Friedenspreis: Gespräch mit Schülern

"Achtet darauf, dass Euer Beruf für das Leben der Gemeinschaft Bedeutung hat"

20. Oktober 2019
von Börsenblatt
Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado wurde am heutigen Sonntag mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Am Vortag, bei der Generalprobe, wurde ein besonderes Treffen ermöglicht: Aleida und Jan Assmann, die Friedenspreisträger des Vorjahres, und Jugendliche konnten sich in der Frankfurter Paulskirche mit Salgado austauschen.

„Trotz des Reichtums und der Schönheit sah ich auf der Reise hierher auch ein ökologisches Desaster,“ berichtet Sebastião Salgado den Schülern: „Die Wälder hier sind keine Wälder, sondern Monokulturen,“ es fehle an Biodiversität. Die Schülergruppen der Goetheschule Neu-Isenburg, der Internatsschule Schloss Hansenberg, der Otto-Hahn-Schule in Hanau und des Meitner-Gymnasiums Falkensee bei Berlin hatten sich gut vorbereitet. Klimafragen und die Folgen einer „räuberischen Ökonomie“ rückten dabei ins Zentrum des Gesprächs.  

„Was müssen wir jetzt tun, um die Schönheit der Natur, die Sie in Ihrem Fotoband ‚Genesis‘ festgehalten haben, zu bewahren?“ fragt ein Schüler der Otto-Hahn-Schule. „Wir müssen zurück in die Wälder gehen,“ antwortet Salgado mit sanfter Stimme und klarer Eindringlichkeit. Wie in seinem fotografischen Werk lenkt er den Blick auf die wesentlichen Zusammenhänge. Es gelte, den Monokulturen, die er vor dem Zugfenster gesehen habe, mit Hilfe lokal eingesammelter Samen mehr Biodiversität zu ermöglichen und in regional Biotope zu verwandeln.

Die Frage, ob er sich als Aktivisten bezeichnen würde, verneint Salgado zwar entschieden, dennoch ist im Gespräch mit den Schülern spürbar, wie sehr er die junge Generation zu einem engagierten Leben ermuntern möchte. „Ihr könnt jeden Beruf ergreifen, der Eurem Interesse entspricht,“ sagt er. „Doch achtet darauf, dass er für das Leben der Gemeinschaft Bedeutung hat.“

Salgado selbst hat zunächst Ökonomie studiert, bevor er sich zu einem Leben als Fotograf entschied. Immer stärker stellte er mit seiner Kamera soziale Themen in den Mittelpunkt seiner Arbeit. „Ich wollte vom Elend, das ich zuhause und in anderen Teilen der Welt gesehen habe, in meiner Sprache sprechen“, erzählt er. Diese Sprache sei für ihn bis heute die Fotografie.

Vor einigen Jahren wandte sich der weithin bereits renommierte Fotograf einem weiteren Thema zu: Er gründete das „Instituto terra“ und leitete damit die Wiederaufforstung seiner Heimatregion in Brasilien ein. Weltweit bekannt wurde dieses Projekt Salgados erst durch den Dokumentarfilm „Das Salz der Erde, den Wim Wenders zusammen mit dem Sohn Juliano Ribeiro Salgado  gedreht hat.

Umwelt ist nicht „peanuts“ betont Salgado. Wenn es in Indien Wassermangel gebe, habe dies auch mit dem fehlenden Wald dort zu tun. Ähnliche Gefahren drohten der Welt, wenn große Waldflächen im Amazonasgebiet kurzfristigen Gewinninteressen einer „räuberischen Ökonomie“ geopfert würden.

Auf die Frage, ob er es noch aushalten könne, die eigenen Bilder vom Leid der Welt anzuschauen, antwortet Salgado: „Die Bilder, die vor zwanzig Jahren entstanden sind, sind heute noch genauso aktuell.“ Der Reichtum Deutschlands, erklärt der Ökonom den Schülern, sei mit Hilfe von Menschen weltweit entstanden. Deutschland habe beispielsweise die Autobahnen nicht nur mit dem Geld der Deutschen gebaut, sondern mit dem Geld des gesamten Planeten. „Ich habe an vielen Orten der Welt gelebt,“ erklärt er. Ein Bauer in Ruanda, Burundi oder Tansania arbeitet von sechs Uhr früh bis spät in den Abend, dennoch könne er sich weder Schuhe, ein Haus, ein Auto oder ein Bankkonto leisten. Den Preis für den Tee und Kaffee, den er produziert, lege der Bauer nicht selbst fest, er entstehe als „negativer Preis“ in Paris, Chicago oder London. Erst, wenn Arbeit weltweit angemessen bezahlt und Wohlstand korrekt verteilt werde, werde soziale Gerechtigkeit entstehen.

Auch auf die Gefahr eines Wiedererstarken diktatorischer Kräfte in der Welt macht Salgado am Beispiel Brasiliens aufmerksam. Während Menschen in Deutschland im Frieden leben, könnten an anderen Orten der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfolgen. Das Wissen um diese Ungleichzeitigkeit solle immer bewusst bleiben und trage mit dazu bei, sagt Aleida Assmann auf eine Schülerfrage, der Sorge um ein "Nie wieder" konstruktiv zu begegnen.