Bestatter und Autor Christoph Kuckelkorn im Gespräch

"Trauerfeiern finden jetzt unter freiem Himmel statt"

2. April 2020
von Börsenblatt
Vormittags Beerdigung, abends Prunksitzung: Christoph Kuckelkorn ist Bestattungsmeister und Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. Und erzählt in einem Buch berührend und lebensklug von diesen beiden Welten, die nur die zwei Seiten derselben Medaille sind.

Als Chef eines Bestattungsunternehmens wie als Präsident des Kölner Karnevals haben Sie ein Arbeitspensum, das Respekt abnötigt: Wie schaffen Sie das alles?

Am Ende des Tages muss alles gut organisiert sein: Meine Mitarbeiter setzen die Termine, und ich kann gut zwischen den Rollen switchen. Die verschiedenen Welten finde ich nach wie vor sehr spannend.

Wie leicht gelingt dieses Switchen?

Das hat viel mit Räumen und mit Kleidung zu tun. Als Karnevalist muss ich mich manchmal sechsmal am Tag umziehen, dann fühle und handle ich eben auch anders. Auch als Bestatter habe ich anlassbezogen ganz unterschiedliche Aktenkoffer dabei, bin also für die jeweilige Situation bestvorbereitet. Das hilft mir auch, abends zu Hause nicht permanent an den Beruf zu denken.

Sie erleben als Bestatter hochemotionale Situationen – wie leicht kann man das denn abends wegstecken?

Wegstecken geht nicht. Ich nehme die Emotionen in mir auf, die arbeiten auch in mir, aber ich lasse sie in dieser Rolle. Sicher gibt es auch mal eine Situation, wenn ich etwa als Karnevalspräsident eine Musik höre, die ich vormittags als Lieblingsstück eines Verstorbenen gehört habe – Musik ist ja ein wahnsinnig großer Emotionsträger – : Da muss ich schon eine Träne verdrücken. Das gehört dazu, da bin ich authentisch.

Sie schreiben sehr sensibel, abwägend, lebensklug: Wie bekommt man dieses Feingefühl?

Das liegt im Beruf. Ich bin in diese hochemotionale Welt hineingewachsen, unser Bestattungsunternehmen gibt es bereits in fünfter Generation. Mein Sohn ist eher ein nüchtern-rationaler Betriebswirtschaftler, während meine Tochter sofort ein Gespür dafür hat, wer in einem Trauergespräch welche Rolle einnimmt. Dieses Gespür braucht man – ich komme ja jeden Tag in völlig neue Situationen, etwa in Familien, die seit 20 Jahren nicht mehr miteinander reden. Und dazu muss man Lebenserfahrung sammeln.

Ist dieses Gespür erlernbar, zum Beispiel für Ihre Auszubildenden?

Die Auszubildenden begleiten uns ja, sehen, wie wir agieren, das schult. Und sie sind wach – wir haben ja noch nie Stellenanzeigen geschaltet, die jungen Leute melden sich von sich aus. Irgendwann sitzt dann der 18-Jährige dem 80-Jährigen im Gespräch gegenüber und muss sich behaupten; er wächst schrittweise.

Welche Rolle spielt die Religion – bei Ihnen, bei Hinterbliebenen?

Eine religiös gestaltete Trauerfeier, egal ob christlich, muslimisch, jüdisch, hat ja ganz bestimmte traditionelle Riten. Menschen, die einen Verlust erlebt haben und deren Halt pulverisiert worden ist, geben diese Riten einen Halt. Selbst viele, die zwar christlich erzogen sind, aber mit Kirche nix am Hut haben, schätzen plötzlich Religion als Denkmodell, als Perspektive. Die Idee der Auferstehung etwa gibt einfach Hoffnung. Ich selbst bin Katholik und glaube, dass es nach dem Tod eine Daseinsform gibt, die wir nicht verstehen.

Für Sie gehört der Tod zum Alltag …

… und ich leide darunter, dass der Tod bei uns mit Gewalt verdrängt wird, das ist nicht gesund. Bis in die 50er Jahre wurden bei uns die Särge offen auf der Straße vorm Haus des Toten ausgestellt – heute gibt es in den 58 Kölner Friedhöfen keine Halle, wo der Sarg offen stehen kann. Das geschieht bei uns im Institut, da nehmen die Familie und Freunde Abschied und sehen den Toten ein letztes Mal. Ich finde es auch wichtig, dass Kinder Abschied nehmen und sie den Tod nicht nur als großes Tabu erleben.

Sie schreiben, dass Sie nach dem Rosenmontagszug regelmäßig entkräftet waren und krank geworden sind. Seit zwei Jahren haben Sie im Inner Circle eine Ärztin im Team – was macht die?

Wir haben im Karneval ja unheimlich viele Sozialkontakte, auch körperlich, Umarmungen, ein Bützchen hier und ein Bützchen da: Da haben es Viren leichter. Deshalb stärkt die Ärztin jetzt im Herbst unser Immunsystem, sie coacht uns. Zum Beispiel mit Stimmtraining – man muss ja gar nicht immer so laut rufen. Oder wann trinke ich besser kalte oder besser warme Getränke? Zum Glück haben wir die Kampagne noch vor Corona abgeschlossen.

Welche Sicherheitsmaßnahmen müssen Sie jetzt wegen Corona ergreifen?

Unsere karnevalistischen Aktivitäten regeln wir im Moment über Video-Konferenzen. Und als Bestatter sind wir ausgebildet in Bezug auf Krankheiten, multiresistente Keime, Krankenhauskeime, Hepatitis etc. Da haben wir klare hygienische Vorschriften. Bei Trauergesprächen halten wir genügend Abstand, haben alle Unterlagen doppelt, da muss nichts hin- und hergereicht werden. Die Trauerfeiern finden jetzt am Grab unter freiem Himmel statt. Durchschnittlich betreuen wir 50 bis 60 Todesfälle im Monat; ob es jetzt mehr werden, weiß keiner. Der Tod kennt keinen Terminkalender.

Christoph Kuckelkorn (55) führt in fünfter Generation das gleichnamige Bestattungsunternehmen in Köln. Er hat u.a. Willy Millowitsch, Dirk Bach, Guido Westerwelle und Kardinal Meisner bestattet. Kuckelkorn gehörte zum zehnköpfigen Helferteam, das 2004 die deutschen Todesopfer der Flutkatastrophe in Asien rückführte. Sein Buch „Der Tod ist dein letzter großer Termin“ ist Ende Januar bei S. Fischer erschienen.

Mehr zu anderen Novitäten religiöser Verlage finden Sie im Börsenblatt-Spezial "Religion & Glauben", das am 2. April erschienen ist.