Corona: Wie ist die Situation im Buchhandel vor Ort?

Ladenmieten aussetzen

17. März 2020
von Börsenblatt
Allerorten bevorraten sich Kunden noch, bevor Buchhandlungen schließen müssen – aber nach dem Tag X kommen die Fragezeichen. Wie es in einzelnen Buchhandlungen läuft und warum Immobilienbesitzer in die Pflicht genommen werden sollten: Ein Situationsbericht.

Kundinnen ermutigen in Niedersachsen

Als bekannt wurde, dass Kindergärten und Schulen schließen, hat es in vielen Buchhandlungen einen Run gegeben: "Wie beschäftige ich die Kinder zu Hause? haben sich alle gefragt und sofort gekauft oder bestellt", berichtet Iris Hunscheid von der Buchhandlung Hoffmann im niedersächsischen Achim. "Auch meine Erfa-Kolleginnen haben gesagt: Ein Geschäft wie an Nikolaus, mit durchschnittlich hohen Bons, jeder bevorratet sich." Eine Kundin hat gleich für 120 Euro geordert, und gesagt, wie wichtig gerade in diesen Zeiten die Buchhandlungen seien – "kein Einzelfall. Das ist ermutigend für uns". Kinderliteratur, Tonies, Lernspiele, Beschäftigung waren gefragt, auch in Hunscheids zweiter Buchhandlung Jost in Bonn, wo noch geöffnet sein darf. Im Gegensatz zu Achim, wo wie in ganz Niedersachsen seit heute früh die Türen geschlossen sind. Ausnahmen gibt es: Die Buchhandlung Friedrich Netzel in Worpswede etwa hat einen Paketannahmedienst und Zeitschriften und darf deswegen weiterhin geöffnet bleiben.

Iris Hunscheid liefert im Stadtgebiet nun mit Fahrrädern aus, in den Ortsteilen mit Auto und sonst mit DPD. Insgesamt fühlen sich die Buchhändler wie auch die anderen Einzelhändler von den Behörden relativ alleingelassen. Was Hunscheid wundert: "Warum redet niemand davon, auch die Immobilienbesitzer in die Pflicht zu nehmen? Alle erwarten, dass die Unternehmen auf die gewohnten Einnahmen verzichten und die Mitarbeiter durch Kurzarbeit auf die gewohnten Gehälter und das irgendwie stemmen werden – aber niemand davon, dass Immobilienbesitzer einmal eine Monatsmiete aussetzen. Eigentum verpflichtet – und wann, wenn nicht jetzt, ist Solidarität von allen gefordert und nicht nur von einigen."

Kooperation mit Handwerksbetrieben in Bremen

Trotz der Ungewissheit, dass man nicht weiß, wie lange die Schließungsverfügung dauern wird, seien die meisten Kolleginnen recht optimistisch, meint Hunscheid, die auch Sprecherin der IG Unabhängiges Sortiment ist. Das sieht auch Irene Nehen von der Buchhandlung Melchers im benachbarten Bremen so, bei der heute "die Hölle los ist: Es ist brechend voll, jeder bevorratet sich, wir nehmen jede Menge Bestellungen entgegen." Vergangene Woche schnellten die Kinderbuchumsätze in die Höhe, in dieser Woche decken sich die Erwachsenen mit Lesestoff ein. Morgen müssen auch die Bremen die Buchhandlungen schließen, und Nehen hat Handzettel gedruckt, die sie im Obstladen, beim Bäcker usw. deponieren wird: Vormittags ist die Buchhandlung telefonisch erreichbar, nachmittags wird ausgefahren. Da der Schuster nebenan als Handwerksbetrieb geöffnet belieben darf, können die Kunden dort auch mal ein Buchpaket abholen. Zudem wird Nehen morgen Anzeigen in den Zeitungen aufgeben, dass sie weiterhin erreichbar ist, telefonisch beraten kann und liefert. "Wir müssen jetzt dem Ganzen mutig ins Auge blicken."

Notbesetzungen in Bayern

Die großen Filialisten in Bayern haben ihre Vorkehrungen getroffen. Bei Rupprecht hat man alle Veranstaltungen bis Mitte April abgesagt, Geschäftsführer Johannes Rupprecht ist mit seinen Mitarbeitern in ständigem Kontakt – stündliche Neuorientierung ist das Gebot der Stunde, wichtig ist ihm, keinerlei Panikgefühle zu vermitteln, sondern sachlich mit der Situation umzugehen. Anton Neugirg von Pustet hat einen Notdienst eingerichtet: Zwei bis drei Mitarbeiter sind auch nach der Schließung im Laden, Plakate an der Ladentür und ab Mittwoch Banner auf der Homepage weisen darauf hin, dass alle Telefone sowie die Hotline besetzt sind, die Durchwahlnummern in die einzelnen Filialen werden bekanntgeben. Hier wie auch in den kleineren Buchhandlungen bewegen die Fragen, wie man nun personell weiterverfährt: Resturlaube nehmen, Minusstunden aufbauen? "Irgendwann wird sich bei allen Sortimenten in Deutschland die Frage nach Kurzarbeit stellen", meint Neugirg, ebenso wie die Frage nach den Warenbezugskosten, Fortzahlung der Gehälter und Ladenmiete: Die Kosten laufen davon. Generell hoffen die bayerischen Buchhändler, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen zugunsten des Online-Handels gibt.

Bilderbuchkino im Schaufenster

Um Präsenz zu zeigen, haben die Sortimenter unterschiedliche Ideen: Der Buchpalast in München-Haidhausen bietet ein täglich wechselndes Bilderbuchkino im Schaufenster an: "Eine kleine Abwechslung, wenn Kinder einen Spaziergang um den Block machen", erklärt Mitinhaberin Katrin Rüger. "Alle Verlage, die ich in der Eile gefragt habe, waren sofort bereit mitzumachen." Rüger hätte am Freitag die erste Kindergartenkiste ausgegeben – aber dann kam die Nachricht von der Schließung der Kindergärten und Schulen. Aus diesem Fundus hat Rüger ganz schnell geschöpft. Der Bayerische Rundfunk und die SZ fanden die Idee so gut, dass sie darüber berichtet haben.

Auch in Münchens Stadtteil Schwabing kennt man nicht nur bei Nudeln Hamsterkäufe. Michael Lemling, Chef der dortigen Buchhandlung Lehmkuhl, erlebt im Moment "so eine Art zweites Weihnachtsgeschäft". In seinem Laden an der belebten Leopoldstraße sei es "gerade brechend voll", hatte er am Montag berichtet, unmittelbar nachdem die bayerische Landesregierung bekanntgegeben hatte, dass ab Mittwoch ein Großteil der Geschäfte, darunter alle Buchhandlungen, geschlossen bleiben müssen. "Seit zwei Wochen verzeichnen wir deutlich steigende Umsätze", sagte Lemling im Gespräch mit dem Börsenblatt. Trotz Corona? Eher dank Corona, wie es scheint. "Jedenfalls ging hier so richtig die Post ab, als klar wurde, dass die Schulen dicht gemacht werden." Auch für die Zeit nach der Schließungsanordnung sieht Michael Lemling für sein Geschäft Umsatzchancen. "Wir wollen mit einer guten Schaufenster-Deko auf unseren Online-Bestellweg aufmerksam machen. Und solange wir das dürfen, werden Mitarbeiter von uns auch im Laden sein, um Bestellungen zu bearbeiten, zur Post zu bringen – und in Schwabing, wenn es geht, auch direkt an unsere Kunden auszuliefern." Ein Handzettel mit entsprechenden Infos wird bei Lehmkuhl seit Montag verteilt.

An einem Strang ziehen

Eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass solche Ideen zum Tragen kommen können, ist eine weiterhin intakte Lieferkette. Dahin ging zu Wochenbeginn auch der Appell des Landesverbands Bayern im Börsenverein. "Sowohl der Zwischenbuchhandel als auch die Verlage sollten sich jetzt gut überlegen, wie sie mit der Lage umgehen", riet Geschäftsführer Klaus Beckschulte. Insbesondere die Belieferung durch den Bücherwagendienst müsse dringend aufrechterhalten werden. Verlage sollten überdies in Betracht ziehen, Stornierungen für Buchhändler unkompliziert zu handhaben. Auch an einer Verlängerung der Zahlungsziele sei zu denken. "Für viele Buchhändler, die nun massive Umsatzeinbußen erleiden, geht es um die Existenz." Beckschulte bestätigte, dass in ganz Bayern von Mittwoch an die Geschäfte zunächst bis zum 30. März geschlossen bleiben müssen.

In den politischen Gesprächen, die die Handelsverbände nun in ihren Ländern mit den Ministerien führen, geht es auch um die Frage, wie sich die beiden größten Kostenblöcke des Handels, die Löhne und die Mieten, vorübergehend senken lassen. Während auf Personalseite Kurzarbeit noch eine gewisse Abfederung möglich macht, stellt sich das Thema Miete komplizierter dar: Appelle an den guten Willen eines privaten Vermieters bleiben erfahrungsgemäß ungehört. Welche Steuerungsmöglichkeiten bleiben also staatlicherseits? Temporärer Abschlag auf alle Gewerbemieten der von Schließungsanordnungen betroffenen Mieter? Zuschüsse durch die Länder? – Viele Fragen, die in den nächsten Tagen und Wochen zu besprechen sind. Fest steht: Ohne Solidarität mit den am stärksten Betroffenen wird nicht jeder die Corona-Krise überstehen können.