90 Jahre Bücherstube Marga Schoeller

"Wir rücken auch die leiseren, stilleren Bücher in den Mittelpunkt"

18. November 2019
von Börsenblatt
Mit 250 Gästen samt Kultursenator hat am Samstag die legendäre Bücherstube Marga Schoeller in der Berliner Knesebeckstraße ihren 90. Geburtstag gefeiert. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Ruth Klinkenberg über die Umbrüche, die Gründerin und wie es weitergeht.

Frau Klinkenberg, von den 90 Jahren des Bestehens sind Sie schon 47 Jahre dabei: Welche großen Umbrüche hat die Bücherstube in diesen Jahren mitgemacht?

Der erste Umbruch war der Umzug 1974 vom Kurfürstendamm in die Knesebeckstraße 33, wo zwei Ladenräume zu einer 150 Quadratmeter großen Verkaufsfläche und Nebenräumen umgebaut wurden. Wir konnten zum Glück viele Stammkunden mitnehmen; die Knesebeckstraße hat sich erst später zu einer Buchhandlungsmeile entwickelt.

Der zweite Umbruch war 1979 die Umwandlung der Bücherstube in ein Kollektiv mit zehn Gesellschaftern, das etwa 20 Jahre existierte. Das hat den Weiterbestand der Firma nach dem Tod von Marga Schoeller garantiert. Wir haben damals begonnen, auch wieder mehr Lesungen zu machen, Imagewerbung, das zahlt sich bis heute aus.

Der dritte Umbruch war der Mauerfall, mit dem sich der Westberliner Buchhandel grundlegend geändert hat, von den Auslieferungen bis zu neuen Passantenströmen. Da eröffneten große Filialisten wie Fnac und Virgin um die Ecke und wir gaben eine Anzeige im Berliner "Tagesspiegel" mit diesem Text auf: "David grüßt Goliath in Berlin". Und die waren tatsächlich bald nicht mehr da. Andere Buchfilialisten kamen erst ab 1997 nach Berlin. Wir haben dann auch auf Computertechnik umgestellt und den ersten Computer noch in einem Gehäuse aus Holz versteckt, weil wir Sorge hatten, dass die Kunden das als nicht so zu unserer Bücherstube passend aufnehmen würden.

 

Wie sind Sie zur Bücherstube gekommen?

Ich habe meine Buchhändlerlehre im Ruhrgebiet gemacht, kannte Schoellers Ruf bereits und hatte bei einem Berlin-Besuch die Buchhandlung aufgesucht: Das war eine besondere, unkonventionelle Atmosphäre, sehr kommunikativ, auch der Umgang der Kollegen untereinander. Da wollte ich hin. Es dauerte dann noch über zwei Jahre, bis ich mitbekam, dass bei Schoeller eine Stelle frei wurde.

 

Marga Schoeller ist ja eine Legende: Was haben Sie von ihr bis heute "mitgenommen"?

Sie war jeden Tag im Laden, immer den Kunden zugewandt, und wollte nicht nur die prominenten Bücher zeigen, sondern rückte auch die leiseren, stilleren Bücher in den Mittelpunkt. Das ist uns heute immer noch wichtig. Und was wir übernommen haben, ist ihre Art der Schaufenstergestaltung: Dort gab es immer viel zu lesen für den Betrachter, die Kunden standen auch nach Ladenschluss oft lange vor der Auslage. Wichtig ist uns auch heute nach wie vor die Pflege unserer großen englischsprachigen Abteilung, die von ihr begründet worden ist.

 

Es heißt, Marga Schoeller habe sich, obwohl sie viel älter war, auch gut mit den rebellischen 68ern verstanden.

Sie konnte sehr dezidierte Meinungen haben, war aber immer ungemein aufgeschlossen und neugierig. Sie fand den Protest und den Hunger der Studenten nach theoretischer Literatur wichtig und hatte alle diese Titel da, das gehörte für sie zu einem anspruchsvollen Sortiment dazu. So war die Bücherstube auch in dieser Zeit ein Treffpunkt: Man verabredete sich bei Schoeller.

 

Ist das heute noch so?

Ja, bei uns verabreden sich immer noch Kunden. Manchmal staune ich und denke: Ach, die kennen sich? Es ist schön, dass unsere Buchhandlung ein Ort für den Austausch untereinander ist.

 

Wie war das große Fest am Samstagabend?

Es sind mehr als 250 Leute gekommen, damit hatten wir gar nicht gerechnet. Es war ein rundum schöner Abend mit Kundinnen und Kunden, Kolleginnen und Kollegen aus der Branche und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben eine Festschrift herausgegeben, zehn eigene Lesezeichen vorgestellt, mit Autographen von prominenten Persönlichkeiten aus unserem ersten Gästebuch, und wir haben und gefreut, dass der Berliner Kultursenator Dr. Klaus Lederer und Hanns Zischler gesprochen haben.

 

Seit 2017 ist die GmbH wieder in Familienbesitz übergegangen: Florian Schoeller, ein weitläufiger Verwandter von Marga Schoeller, hat die Gesellschafteranteile übernommen. Wie geht es nach dem 90. Geburtstag der Bücherstube weiter?

Ich habe absolut fähige Mitarbeiterinnen, die meine Position als Geschäftsführerin eines Tages übernehmen könnten, ich hoffe darauf. Wir haben eine gute Laufkundschaft und inzwischen kommen auch wieder viele Touristen in den Westteil der Stadt. Außerdem haben wir 60 Prozent Stammkundschaft, und da ist es wichtig, dass die Geschäftsführung diese Kunden wirklich kennt. Ab und zu hilft auch Florian Schoellers älteste Tochter im Laden aus, wer weiß, vielleicht wird auch sie eines Tages mal die Familientradition übernehmen.

Impressionen der Geburtstagsfeier in der Bücherstube finden Sie in der Bildergalerie.