MACHTVERHÄLTNISSE, Teil 3: Stefan Genth über den stationären Einzelhandel

"Kooperation ist das A und O"

29. August 2019
von Börsenblatt
Im Interview spricht Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE), über Filialisierung und die Kompetenz kleinerer Einzelhändler. Teil 3 einer kleinen Börsenblatt-Serie, die Denkanstöße zu den Machtverhältnissen in der Buchbranche liefern will.

Gefühlt wird der Einzelhandel, zumindest in den Innenstädten, von Ketten dominiert. Stimmt dieser Eindruck?
Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die überwiegende Zahl der Händler immer noch mittelständisch geprägt ist. Und alle bewegen sich in demselben Wettbewerbsumfeld, egal ob groß oder klein. Gerade die globalen Plattformen haben den Wettbewerb noch härter gemacht. Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden, um seine Position zu behaupten. Wir sehen zunehmend, dass der Mittelstand sich anders aufstellt. Er geht in die Filialisierung, um Größeneffekte zu erreichen und konkurrieren zu können.

Um zu filialisieren, bedarf es entsprechender Investitionen, die aber nicht jeder stemmen kann ...
Es kommt nicht allein auf die Finanzkraft eines Unternehmens an. Man kann sich auch mit anderen Händlern zusammenschließen. Kooperationen sind meines Erachtens das A und O. Gerade im mittelständischen Facheinzelhandel gibt es viele verschiedene Modelle, nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern auch bei Parfümerien oder Sportgeschäften. Durch Kooperation lässt sich eine gewisse Größe erreichen. Kosten, die man allein nicht stemmen könnte, werden gemeinsam getragen.

Große Händler stecken viel Geld in Serviceleistungen. Womit können die Kleineren auch hier punkten?
Service und Kundenbindung sind nicht nur eine Frage der Größe. Es kommt auf das richtige Konzept an, auch kleine Stores können mit großer Beratungs­kompetenz aufwarten und damit Erfolg haben. Zudem meine ich, dass die Digitalisierung eine Chance bietet, auf Marktplätzen neue Kunden zu erreichen und damit den Umsatz zu steigern. Den großen Unterschied macht aber das Einkaufserlebnis, und hier können andere Branchen vom Buchhandel lernen, weil er schon sehr viel richtig macht. Wichtig ist, dass das Konzept passt, dass man online und offline erreichbar ist und die Kunden mitnimmt.

Nicht nur in vielen Buchhandlungen ist der Inhaber das Gesicht, die Visiten­karte des Ladens. Welche Rolle spielt dieser Faktor?
Der Inhaber ist absolut prägend für das Geschäft, gerade bei Kundenbindung, Ausrichtung und Wahrnehmbarkeit des Ladens. Trotz Globalisierung und Digitalisierung möchten die Konsumenten haptische Dinge vorfinden, vor Ort etwas erleben. Sie freuen sich, wenn sie den Inhaber im Laden antreffen. Die persönliche Note ist ein Riesenvorteil, wenn es darum geht, aus dem globalen Warengeschäft hervorzustechen.

Gilt dies noch für die Generationen, die digital aufwachsen und möglicherweise nur selten stationär shoppen gehen?
Die Kundenbedürfnisse haben sich zwar drastisch verändert, ich bin mir aber sicher, dass diese persönliche Note für alle Zielgruppen etwas sehr Entscheidendes ist. Es ziehen wieder mehr Menschen in die Region. Nicht jeder möchte in einer Großstadt leben und arbeiten. Diese Entwicklung ist eine Chance für den Fachhandel.

Der gesamte stationäre Einzelhandel leidet unter sinkender Kundenfrequenz. Was lässt sich dagegen tun?
In allen europäischen Ländern haben wir die gleiche Situation: Es kommen weniger Kunden in die zentralen Versorgungsbereiche, aber die Kunden, die kommen, kaufen glücklicherweise noch. Sonst hätten wir eine ganz andere Entwicklung. Was wir brauchen, ist ein Spannungsbogen für die erlebbare Innenstadt, mit Gastronomie, Veranstaltungen und weiteren Angeboten. Innenstädte und Großstadtbezirke, die das umsetzen, gibt es schon. Sie liegen dort, wo die Hausaufgaben gemacht werden, wo der Bürgermeister sich einsetzt, wo investiert wird, das Wohnumfeld stimmt. Es bedarf eines ganzheitlichen Konzepts.

Was muss speziell der unabhängige Buchhandel tun, um zu bestehen?
Einen wichtigen Aspekt sehe ich, wie gesagt, beim Thema Kooperationen. Aber auch die Verlagswelt ist gefordert, wenn sie einen Buchhandel von morgen haben will.


Mehr Denkanstöße in der aktuellen Börsenblatt-Ausgabe - und in einem Schwerpunktheft über Konzentrationsprozesse und Machtverhältnisse, das zur Frankfurter Buchmesse erscheint.