Die Sonntagsfrage

Warum tun Sie sich den Stress von Lesereisen an, Frau Gomringer?

3. Januar 2020
von Börsenblatt

Nora Gomringer passt sich nicht ein in Dichterinnen-Klischees, im Gegenteil: Statt Stille und Rückzug zu suchen, ist sie schon mal die Hälfte des Jahres für Lese-Reisen unterwegs – neben ihrem Job als Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Warum sie in Zügen dichtet und Kettenhotels an Bahnhöfen bevorzugt, erzählt sie in der Sonntagsfrage.

Sie sind seit 20 Jahren mit Ihren Texten unterwegs – warum tun Sie sich den Stress von Lese-Reisen an?
Lese-Reisen sind anstrengend, aber sie sind auch Zeichen von Distinktion und geben viel zurück. Da laden Leute einen ein, die man nie getroffen hätte. Leserinnen und Leser! Fans! Es ist manchmal wie ein Wunder. Ich halte ein Ticket für Mumbai in der Hand und frage mich wie in Trance, wie ich da dran gekommen bin, und realisiere, dass ich dahin fliegen soll, WEIL ich Gedichte schreibe und die Leute sie dort hören möchten. Irre ist das.

Geht es vor allem um die Begegnungen oder auch ums Honorar?
Um beides. Ich habe in der Regel ein recht hohes Veranstaltungshonorar für Soloauftritte. Das halte ich ein, mache nur Abweichungen davon für Bildungseinrichtungen, das Goethe Institut und zwei Mal im Jahr für einen guten Zweck. Die Reisen lohnen fürs Seelische immer, obwohl ich währenddessen auch oft denke: Warum tue ich mir das an? Manche Reisen sind so einsam-machend, so trist und anstrengend, dass man zwischendurch sehr zweifelt. Erleichtert bin ich immer, wenn ich mit Schlagzeuger Philipp Scholz reisen und auftreten kann. Das ist eingespielt, fängt viel auf und ist immer herzlich. Die Stimmung trägt sich in den Auftritt hinein, erzeugt andere Intensitäten.

Wenn Sie mit Ihren Texten unterwegs sind – wie erleben Sie die Unterschiede zwischen großen Städten und der Provinz?
In kleinen Städten bin ich voller Bewunderung für die hartnäckige Kulturarbeit, die meist freiwillig, unentgeltlich geleistet wird. Leute sind manchmal jahrelang hinter mir her, und ich käme mir schäbig vor, wenn ich da nicht besonders gute Leistung bringen würde. In kleinen Orten zählt so ein Abend oft einfach mehr. Und schön dabei ist: Meist ist es randvoll. In großen Städten sind die Strukturen fest und (sicher) finanziert, man freut sich, Teil einer gutgehenden Maschinerie zu sein, trifft liebe Kolleginnen und Kollegen, und natürlich lernt man Künstlerhäuser, Literaturhäuser, Bühnen gut kennen.

Was ist Ihnen vor allem wichtig bei Lese-Reisen?
Ich mag es, wenn Veranstalter Hotels buchen, die direkt am Bahnhof liegen. So kann man maximal lange im Zimmer bleiben, ohne auf Bahnsteigen zu frieren. Niemals mag ich privat untergebracht sein! Zu viele Erwartungen! Es gibt nur sehr wenige Menschen, bei denen Künstler schlafen können und nicht damit überfordert sind, Gast zu sein. WLAN muss sein und gerne ein Kettenhotel. Ich mag es einfach, nicht nach Steckdosen etc. suchen zu müssen, nach dem Auftritt gleich ins Zimmer zu können, noch etwas Yoga zu machen und ab ins Bett.

Wie gestalten Sie den Morgen nach der Lesung?
In der Regel verlasse ich die Hotels vor dem Frühstück, um einigermaßen früh wieder in Bamberg mit dem Zug anzukommen und im Büro sein zu können. Sind Reisen im Rahmen einer Tour aneinandergelegt, nehme ich Urlaub und genieße es, morgens in der neuen Stadt zu joggen und dann erst weiterzufahren. Das sind Routinen, die man einhalten muss, sonst ist man verloren. Tour heißt für mich: Disziplin.

Wann finden Sie bei all dem Zeit zum Dichten?
Ich schreibe immer im Zug oder morgens im Bett. Das sind die einzigen Orte, an denen es seit Jahren funktioniert. Manchmal noch auf dem Sofa, aber zu Hause fehlt mir oft die Zeit, der Mut, das köstliche Lustgefühl, etwas zu schreiben. Wenn ich in Bamberg bin, bin ich ganz meiner Aufgabe als Direktorin verpflichtet. Ich nehme zudem gerne Schreibaufträge an, aus denen für mich im Stillen wieder Texte werden. Als Lyrikerin habe ich ständig „Schreibausfall“, ich nenne das aber „Aufgehen“ wie bei einem Teig.

Was meinen Sie damit?
Ideen und Sprache, Gehörtes, Gesagtes, Gesammeltes findet sich ein, formiert sich, geht auf, macht Sinn und wenn ich mich dann hinsetze und mal etwas eigenes, also etwas „für mich“ schreibe, wie die Gedichte im neuen Band „Gottesanbieterin“ (März 2020 bei Voland & Quist), dann ist es ein intensives Kneten, Backen, Herstellen.