Constanze Kleis über weiße Weihnacht auf dem Buchmarkt

Schnee, der auf Cover fällt ...

5. September 2019
von Börsenblatt
Weiße Weihnacht? Die gibt es bald wohl nur noch auf Bucheinbänden. Constanze Kleis über ein Fest, das seine ökologische Unschuld verloren hat – und das mehr Geist und etwas weniger Make-up vertragen könnte. Mehr zum Thema in der aktuellen Print-Ausgabe des Börsenblatts, im Spezial "Weihnachten & Adventskalender".

Nein, früher war nicht alles besser. Aber es war immerhin weißer. Jedenfalls an Weihnachten. Dass sich der Schnee sacht dazu herablässt, uns ein Bilderbuchfest zu bescheren, ist sehr lange her. Ein nahezu flächendeckendes Weiß gab es zuletzt im Jahr 2010 in Deutschland. Da schneite es, als hätte Frau Holle zu viel Kaffee gehabt.

Die meisten Erwachsenen hätten längst vergessen und die meis­ten Kinder hierzulande niemals erfahren, dass das Fest und Schnee überhaupt einmal zusammengehörten, ohne Weihnachtsbücher. Denn während sich die Winter zunehmend warmlaufen und wir nun alle Jahre wieder darüber nachdenken dürfen, ob wir nicht im Eiscafé einen Aperol Spritz trinken statt auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein, sieht es auf den einschlägigen Covern immer noch so aus, als hätte der Amazonas nie gebrannt.

Als wüsste man noch nichts vom Gletschersterben, von Pestiziden in Weihnachtsbäumen, vom Elend zwangsernährter Gänse, von den CO2-Emissionen, die bei den 330 Millionen Paketen und ihren Plastikverpackungen anfallen, die wir zur Weihnachtszeit verschicken, davon, dass Geschenkpapier eigentlich in den Sondermüll gehört und sogar Kerzen eine Klimabilanz haben können, die so mies ist, dass man sie eigentlich mit Stimmungs­aufhellern verkaufen müsste. Ja, auch das traditionelle Fest hat längst seine Unschuld verloren und ist eine einzige Umwelt­großkatastrophe. Nur bei den Verlagen lebt man noch hinter den Bergen, dort, wo Weihnachten einen ökologischen Fußabdruck hat, der in Kinderschuhe passt.

Hello Gemüsesuppe, Goodbye Weihnachtsgans

Aber was wäre auch die Alternative? Wie viel Realismus verträgt so ein Weihnachtsbuch­umschlag, vertragen die Leser? Eine allenfalls mit Zapfen, Hagebutten und Strohsternen geschmückte Tanne, die in der Garage steht, weil die ökologisch korrekte Variante im Topf keine Wärme verträgt? In Zeitungspapier eingepackte (natürlich selbst gemachte) Geschenke? Gemüsesuppe statt Weihnachtsgans? Bilder eines kargen Festes, wie es allenfalls noch die Kriegsgenera­tion kennengelernt hat? Ausgerechnet bei einem Fest, bei dem es doch darum geht, aus dem Vollen zu schöpfen? Wenigstens an Weihnachten wollen wir noch bei "Wünsch dir was!" ein­checken können und eben nicht bei "So isses!" stecken bleiben. Keinen Tatsachenbericht, sondern eine schöne Illusion.

Darauf basiert schließlich überhaupt das ganze Weihnachtsgeschäft der Werbung, auch auf dem Buchmarkt: uns mit einer herrlichen X-mas-Utopie den Leuchtstreifen zu geben, der uns den Weg zum Notausgang aus dem Alltag weist. Aber gerade deshalb kennen wir auch den alljährlichen Frust, wenn die Unterschiede zwischen Sein und Schein mal wieder zu groß werden, wenn das weihnachtliche Plansoll so hoch hängt, dass man nur noch drankommt, wenn man alles vergisst, was man jemals über CO2-Emissionen, Massentierhaltung und die Arbeitsbedingungen von Paketboten gehört hat.

Man könnte aber auch sagen "make X-mas great again!" und dem Fest das ganze ökologisch zweifelhafte Make-up abschminken und ganz entspannt tun, was wir schon längst hätten tun müssen: uns einfach daran zu erfreuen, zusammenzukommen, gemeinsam zu essen, uns mit Kleinigkeiten zu erfreuen statt Wunschzettel wie Bestellscheine abzuarbeiten, und überhaupt den Geist der Weihnacht zu praktizieren.

Das alles lässt sich auf Bucheinbänden vermutlich nur schwer darstellen. Möglich, dass es deshalb so unverdrossen weiter auf Cover schneit. Bis eines Tages ein Kind sagen wird: Sag mal, was ist eigentlich das weiße Zeugs?