MACHTVERHÄLTNISSE, Teil 1: Uwe Lübbermann über den "Anti-Mengenrabatt" der Getränkemarke Premium

"Wir wollen einen Nachteilsausgleich für die Kleinen"

27. August 2019
von Börsenblatt
Die größten Kunden kriegen auch die höchsten Rabatte? Nicht immer. Bei der Getränkemarke Premium läuft die Sache anders. Sie setzt auf einen "Anti-Mengenrabatt", um ganz bewusst die kleinen Händler zu stärken. Uwe Lübbermann über die Idee dahinter und den Vorteil für alle. Teil 1 einer kleinen Börsenblatt-Reihe, die Denkanstöße zu den Machtverhältnissen in der Buchbranche liefern will.

Die unabhängige Getränkemarke Premium wurde um die Jahrtausendwende eher "aus Versehen" von Uwe Lübbermann gegründet, um ein altes Cola-Rezept neu zu beleben. Sie wird von einem Internet-Kollektiv nach den Prinzipien der Konsensdemokratie gesteuert, will keinen klassischen Gewinn erzielen, arbeitet mit Festpreisen und vor allem: mit einem "Anti-Mengenrabatt", der kleinere Geschäftspartner gezielt unterstützt und damit auch dem Konzentrationsprozess in der Branche entgegenwirken will. Was Premium sonst noch alles anders macht, lesen Sie hier und hier.

Wie sind Sie darauf gekommen, verbreitete Handelsusancen mit einem "Anti-Mengenrabatt" gegen den Strich zu bürsten?

Große Kunden bekommen einen besseren Preis: Diese Gesetzmäßigkeit wurde mir gleich am Anfang erklärt, als ich in den Getränkemarkt eingestiegen bin. Das machen alle so, das ist Standard, hieß es damals. Und es gibt ja auch durchaus sachliche Gründe für einen solchen Mengenrabatt: Bei großen Kunden muss man nur einen LKW beladen, nur eine Abrechnung schreiben etc. Trotzdem dachte ich sofort: Das ist ja eigentlich Quatsch, denn der Große verdient durch den Effizienzgewinn ohnehin schon mehr pro Flasche. Da macht es doch gar keinen Sinn, wenn wir ihm noch einen zweiten Bonus geben, nur weil er groß ist. Deshalb setzen wir auf einen Anti-Mengenrabatt – als Nachteilsausgleich für die Kleinen.

Wie genau funktioniert das Modell – und woran machen Sie fest, wer ein "kleiner" Händler ist?

Berechnet wird der Anti-Mengenrabatt nicht nach Unternehmensgröße, sondern nach Liefermenge. Das Kunststück dabei ist, Bündelungseffekte, die ja gewünscht sind, dadurch nicht auszuhebeln. Der Anti-Mengenrabatt muss so fein eingestellt werden, dass neue und kleinere Händlerinnen und Händler ausreichend unterstützt werden, aber eben auch nicht zu viel. Unsere Faustregel: Den Rabatt gibt es für eine Bestellung von bis zu vier Paletten. Denn die passen auf einen LKW mit 7,5 Tonnen. In den Fahrzeugklassen darüber steigt die Lademenge und damit auch der Effizienzgewinn. Aktuell zweigen wir von jeder Flasche einen Cent ab, um den Anti-Mengenrabatt zahlen zu können – das sind für maximal ein Viertel der Gesamt-Jahresmenge vier Cent je Flasche beziehungsweise 96 Cent je Kasten.

Faustregel heißt: Sie weichen auch mal davon ab?

Ja, denn bei den Logistikkosten spielt ja auch der Standort eine Rolle. Ein Händler, der nur 50 Kilometer vom Abfüller entfernt ist, hat selbst bei kleinen Mengen keine wahnsinnig hohen Kosten. Da reden wir drüber und gewähren den Anti-Mengenrabatt manchmal nur bis zu zwei Paletten. Umgekehrt zahlen wir bei Händlerinnen und Händlern, die weit vom Schuss in ländlichen, strukturschwachen Regionen liegen, im Einzelfall auch schon mal das Doppelte.

Gibt es keine Tricksereien bei der Bestellmenge? Jedes Handelsunternehmen könnte ja einfach öfter kleinere Mengen nachbeziehen….

Wir hatten mal einen großen Player, der grundsätzlich alle zwei Wochen nur zwei Paletten pro Tour geordert hat und auf diesem Weg seine Gewinnmarge optimieren wollte. Wir haben ihn darauf angesprochen – und die Sache einvernehmlich geklärt. Natürlich muss man ein bisschen aufpassen. Vor allem aber müssen wir uns über die Situation unserer Partner Gedanken machen. Das sehe ich ohnehin als unsere Kern-Aufgabe. Flaschen zu bewegen und zu verkaufen, ist nur das Ergebnis dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Gehört auch Mut dazu, die Spielregeln der Branche zu brechen?

Das klingt drastischer, als ich die Sache sehen würde. Wir revolutionieren ja nicht die gesamte Getränkebranche, sondern haben für uns einfach nur einen anderen Zugang gefunden, den wir gut begründen können. Wenn ich mit Betriebswirten über unser Modell spreche, ernte ich skeptische Blicke, aber oft auch Kopfnicken. Denn dass kleinere Händler höhere Kosten pro Einheit haben, lässt sich ja nicht wegdiskutieren.

Was sagen denn große Händler dazu, wenn Sie ihnen den üblichen Mengenrabatt verwehren? Wird da Druck aufgebaut? Amazon würde entsprechende Verlage vermutlich einfach auslisten….

Natürlich reagieren große Handelsfirmen ab und an mal mit hochgezogenen Augenbrauen – nach dem Motto: Was sind das denn für Hippies... Aber wir können unser Modell gut erklären und halten uns seit fast 18 Jahren am Markt. Je länger wir dabei sind, desto ernster werden wir genommen. Ganz am Anfang gab es Händler, die gesagt haben: Ist ja alles gut und schön, aber ohne 5.000 Euro Listungsgebühr kommen wir nicht ins Geschäft. Mittlerweile passiert uns das nicht mehr. Denn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den großen Betrieben merken, dass die Konzentration im Getränkemarkt immer weiter voranschreitet und für Probleme sorgt. Durch den Rabatt machen wir deutlich, dass wir uns um alle Beteiligten, um die gesamte Lieferkette Gedanken machen. Die Logistikkosten sind unser gemeinsames Problem, mit dem wir gerade die Kleinen nicht alleine lassen können.

Heißt das: Wenn ein wichtiger Händler 5.000 Euro Listungsgebühr fordert, verzichten Sie auf das Geschäft?

Ja, natürlich. Verzichten tut in der Situation erst mal weh, aber mittel- und langfristig schadet es dem Unternehmen viel mehr, wenn man sich auf einen solchen Deal einlässt. Denn dann stärkt man jemanden, der seine Machtposition missbraucht – und der mit jedem neuen Geschäftspartner, der dieses Spiel mitspielt, immer stärker wird, siehe Amazon. Natürlich braucht man Kunden, die diesen Weg mitgehen. Sonst gibt es das Unternehmen irgendwann nicht mehr. Auch wir brauchen solche Kunden, die nicht nur bei den großen Märkten kaufen, sondern ihrem Getränkekiosk an der Ecke aus Überzeugung die Treue halten. Und wir brauchen Händler, die nicht nur die Nachfrage am Markt bedienen und die eigene Handelsspanne optimieren wollen, sondern die ihre Kunden- und Lieferbeziehungen aktiv und mit Blick auf die Gesellschaft gestalten möchten.

Im Alleingang werden Sie die Marktgesetze nicht ändern können. Ist das manchmal frustrierend?

Durchaus. Es geht ja nicht voran, weder in der Getränkebranche noch in der Welt. Aber was soll ich tun? Es einfach so hinnehmen? Ich habe mich lieber dafür entschieden, die Dinge aus dem System heraus zu verändern. Das dauert, das ist anstrengend, aber es ist meine Methode. Ich will den Beweis führen, dass Wirtschaft auf eine andere, menschlichere Art nicht nur funktioniert, sondern sogar besser funktioniert als jetzt.

Sogar besser – woran machen Sie das fest?

Wir haben zum Beispiel eine extrem geringe Fluktuation unter unseren Händlern, die Quote liegt über die vergangenen 18 Jahre hinweg bei unter zwei Prozent. Viele bleiben uns auch bei kleinen Abnahmemengen sehr lange treu. Die Zusammenarbeit ist dadurch sehr angenehm, weil man sich kennt. Und sie ist effizient, weil man nicht andauernd Logistikstrukturen umbauen muss. Unter dem Strich arbeiten wir mit 1.700 Partnern zusammen, von der Gastronomie bis zur Etikettendruckerei. Mit keinem einzigen davon haben wir einen schriftlichen Vertrag geschlossen, trotzdem gab es noch nie einen Rechtsstreit. Das muss uns erst mal einer nachmachen. Weil ich ein vorsichtiger Mensch bin, habe ich früher einen Cent pro Flasche für juristische Auseinandersetzungen zur Seite gelegt. Das Geld haben wir nie gebraucht.

Honorieren die kleinen Händler den Anti-Mengenrabatt?

Er ist sicher ein Türöffner – und er sorgt dafür, dass der Anteil kleinerer Getränkehändler an unserem Kundenstamm höher ist als bei anderen Marken. Das tut uns gut, denn die hohe Quote garantiert Stabilität. Wenn ein kleiner Anbieter wieder abspringt, ist das nicht so dramatisch. Macht man seinen Umsatz dagegen nur mit vier oder fünf großen Kunden und einer davon bricht weg, dann ist das gleich eine Katastrophe. Man ist in diesem Fall viel abhängiger von seinen wenigen Geschäftspartnern – und die können ganz anders mit einem umspringen.

Man darf aber eines nicht vergessen: Auch der Großhandel profitiert indirekt von unserem Modell. Denn wenn wir einem kleinen Getränkemarkt den Anti-Mengenrabatt gewähren, dann stärken wir seine Position – und das wiederum wirkt sich positiv auf die Absätze aus, die er beim Großhändler generiert.

Sie vereinbaren im Kollektiv mit Ihren Kundinnen und Kunden auch Festpreise, ohne die der Anti-Mengenrabatt so wohl nicht funktionieren würde. Warum dürfen Sie das eigentlich?

Laut Kartellrecht sind solche Vereinbarungen entlang der Lieferkette dann erlaubt, wenn sie zum Wohle aller Beteiligten vereinbart werden, bis hin zum Endverbraucher. Wir beschließen unsere Standardpreise im Kollektiv mit Herstellern, Speditionen, Handelsunternehmen, Gastronomie, Konsumenten. Und wenn ein Händler oder ein Gastronom davon abweicht, gibt es keine Zwangsmaßnahmen. Dass sich einzelne Partner nicht an die Vereinbarung halten, kommt vor – nach oben wie nach unten. Dann besprechen wir das. Ein Café in Frankfurt etwa hat unsere Premium-Cola für 3,30 Euro die Flasche angeboten. Das fanden wir zu hoch – bis der Inhaber seinen Mietvertrag aus der Schublade geholt hat. Damit war das Thema geklärt.

2013 waren Sie beim Börsenverein zu Gast, als Referent der damaligen AKEP-Jahrestagung. Glauben Sie, der Anti-Mengenrabatt könnte auch Modellcharakter für die Buchbranche haben?

Gegenfrage: Funktionieren die gegenwärtigen Werkzeuge denn gut? Das scheint im Moment nicht der Fall zu sein, wenn so viele kleine Buchhandlungen schließen und verkauft werden. Also muss man etwas anders machen. Ob ein Anti-Mengenrabatt das Richtige ist, wäre zu prüfen, vielleicht gibt es ja noch andere Hebel, die besser passen. Ich glaube aber, in der Buchbranche geht es, ähnlich wie in der Getränkewelt, um Verfügbarkeit, um Sichtbarkeit. Wenn etwas nicht verfügbar ist, kann die Endkundin, der Endkunde nicht zugreifen. Hier liegt der Schlüssel. Wer sich da immer nur an den großen Anbietern abarbeitet, der ist irgendwann auch nur noch mit den Großen im Kontakt. Mit allen Risiken, die damit verbunden sind.

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