Bücher Wenner steuert Fahrradkuriere via App - und arbeitet klimaneutral

"Bei uns geht es im Moment zu wie im Taubenschlag"

17. April 2020
von Sabine Cronau

Bücher Wenner in Osnabrück liefert Bestellungen schon länger über Fahrradkuriere aus. Gesteuert wird der Service mit derzeit 35 Radlern über eine App. Inhaber Jonas Wenner über sein grünes Lieblingsprojekt, das in der Corona-Krise zur Gewinnerstrategie wird – und über seine Positionierung als klimaneutraler Buchhändler. 

Fahrradkuriere waren schon vor der Corona-Krise für Bücher Wenner unterwegs. Hat sich das gelohnt?

Das war schon immer ein ökologisches Lieblingsprojekt von mir, aber bislang eher ein Imagefaktor. Unsere Fahrradkuriere sind Schüler und Studenten, die wir selbst einstellen. Sie liefern die Bücher unverpackt, behandeln sie gut – und es ist einfach schöner, wenn sie den Stapel mit einem Lächeln überbringen, als wenn der DHL-Bote ein Paket über den Gartenzaun wirft. Jetzt in der Corona-Krise wird aus dieser freundlichen Nachhaltig­keits­idee ein Gewinnerthema, das uns die Zeit des Lockdowns mit einem blauen Auge überstehen lässt.

35 Kuriere sind im Moment für Bücher Wenner in Osnabrück und für die Schwesterfirma Bültmann & Gerriets in Oldenburg unterwegs, vorher waren es acht. Wie managen Sie das?

Über einen vollintegrierten Prozess, der in diesen Wochen seine Stärken voll ausspielt. Wir haben unsere ganze EDV mit einem Programmierer, der seit über 30 Jahren für uns tätig ist, selbst entwickelt. Ein Baustein ist die App, die den Lieferservice steuert. Eingehende Bestellungen werden direkt bearbeitet, die besten Routen automatisch berechnet, die Bücher so verteilt, dass sie sich gut transportieren lassen. Die Adressen und Touren bekommen die Kuriere direkt aufs Handy gespielt. Trotzdem ist der aktuelle Lieferboom auch für uns ein logistisches Abenteuer.

Wie schnell können Sie liefern?

Durch die elektronische Unterstützung sind wir aktuell bei 0,4 Tagen – also Same-Day-Delivery. Im Moment kommen und gehen die Fahrradkuriere bei uns im Laden im Halbstundentakt. Es geht zu wie im Taubenschlag, weil sich unser Bestellvolumen verdreißigfacht hat. Dass große Konkurrenten wie Amazon oder Thalia – in Osnabrück und Oldenburg – gar nicht oder erst nach vielen Tagen liefern, spielt uns natürlich in die Hände. Weil wir ein großes Lager haben, geht uns auch so schnell die Ware nicht aus. Das macht uns unabhängiger von den Barsortimenten, die ihren Belieferungsrhythmus ja gerade zurückfahren und auch für ihre White-Label-Shops längere Lieferzeiten haben.

Fahrradkuriere sind nur ein Aspekt in Ihrem Ökopaket. Ihre beiden Buchhandlungen arbeiten seit Jahresanfang klimaneutral – sprich: Sie sparen, wo es geht, und kompensieren den verbleibenden CO2-Ausstoß über Zertifikate. Warum?

Weil ich lieber vorangehe, als etwas gesetzlich verordnet zu bekommen. Und weil für die junge Generation, also für unsere Kunden von morgen, die Frage nach der Nachhaltigkeit immer wichtiger wird. Wie haltet ihr es mit dem Klimaschutz? Darauf muss ein Unternehmen heute überzeugende Antworten geben können – auch den jungen Familien, die zu unserer Kernzielgruppe gehören. Das gilt im Übrigen ebenso für die fitten Nachwuchskräfte, die sich den Ausbildungsplatz aussuchen können. Bei den großen Klimasündern möchte keiner arbeiten.

Für Ihre beiden Filialen haben Sie im Februar gut 10 000  Euro an den Kompensationsanbieter Atmosfair überwiesen. Dann kam Corona. Bereuen Sie den Geldabfluss?

Natürlich trifft uns der Lockdown, aber wenn ich so knapp kalkulieren würde, wäre ich ein schlechter Kaufmann. Das klingt erst mal nach viel Geld, aber im Verhältnis zu unseren Gesamtkosten relativiert sich dieser Betrag.

Soll die Summe vielleicht sogar ein bisschen wehtun?

Ja, sie ist natürlich ein Ansporn, unsere Prozesse und unseren CO2-Ausstoß weiter zu optimieren. Und die 10 000 Euro zeigen auch: Die klimaneutrale Buchhandlung ist kein Marketinggag, denn wir sind bereit, für Nachhaltigkeit Geld auszugeben. Wenn man so was mal anfängt, kann man ja nicht nach zwei Jahren einfach wieder damit aufhören.

Sie veröffentlichen Ihre Klimabilanz auch online. Warum lassen Sie sich so tief in die Karten schauen?

Ich glaube einfach, dass Transparenz bei diesem Thema wichtig ist. Wir lassen uns die Klimabilanz nicht von einem externen Anbieter erstellen, sondern errechnen die Zahlen auf der Basis von recherchierbaren Durchschnittswerten im Alleingang – für alle nachvollziehbar im Netz. Das macht Arbeit, zeigt uns aber auch, wo es noch Einsparpotenzial gibt.

Und wo sehen Sie die größten Hebel, die Sie als Buchhändler bewegen können?

Bei Strom und Wärme. Wer auf LED-Beleuchtung umstellt, spart ruckzuck Energie und Geld. Und für unseren Ökostromtarif bei den Stadtwerken Osnabrück zahlen wir gerade mal 100 Euro mehr im Jahr. Ich hätte gedacht, dass die Umstellung teurer sei. Durch die Klimabilanz haben wir einen genaueren Blick auf die komplexen Zusammenhänge bekommen. Beispielsweise sind unsere Heizkosten nach der LED-Umstellung gestiegen, weil die Lampen jetzt keine Wärme mehr abgeben. Also prüfe ich nun, ob die Ladentür dicht schließt, sich Wände besser dämmen oder Fenster neu verglasen lassen. Das ist natürlich leichter, wenn einem die Immobilie gehört.

Ihr Rat an Kolleg*innen, die sich für klimaneutralen Buchhandel interessieren, aber noch zögern?

Energie zu sparen und den Ressourcenverbrauch zu senken – das ist eben nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein betriebswirtschaftliches Thema. Von daher sollte sich jede Buchhandlung dafür interessieren, erst recht in eher schwierigen Zeiten. Außerdem müssen wir uns mit den jungen, klimabewussten Kunden bewegen – sonst sind wir irgendwann allein im Laden.

Haben Sie einen Wunsch an Verlage und die Logistiker?

Gerade große Verlage sind ja schon dabei, ihren CO2-Abdruck zu verkleinern, zumindest durch Kompensation. Auch der Verzicht auf Folierung wird sich durchsetzen. Von daher sehe ich die Verlage auf einem guten Weg. Logistisch würde ich mir einen gemeinsamen Bücherwagendienst der Barsortimente wünschen. Vorsichtige Signale gibt es ja schon. Wie es weitergeht, hängt sicher auch vom Leidensdruck in der Corona-Krise ab.

Die klimaneutrale Buchhandlung:
Bücher Wenner
  • Zum Unternehmen gehören die Buchhandlungen Bücher Wenner in Osnabrück und Bültmann & Gerriets in Oldenburg (jeweils 1 200 Quadratmeter).

  • Der Familienbetrieb, 1939 gegründet, wird in dritter Generation von Jonas Wenner mit seinem Onkel Meinhold Wenner und seinem Vater Guido Wenner geführt. Das Geschäft wirbt schon an der Ladentür damit, die erste klimaneutrale Buchhandlung Deutschlands zu sein.

  • Eine Klimabilanz für beide Läden erstellt die Buchhandlung seit 2019 in Eigenregie, öffentlich einsehbar unter buecher-wenner.de. Der gesamte CO2-Fußabdruck wird hier erfasst, bis hin zum Kaffeeverbrauch und der Kunden-Bustour zur Buchmesse. Größter Posten sind die Bücher. Hier beruft sich Wenner auf die Durchschnittswerte der Holtzbrinck-Gruppe (400 Gramm CO2-Ausstoß pro Buch). Klimaneutral produzierte Bücher werden aus dem Ergebnis wieder herausgerechnet.

  • Über Anbieter Atmosfair kompensiert Bücher Wenner den CO2-Ausstoß, der unter dem Strich stehen bleibt. Für beide Buchhandlungen zusammen waren das 2019 rund 10 000 Euro – für rund 255 000 Kilogramm Treibhausgase. Langfristig rechnet Jonas Wenner damit, dass die Summe auf rund 5 000 Euro pro Jahr sinkt. Für Atmosfair hat er sich entschieden, weil der Anbieter von der Stiftung Warentest gut bewertet wurde – und statt Aufforstung eher Projekte der Entwicklungshilfe unterstützt.

  • Was Bücher Wenner sonst noch tut (Auswahl):

    - Lieferservice im Stadtgebiet per Fahrradkurier
    - Umstellung auf Ökostrom im Januar
    - 2021 soll klimaneutrales Gas folgen (Zertifizierung)
    - Die Server stehen in einem Rechenzentrum mit Brunnenkühlung
       und regenerativer Energieversorgung
    - Recyclingpapier-Einsatz ab diesem Jahr