war lange nicht so hoch wie jetzt. Innovative Angebote, die diese Gegenwart ernst nehmen und nicht einer "Wünsch dir was"-Utopie hinterherrennen, haben schließlich auch das Potenzial, Menschen zu erreichen – egal, ob es sich dabei um Kirche, Bibel oder das Medium Buch allgemein handelt.

Und am Ende, wenn sie denn die passenden Angebote vorfinden, kehren die verlorenen Söhne und Töchter aka "Schäfchen" zurück. Auch das geht aus der Studie der EKD und der Katholischen Kirche hervor, und parallel dazu konnte der Buchhandel 2018 immerhin 300.000 Buchkäufer zurückgewinnen. Ich wage zu behaupten: nicht in der Altersgruppe der Zehn- bis 30-Jährigen. Sondern bei den "Silberrücken", "Best Agers", Generation-50-plus-Angehörigen (der Autor dieser Zeilen ist 53). Die haben das Geld, die wollen lesen. Und es sind viele. Tun wir etwas für sie: intelligenter, besser und intensiver als bisher.

Folkert Roggenkamp ist Verlagsleiter der Deutschen Bibelgesellschaft.