Nicole Potzel zum Anti-Nazi-Statement der Buchhandlung Gossens

"Unsere Kunden sind Freigeister"

7. November 2019
von Börsenblatt
Die Buchhandlung Gossens in Düsseldorf-Oberkassel hat kurz nach dem Anschlag in Halle im Oktober ein ziemlich spektakuläres Schaufenster zum Thema Mauerfall mit Anti-Nazi-Statement gestaltet. Wie das bei den Kunden ankam und wie sie bei der Planung ihrer Fenster vorgeht, erklärt Nicole Potzel, gelernte Buchhändlerin, Kunsthistorikerin und Restauratorin und verantwortlich für die Schauwerbegestaltung im Team der Buchhandlung. 

Was sagen die Kunden der Buchhandlung Gossens zum Mauerfall-Fenster mit Anti-Nazi-Slogan?
Ich hatte zuerst Bedenken ob des anzüglichen Wörtchens ohne Vokale - wie es sich zeigt, wird es sehr positiv bis begeistert angenommen, es wurde unter anderem geäußert, dass die Nazi-Kritik in dieser Form durchaus dezent vermittelt wird. Zum Glück dürfen wir überwiegend "richtig" tickende Kunden bei uns begrüßen, intellektuell bewegliche Freigeister ohne jeglichen Starrsinn, egal in welcher Altersgruppe, dafür mit der nötigen Portion Empathie und Haltung gegen Rechts :) Ein neutrales, extrem gut gestaltetes Krimi-Cover-Plakat mit dem ausgeschriebenen Titelwort "Fuck you very much" wurde dagegen von einer Kundin als arg anstößig empfunden...

Sie haben in Ihrer Buchhandlung eine völlig homogene Kundschaft?
Nein, nein. Es gibt zum Beispiel auch einen bekennenden AfD-Verfechter, der unter anderem versucht, uns zu Titel-Bestellungen aus dem Kopp Verlag zu ermuntern, aber da erntet er nur müde Blicke. Zum Fenster hat er nichts gesagt. Da der Spruch "Fck Nzs" auf etlichen Aufklebern durch die Stadt getagged und auch auf Wahlplakaten der Partei Die Partei inzwischen ständig zu lesen ist, wird er wohl als salonfähig betrachtet.

Sie sind nicht nur gelernte Buchhändlerin, sondern auch Kunsthistorikerin, Restauratorin und seit vielen Jahren für die Schaufenster der Buchhandlung zuständig, also Profi. Wie aufwändig war die Gestaltung des Fensters?
Die Idee, zum dreißigjährigen Mauerfall ein Sonderfenster zu kreieren, hatte ich schon länger und in meinem Kopf war da das bekannte Bild des Trabant, der durch die Mauer rast. Da ich vorher in einer Schaufenster-Sonderdekoration der vier Fenster zum Thema "Wo liest Du am liebsten?" beim "stillen Örtchen" eine Maueroptik verwendet hatte,  konnte ich diesen Hintergrund schon mal weiterverwenden. Für mein Malen habe ich mich übrigens von einem Foto aus dem Netz von der Künstlerin Birgit Kinder inspirieren lassen. Im Fenster steht deshalb auch unten rechts neben der Malerei "frei nach Birgit Kinder".

Können Sie das konkreter sagen? Von der Ideenfindung bis zum Finish - wie lange hat die Gestaltung dieses Fensters gedauert?
Für die Malerei habe ich etwa eineinhalb bis zwei Stunden gebraucht. Das gesamte Drumherum mit Fenster ausräumen, Stoffe, alte Deko und Ware wegräumen, neue Ware zusammensuchen und auspreisen, Malutensilien und Auslage vorbereiten und anschließende Reinigung der Werkzeuge etc., etc... bis hin zum eigentlichen in Szene setzen hat es fünfeinhalb Stunden gedauert. Das Ausstellungsposter zur aktuellen DDR-Kunst im Museum Kunstpalast in Düsseldorf hatte ich zuvor speziell dafür geordert.

Arbeiten Sie häufiger mit selbstgemalten Bildern im Schaufenster?
Ich lasse schon gern kreative Eyecatcher einfließen, so zum Beispiel kürzlich die Malerei direkt auf der Glasoberfläche bei den Schaufenstern zum Thema "Wo liest du am liebsten?" Wir arbeiten auch sehr gern mit selbst gestalteten Schriftzügen und eigenen Bastelarbeiten - wobei hier auch meine Kollegen im Gossens Junior Laden sehr kreativ sind.

Haben Sie ein Beispiel?
Ein ganz besonderes Fenster mit Schriftzügen hat unser Azubi Lukas Ballnat zum Welttag des Buches im April gestaltet! Er hat Zitate weltberühmter Persönlichkeiten auf die Leidenschaft des Lesens textlich frei modifiziert - und zur Bedeutung des lokalen Buchhandels in Bezug gesetzt. Die "Spruchblasen" haben wir auf Leinwand aufgezogen und dann in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Natürlich haben wir unsere Kunden auch aufgefordert, sich eigene Sprüche auszudenken. Das Fenster kam fantastisch gut an. Ich denke, wir werden die Aktion zum 23. April 2020 wiederholen.

Fragen: Sabine van Endert