Corona-Krise und Reiseverlage

"Wo nicht gereist wird, braucht es keinen Reiseführer"

27. März 2020
von Matthias Glatthor
Die Corona-Krise trifft die Reiseverlage gleich mehrfach − die stationären Buchhandlungen sind geschlossen, deutsche Ferienregionen sind dicht und das Auswärtige Amt hat eine weltweite Reisewarnung verkündet. Wie gehen sie mit der Situation um?

Der Umsatzausfall bei den deutschen Reiseveranstaltern und Reisebüros summiert sich nach Hochrechnungen des Deutschen Reiseverbandes (DRV) alleine von Mitte März bis Ende April auf mehr als 4,8 Milliarden Euro – und der Finanzbedarf wird weiter steigen, wenn die Krise weiter andauert, schlug der DRV bereits am 19. März Alarm. Reisen würden storniert, Veranstalter müssten das Geld an die Kunden zurückzahlen, Kunden zögerten mit Neubuchungen.

Ein großes Fragezeichen

"Unter Media Control sieht man sehr deutlich die Entwicklung des Reiseführermarktes: 50 Prozent weniger Umsatz als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Das trifft unseren Verlag mit den Reiseführermarken ADAC, Merian und Polyglott natürlich auch", sagt Grit Müller, Verlagsleitung Reise bei Gräfe und Unzer. "Da niemand weiß, wie sich das Jahr entwickeln wird, steht hinter dem Thema Reisen ein großes Fragezeichen. Die Menschen stellen sich neben all den Problemen des Alltags die Fragen: Ab wann kann wieder gereist werden? Wie viel Urlaub bleibt im 2. Halbjahr? Wie hoch sind gegebenenfalls Einbußen durch Kurzarbeit?" Es sei eine Frage von Urlaubstagen und -budget, wann und wie wieder gereist werde.

Die Schließung der Buchhandlungen sei noch mal ein eigenes Thema. "Natürlich bieten wir und der Buchhandel unsere Produkte auch online an. Doch wo nicht gereist wird, dort braucht es erst mal auch keinen Reiseführer", so Müller. Anders sei die Situation der Reiseinspiration und  -erzählungen. Reisen im Kopf − Müller nennt als Beispiel die "Holiday"-Bücher ihres Verlags − könnten eine Alltagsflucht sein. "Hier greifen unsere Maßnahmen im E-Commerce."

Hat sie Sorge, dass Urlaubsreisen in diesem Jahr nicht mehr so richtig in Gang kommen? "Wir gehen davon aus, dass nach dem Stillstand das Reisen in konzentrischen Kreisen von innen nach außen stattfindet." Bei Travel House Media will man verstärkt auf das Thema Urlaub vor der Haustür beziehungsweise in Deutschland setzen. Auch die Europa-Titel in den Reiseführerreihen werden dann eine Rolle spielen, hofft Müller. "Dennoch ähnelt es dem Blick in die Glaskugel", räumt sie ein. Werde sich etwa das Reiseverhalten ändern und langsamer, nachhaltiger werden? Werde die Lebensfreude die Menschen überwältigen und werden sie von Fernweh überwältigt? Ihr Verlagsteam sei momentan beim Zusammentragen von Themenfeldern und Reisebedürfnissen, um vielfältige Produkte zu entwickeln.

Wie läuft momentan die Arbeit im Verlag ab? Die Mitarbeiter*innen dürfen selbst entscheiden, ob sie im Büro oder daheim arbeiten. "Momentan sind circa 25 Prozent der Belegschaft im Verlag, die anderen im Home-Office. Über Videoschaltungen finden unsere Konferenzen wie geplant statt", so Müller. Möglicherweise werden auch die Vertreterkonferenzen als Videoschaltungen stattfinden.  

Fordernde Situation

"Die aktuelle Situation ist für uns alle sehr fordernd, geschäftlich wie privat", sagt Christine Brisch, Presseleitung von MairDumont. "Unser Fokus richtet sich jetzt darauf, unsere Handelspartner individuell zu unterstützen und zusammen zu stehen. Unsere Verlagsauslieferung ist weiterhin geöffnet, damit Lieferdienste oder die Bestückung von Abholfächern bei Onlinebestellungen gewährleistet ist. Wir machen Titelvorschläge für Webseiten und Online-Shops. Größere Vormerkerläufe sind ausgesetzt, damit die Kapitalbindung nicht erhöht wird. Vor allem aber sind wir für unsere Partner erreichbar und hören zu."  

Gleichzeitig will MairDumont punktgenau mit dem Programm im Handel sein, wenn die Buchhandlungen wieder öffnen. "Deswegen haben wir beispielsweise den für Mai geplanten Relaunch von Marco Polo auf den Sommer verschoben." Mit einer Blitzumfrage über die Marco Polo Website wollte der Verlag wissen, welche Infos aktuell gefragt sind. Eine große Mehrheit habe sich gerade in der aktuellen Situation Postings zum Thema Reiseinspiration gewünscht ("Ideen sammeln, sich wegträumen und die nächste Reise zumindest planen − ein bißchen Kopfkino brauchen wir doch jetzt alle!", so Brisch).

Darauf reagiert MairDumont mit Marketingkampagnen, zum Beispiel bei Marco Polo: https://www.marcopolo.de/statement-coronavirus.html