Die Sonntagsfrage

Was verstehen Sie unter einer Ökologie des Verlegens, Herr Wenzel?

24. Januar 2020
von Börsenblatt

Im März erscheint bei Spector Books die "Ökologie des Verlegens", eine grundsätzliche Betrachtung über die Zukunft des Verlagsgeschäfts. Weniger Bücher? Bessere Bücher? Ressourcenschonend hergestellte Bücher? Was sich hinter dem Titel verbirgt, erklärt Jan Wenzel, einer der drei Spector-Books-Verleger.

In unserer Publikation "Bücher haben Zeit. Für eine Ökologie des Verlegens" gehen wir von zwei Überlegungen aus: 1) Die aufziehende Klimakrise ist nichts anderes als eine Krise der gegenwärtigen Formen der Produktion, Distribution und des Konsums. 2) Das Medium Buch bildet ein eigenes System, eine eigene "Umwelt", für die wir Verantwortung tragen und die wir als Verlag mit unseren Entscheidungen beeinflussen. Wie also müssten wir handeln, um eines der robustesten Kommunikationsmittel, das Menschen geschaffen haben, auf kluge und verantwortungsvolle Art zu nutzen?

Unser Buch hat einen Vorlauf von zwei Jahren. Einige Überlegungen haben wir bereits in Vorträgen vorgestellt und diskutiert. Im vergangenen Herbst beschlossen wir im Verlag, es zu einem gemeinsamen Projekt zu machen, an dem alle, die bei Spector Books arbeiten, beteiligt sind. Eine erste Frage war: Was macht das Ökosystem "Buch" aus? Um sie zu beantworten, haben wir mit unterschiedlichen Menschen gesprochen: mit Druckern und Bibliothekarinnen, mit Autorinnen und Buchändlern, mit Distributoren, Grossisten, Ramschern und einer Second-Hand-Verkäuferin, die in New York mit gebrauchten Büchern auf der Straße handelt. Und wir haben uns selbst in unserem Alltag beobachtet, wie wir mit Büchern leben; wo wir sie kaufen, wie sie uns begleiten und wie wir sie wandern lassen.

Ist ein Buch einmal in der Welt, bleibt es für lange Zeit greifbar. Wie schwierig ist es dagegen, eine zehn Jahre alte Webseite wiederzufinden. Bücher können warten. Darum ist die Frage, wieviel Zeit investieren wir in sie? Unser Plädoyer ist: Weniger aber besser durchgearbeitete Bücher zu produzieren. Bücher, zu denen man immer wieder zurückkehrt. Überlegter im Umgang mit dem Material, reicher im Wechselspiel von Texten und Bildern, in der Gestaltung und in den materiellen Entscheidungen von Papier und Druck. Eine solche Fokussierung hat weitreichende Folgen: Sie verschafft der Backlist eine größere Bedeutung, statt hoher Frequenz Langlebigkeit.

So wichtig die Diskussion darüber ist, ob Bücher eingeschweißt werden sollen oder nicht, die Fragen, die eine Ökologie des Buches aufwirft, gehen weit darüber hinaus. Eine der zentralen  betrifft unser Verständnis von Zeit. Unsere Wahrnehmung braucht einen größeren Radius, die Neuigkeiten des Tages genügen nicht mehr, denn die Geschichte, alle zurückliegenden Zeiten, ragen in jeden einzelnen Tag hinein: das ist das kleine Einmaleins des Anthropozän. Wir müssen lernen, uns mit diesen langen Zeiträumen vertraut zu machen, und Bücher können uns dabei eine große Hilfe sein. Die Leipziger Drucker wussten bereits 1640: "...daß jetzt manch tapfer Mann/ Der längst verfaulet liegt/ Mit mir noch reden kann/ Auch ohne Zung und Mund: Daß du dem recht kannst kennen/ Den du nie hast gesehn/ Ja ihn mit Namen nennen/ Und wissen, was er gewußt … Das macht die Drucker-Kunst." – Auch das wäre ein Baustein für eine Ökologie des Verlegens.