Presse- und Verlegerreise nach Luxemburg

"Als Verleger komme ich mir manchmal vor wie Asterix"

20. September 2019
von Nicola Bardola
Auch in diesem Jahr wird es einen Gemeinschaftsstand Luxemburgs auf der Frankfurter Buchmesse (16.−20. Oktober) geben. Aus diesem Anlass hatte die Agence luxembourgoise d'action culturelle (Alac) in dieser Woche zu einer Presse- und Verlegerreise nach Luxemburg eingeladen. Ein Tour-Bericht. 

"Als Verleger in Luxemburg komme ich mir manchmal vor wie Asterix: Man muss schon mit der Lupe suchen, um unseren Buchmarkt zu entdecken", sagt Marc Binsfeld, Verleger der Éditions Guy Binsfeld. "Für das benachbarte Ausland ist unsere Literaturlandschaft schwer einzuschätzen", so Binsfeld. Um das zu ändern, war Luxemburg 2018 nach vieljähriger Abstinenz zum ersten Mal wieder mit einem Gemeinschaftsstand an der Frankfurter Buchmesse vertreten. Um die Präsenz weiter zu verstärken, organsierte das Kulturministerium Luxemburgs gemeinsam mit vielen Partnern unter dem Dach der Agence luxembourgoise d'action culturelle (Alac) unter dem Motto "Reading Luxembourg" Begegnungen mit deutschsprachigen Verlegern und Medienvertretern. Auch in diesem Jahr wird es einen Gemeinschaftsstand geben, vorab lud Alac vom 16. bis 18. September zu einer ersten Presse- und Verlegerreise nach Luxemburg ein.

"Als ich vor einigen Jahren versuchte, den Verlag Beltz & Gelberg davon zu überzeugen, wie wichtig Lizenzausgaben auch auf Luxemburgisch seien, bekam ich Absagen", berichtet Binsfeld, der festgestellt hatte, dass seine Kunden Schwierigkeiten hatten, den aus Deutschland importierten "Grüffelo" beim Vorlesen simultan in die Muttersprache Luxemburgisch zu übersetzen. Reime und viele sprachliche Eigenheiten bedurften einer sorgfältigen Bearbeitung. Daher wandte sich Binsfeld an den britischen Originalverlag, mit dem er seither kooperiert. Stolz präsentiert die Übersetzerin Martine Schoellen das in Luxemburg bereits ausgelierte neue Buch von Axel Scheffler und Julia Donaldson, das im Deutschen unter dem Titel "Die Schnetts und die Schmoos" erst am 9. Oktober erscheinen wird.

Lesungen im Weingut

Luxemburger Verlage setzen nicht nur auf Bewährtes, sondern wagen Experimente, so u.a. Christiane Kremer, Leiterin des Verlags Kremart, die mit "D’Linn Lynn" ein Bilderbuch für jedes Alter veröffentlicht hat, das spielerisch den optischen Möglichkeiten einzelner Linien nachgeht oder Claudine Muno, die ihr Hörspiel für Jugendliche ab 13 Jahren u.a. auf Vinyl veröffentlicht hat. Auch im Bereich der Leseförderung wird viel unternommen, u.a. mit der Kinderbuchautorenresidenz "Struwwelpippi" in Echternach oder dem "Prix Laurence" für Nachwuchsautoren in Beetebuerg.

"Luxembourg war mir bisher nur bekannt als kleines Durchfahrtsland um nach Frankreich zu kommen. Was für ein Freude, dass ich die Ehre hatte, an der Presse- und Verlegerreise teilzunehmen und neben den wunderbaren neuen Kontakten, die sich ergeben haben, einen wirklich tollen ersten Einblick in dieses Land und seine Literaturlandschaft zu bekommen", freut sich die Lektorin bei Tulipan Anette Beckmann. Sie erfuhr im Bus auf dem Weg nach Schengen zum Weingut Domaine Henri Ruppert gemeinsam mit ihren Kollegen, den Verlagsleitern Christian Ruzicska (Secession) und Daniel Beskos (mairisch) dass sie alle zu den Gewinnern des Deutschen Verlagspreises (siehe Archiv) gehören. Entsprechend wurde im Weingut mit dem hauseigenen Crémant angestoßen. Dort lasen auch die Autoren Ulrike Bail, Jean Portante und Lambert Schlechter aus ihren neuen Werken.

Polyglotter Mikrokosmos

"Die luxemburgische Literaturlandschaft unternimmt mit dem Messeauftritt in Frankfurt und der vorgehenden Presse- und Verlegerreise nach Luxemburg jetzt deutliche Schritte, sich im restlichen deutschen Sprachgebiet bekannt zu machen. Unsere Erfahrungen hier im Land waren überraschend vielseitig, und es ist gut, mit verschiedenen Akteuren und Institutionen nun in engerem Austausch zu sein", erklärt Daniel Beskos.

Secession-Verleger Christian Ruzicska sprang in Luxemburg ins Auge, "wie unglaublich gewandt seine Menschen zwischen drei und meistens auch vier Sprachen wechseln und in diesen Sprachen auch schreiben. Auf kleinstem Raum birgt es Autoren, die auf Englisch, Französisch, Deutsch und Luxemburgisch ihre Texte verfassen, man fühlt förmlich die Leichtigkeit, mit der sie in diesen Sprachräumen zuhause sind und damit den geographischen Raum sofort vergrößern, in dem sie leben. Und sie tun dies allen Widrigkeiten, die ein so kleiner Markt bietet, zum Trotz. Der Elan, die Authentizität, mit dem denen die Literaturschaffenden hier arbeiten, hat etwas sehr Erfrischendes, Ehrliches", so Ruzicska.

Die vielen neuen Impulse gehen nicht zuletzt von der Kulturministerin Sam Tanson und dem Präsidenten des Luxemburgischen Verlegerverbandes mit insgesamt 22 Mitgliedern Ian de Toffoli aus. "Wir müssen die bestehenden Kooperationen vor allem auch in vertrieblichen Fragen mit Deutschland stärken", so Toffoli, der selbst auch Autor und Verleger der Hydre Editions ist. Insgesamt erscheinen jährlich etwa 80 belletristische Titel und Kinder- und Jugendbücher in 30 Verlagen. Zwei von Tofolis Autoren waren kürzlich Gäste im Literarischen Colloquim Berlin: Unter dem Motto "Gelebte Mehrsprachigkeit" lasen Elise Schmit im Institut Pierre Werner anlässlich der Verlegerreise aus "Stürze aus unterschiedlichen Fallhöhen" und Jeff Schinker aus "Sabotage".

"Eigentlich ist Luxemburgisch ja ein Dialekt", scherzte Institutsleiter Oliver Frank und führte damit in die komplexe und dynamische linguistische Situation Luxemburgs ein. Einerseits wird das Luxemburgisch immer mehr als Literatur- und vor allem auch als Theatersprache entdeckt, andererseits orientieren sich die Autoren an deutsch-, französisch- und englischsprachigen Vorbildern. Mit der starken Zuwanderung gewinnt auch das Portugiesische an Bedeutung. Insofern hat sich die Literatur in Luxemburg von grenzregionaler Minderheitenliteratur längst verabschiedet. Der polyglotte Mikrokosmos gewinnt stattdessen an Modellcharakter in einer zunehmend nomadisierenden Welt. Sind in der Schweiz die zwischen den vier Territorien (Deutschschweiz, Romandie, Tessin, Graubünden) verlaufenden Sprachgräben tief, gehen in Luxemburg die verschiedenen Idiome Symbiosen ein, wie es Jeff Schinker in seiner viersprachigen Prosa vorführt. 

Fnac expandiert nach Luxemburg

Egal in welcher Sprache Autoren in Luxemburg veröffentlichen, wo schon fast die Hälfte der Bevölkerung nicht luxemburgisch ist, archiviert wird alles im Centre national de littérature (CNL) in Mersch. Der Direktor Claude D. Conter legt großen Wert auch auf das Bewahren von Requisiten aller Art im Zusammenhang mit dem literarischen Leben bis hin zu Kassetten von Anrufbeantwortern, besonderen Hochzeitskleidern oder gar Einkaufszetteln, lauter Dokumente, die in stets wechselnden Themen-Ausstellungen dem Publikum zugänglich gemacht werden. Auch die zentrale Plattform für alle Fragen rund um das Buch in Luxemburg verwaltet das CNL: www.autorenlexikon.lu.

Um die Autoren- und Verlagsförderung ist es in Luxemburg gut bestellt. Hingegen vermisst man die Präsenz des Buches im Straßenbild. Platzhirsch ist mit sechs Filialen die traditionsreiche und familiengeführte Kette Ernster (gegründet 1889), die in Luxemburg Stadt auch einen rein englischsprachigen Laden führt. Aber mit nur gut einem halben Dutzend weiterer Buchhandlungen für die 600.000 Einwohner in ganz Luxemburg ist der stationäre Handel vor allem aufgrund hoher Mieten bedroht. "Die Zusammenführung des Verbands des Buchhändler mit dem Verlegerverband steht auf meiner Agenda", sagt Toffoli. Vielleicht kommt auf diese Weise die Stärkung der einheimischen Handelsstruktur nicht zu spät. Die im Durchschnitt kaufkräftige Bevölkerung Luxemburgs weckt Begehrlichkeiten: In einem großen, zentral gelegenen Gebäude, das noch 2019 am Boulevard Royal neu eröffnet wird, zieht nicht nur Lafayette ein, sondern auch der französische Buchhandelsriese Fnac.

Neue Edward Steichen Biografie

"Dass die auf Deutsch schreibenden Luxemburger Autoren ebenso zur deutschsprachigen Literatur gehören wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus Österreich und der Schweiz und dass es in Luxemburg viel zu entdecken gibt, ist glaube ich allen Teilnehmern dieser Reise bewusst geworden. Ebenso spannend war es aber auch, die ganz selbstverständlich gelebte, europäische Mehrsprachigkeit der Luxemburger im Alltag live zu erleben", sagt Ulrike Ostermeyer, freie Lektorin und Editor at Large beim Kampa Verlag. Sie berät und unterstützt die Alac in Fragen rund um das Internationale Verlagswesen, bei Buchmessen, beim Aufbau von Netzwerken und hat in diesem Kontext die Reise initiiert und die Teilnehmer ausgewählt.

Zu den weiteren Höhepunkten der literarischen Luxemburg-Tour gehörten die Besichtigungen der historischen Sammlung "The Familiy of Man" im Schloss Clervaux, der "Maison de Victor Hugo" in Vianden und der Nationalbibliothek noch vor ihrer Eröffnung: "Wer in der schönen Schweiz Bücher machen darf, ist nicht leicht zu beeindrucken. Luxemburg mit seiner vielfältigen Literaturlandschaft und phänomenalen neuen Nationalbibliothek ist das auf jeden Fall gelungen", sagt Elena Rittinghausen, Lektorin bei Nord Süd. Fast alle Buchhandlungen in Luxemburg präsentieren die einheimischen Autoren meist etwas versteckt in Regalen für Luxemburgensia. In den Schaufenstern dominieren die bekannten deutschen und französischen Autoren. Die Frage der Systematik wurde bei einem Dinner im Café litteraire "Le Bovary" diskutiert. Die Nationalbibliothek geht nun neue Wege und mischt die einheimischen Autoren je nach Gattung unter die ausländischen.

Einen Höhepunkt am Gemeinschaftsstand Luxemburgs in Frankfurt wird die Buchpräsentation der neuen Biografie "Edward Steichen" (Éditions Saint Paul) sein: Der Leiter des "Trier Center for American Studies" an der Universität Trier Gerd Hurm ermöglicht damit eine Wiederentdeckung des in Luxemburg geborenen Multitalents Steichen. Alle Veranstaltungen werden auf www.readingluxemburg.lu bekanntgegeben.