Re-Commerce mit den Bestsellern von gestern

Wie Momox den Gebrauchtbuchmarkt dominiert

28. März 2020
von Börsenblatt

85.000 Quadratmeter Lagerfläche, 1.900 Mitarbeiter, 250 Millionen Euro Umsatz, 65 Prozent davon mit Büchern. Verlage braucht Momox dafür nicht. Das Berliner Re-Commerce-Unternehmen braucht nur eines, und das massenhaft: die ausrangierten Bücher der Leser.

Im Bücherlager von Momox arbeiten getrennte Teams, der Kundenservice sitzt im Homeoffice. Wollen die Leute wegen Corona jetzt vielleicht lieber keine gebrauchten ­Bücher, an denen Corona-Viren haften könnten? Geschäftsführer Heiner Kroke konnte das bisher nicht feststellen. Einige Kunden hätten zwar gefragt, ob von der Ware Gefahr ausgehen könne, doch Kroke schließt das aus: »Der Versandweg vom Kunden zu uns und von uns zum Kunden dauert eine gewisse Zeit, so lange überlebt das Virus laut Robert-Koch-Institut nicht.«

Seit Gründung 2004 hat Momox mehr als 220 Millionen gebrauchte ­Artikel verkauft, mehr als 1 900 Mit­arbeiter*innen beschäftigt das Unternehmen an sechs Standorten. Im vergangenen Jahr setzte die Momox GmbH mit Kleidung und Medien 250 Millionen Euro um (plus 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), Bücher machen 64 Prozent des Umsatzes aus. Rebuy, Mehrwegbuch, Booklooker, Buchmaxe – Momox ist nicht der einzige Gebrauchtbuchhändler im Internet, aber mit Abstand der größte.

 

Momox nimmt fast alles

Vor der Gründung von Momox war es nicht so einfach, seine alten Bücher loszuwerden. Wählerische Antiquariate und Flohmarktkund*innen sorgten dafür, dass so manches ausrangierte Schätzchen doch wieder ins Regal zurückkehrte. Momox nimmt so gut wie jedes Buch, vorausgesetzt, es hat eine ISBN, zum Festpreis. 15 Cent ist der niedrigste Ankaufspreis, ab 10 Euro Gesamtwert können die Bücherkisten versand­kostenfrei auf den Weg gebracht werden. Auch wenn Momox auf manchen Titeln sitzenbleiben sollte: Der Verkaufserlös wird umgehend ausgezahlt. Was weg soll, kann mit ISBN am Computer eingegeben oder dank Barcode per App eingescannt werden – einfacher geht es nicht. 

Was sich vor allem geändert hat, ist die Einstellung zum Büchersammeln. Wohnraum ist teuer, Tiny Houses sind en vogue, und viele finden Vasen im Regal mittlerweile schöner als endlose Bücherreihen. Man möchte Dinge nutzen, aber nicht besitzen, und das Aussortieren nach Marie Kondo macht vor dem Bücherregal nicht halt. Für ein neues Stück muss ein altes weichen – das Kleiderschrankprinzip wenden viele auch im Bücherregal an. Wer Belesenheit zeigen möchte, schreibt heute ein Blog. Heiner Kroke glaubt sogar, dass gebrauchte Bücher als Geschenk salonfähig geworden sind. Aus Nachhaltigkeitsgründen. »Unser Geschäftsmodell trägt aktiv zum Klima- und Umweltschutz bei, indem Millionen Produkte ein zweites Leben bekommen«, sagt er. Manche Studien sehen die Umweltbilanzen des Onlinehandels allerdings eher kritisch. In Zukunft will Momox durch verschiedene Maßnahmen noch ressourcenschonen­der agieren, kündigte Kroke an – ohne Details zu nennen.


Neues, secondhand

2019 hat Kroke 20 Millionen Bücher verkauft. »Am bes­ten laufen bei uns die Bestseller von vor einem Jahr«, sagt er. Die Verkäufer hätten sich dann schon aufgerafft und ihr Regal aussortiert, die Nachfrage sei noch hoch. Für Simon Becketts »Die ewigen Toten«, Bestseller mit Erscheinungstermin Februar 2019, gibt es von Momox 6,37 Euro, der preisgebundene Neupreis beträgt 22,95 Euro. 

Wer Novitäten kauft, liest und umgehend wieder verkauft, bekommt oft mehr als die Hälfte des Anschaffungspreises zurück – Autoren, Verlage und der Buchhandel gehen leer aus. Für Leif Randts Roman »Allegro Pastell« zum Beispiel, der am 5. März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, werden 22 Euro fällig. Momox kauft den Roman aktuell für 12,55 Euro an – Pfeil nach oben, Nachfrage hoch, das macht sich bezahlt. 

Etwa 70 Prozent schlägt Momox im Durchschnitt auf den Ankaufspreis auf, eine ordentliche Marge, von der allerdings zweimal Porto abgeht. Viel sparen können Gebrauchtbuchkäufer deshalb eher bei Bestsellern von gestern oder noch besser von vor zehn Jahren. 

Was man für sein Buch bekommt – oder eben bezahlt –, bestimmt ein komplexer Algorithmus, in den verschiedene Parameter einfließen, etwa Lagerbestand, Nachfrage, Lieferbarkeit insgesamt (wie viele Leute verkaufen voraussichtlich zum Beispiel »Allegro Pastell« in nächster Zeit), Verkaufspreis und, wichtig wegen der Portokosten, das Gewicht des Buchs. »Wir feilen ständig an diesen Datenpunkten, mit jedem neuen An- und Verkauf werden neue generiert, die zu neuen Bewertungen über den Ankaufswert führen«, so Kroke. Neupreis, ideelle Werte, Inhalt – spielen keine Rolle. Apropos neu: Wie sichtbar dürfen eventuelle Gebrauchsspuren sein? Etwa fünf Prozent der eingeschickten Bücher überstehen die Qualitätskontrolle nicht. Stock­flecken und fehlende Seiten sind Ausschlusskriterien, sagt Kroke. Und Unterstreichungen oder die Widmung der Tante? Kein Problem.

 

ZAHLEN UND FAKTEN 

  • Die Momox GmbH wurde 2004 in Berlin von Christian Wegner gegründet; Mehrheitsgesellschafter ist seit 2019 der norwegische Investor Verdane Capital X.
  • Das Unternehmen beschäftigt 1 900 ­Mitarbeiter an sechs Standorten; CEO ist Heiner Kroke.
  • 2019 setzte Momox 250 Millionen Euro um, eine Umsatzsteigerung von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
  • Hauptumsatzbringer sind Bücher mit 64 Prozent, gefolgt von anderen Medien und Kleidung.
  • Über 220 Millionen Artikel wurden bisher angekauft, täglich nimmt Momox 150 000 Artikel ins Lager, die Gesamt­lagerfläche beträgt 85 000 Quadratmeter, verteilt auf fünf Logistikstandorte.
  • 2019 wurden 25 Millionen gebrauchte Bücher verkauft.
  • Im Logistikzentrum in Leipzig treffen täglich 50 000 Pakete ein. Auf der Hitliste der am häufigsten angekauften Bücher stehen »Das Café am Rande der Welt«, »Tschick« und »Harry Potter«.
  • Über die Medienverkaufsplattform Medimops werden täglich 50 000 Sendungen mit durchschnittlich drei Artikeln generiert.
  • Die eingesendeten Buchpakete beinhalten im Durchschnitt 22 Bücher pro Sendung; der durchschnittliche Erlös je Verkaufsvorgang beträgt 44 Euro.
  • Laut Studie von Momox kaufen 53 Prozent der Deutschen mindestens einmal im Monat Bücher und Medienartikel aus zweiter Hand. Dabei wird Gebrauchtes am liebsten online gekauft (64 Prozent). Bei Gebrauchtwaren sind Bücher mit 95 Prozent am beliebtesten.