Zum Lesen hat man immer Zeit

"Wir nehmen die alle"

18. Oktober 2019
von Börsenblatt
„Literatur hat die magische Gabe, die Zeit zu verändern.“ Mit diesen Worten eröffnet Moderator Thomas Böhm die Podiumsdiskussion, zu dem arte und der Börsenverein eingeladen haben. Auf der Bühne: Sarah Wiener, TV-Köchin und Europaabgeordnete, und Martin Rabanus, kultur- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

„Literatur liegt mir in der DNA“, erzählt Sarah Wiener. Die Köchin und Autorin ist die Tochter des Schriftstellers Oswald Wiener. Dass ihr vorgelesen wurde, kann sie sich nicht erinnern, aber an eine Situation denkt sie besonders gerne: Bei einem Besuch in einer Wiener Buchhandlung mit ihrem Vater konnte sie sich als kleines Mädchen zwischen all den schönen Kinderbüchern nicht entscheiden. „Wir nehmen die alle“, sagte ihre Vater kurzerhand und deutete auf den ganzen Stapel. Die Lieblingshelden ihrer Kindheit waren Tim und Struppi -  gelesen hat sie die Comics in französischer Originalsprache.

Martin Rabanus war zum ersten Mal im Kindesalter auf der Frankfurter Buchmesse. Der aus Fulda stammende Politiker berichtet, dass sein Vater der erste Akademiker einer Bauernfamilie war. Sein Vater habe ihm und seinen Brüdern den „intellektuellen Kosmos“ nahegelegt. Entsprechend wichtig sei das Lesen in seiner Jugend gewesen: „Lesen ist mir wichtig, um etwas über mich selbst zu entscheiden und war entscheidend in meiner Politisierung.“ Zu seiner politischen Vergangenheit – Rabanus war in den 80ern bei der Antifa - gehöre auf jeden Fall Bertolt Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Das Stück ist eine Parabel auf den Aufstieg Hitlers – bei Brecht in Form eines Gangsterimperiums.

Sarah Wiener hat früher vor allem das gelesen, worüber ihre älteren Freunde gesprochen haben: Hesses „Siddharta“ oder Werke von Kafka, „Bücher, die ich damals nicht verstanden habe“, so Wiener. Heute liest die TV-Köchin, um ihren „Horizont zu erweitern und um in fremde Welten zu flüchten“. Eine prägende Lektüre, wegen der „wahnsinnig faszinierenden Sprache“, sagt sie, sei für sie „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil gewesen.  Auf der Buchmesse freut sich Wiener vor allem darauf, Bekannte aus Verlagen und Freunde wiederzutreffen. Überfordert sei sie jedoch von der Masse an Büchern. „Ich fühle mich hier wie im Gewürzladen mit 10 unterschiedlichen Garam Masala-Mischungen.“ Martin Rabanus findet gerade diese Vielfalt spannend und besucht Verlagsstände selektiv. „Hier finde ich auch Dinge, die ich in meiner Dorfbuchhandlung nicht finde.“