Exit-Strategien: So lief der erste Öffnungstag im Buchhandel

"Lebhaft, aber entspannt und vernünftig"

21. April 2020
von Börsenblatt
Viele Buchhandlungen haben gestern wieder die Türen geöffnet. Wie war der erste Tag nach dem Lockdown? Eine Reportage aus Hamburg, oft mit Mundschutz, immer mit Abstand - und vielen Tipps von Kollegen.

Büchereck Niendorf Nord: Ein Facebook-Film informiert die Kunden

Montagmorgen, neun Uhr: Kundenandrang im Büchereck Niendorf Nord in Hamburg. "Hier nur Eingang!" steht auf dem handgeschriebenen Schild an der vorderen Tür. "Wir sind so aufgeregt, als würden wir eine Ladenneuöffnung starten", sagt Christiane Hoffmeister, bevor sie aufschließt.

Am Wochenende hat sie ihre Stadtteilbuchhandlung auf die Wiedereröffnung vorbereitet, auf dem Fußboden sind Richtungspfeile und Abstandsanzeiger aufgeklebt, auch rund um den Bibliografierplatz ist ein Abstand markiert, auf dem Kassentresen ist die Spuckschutzwand aus Acrylglas aufgestellt.

Im morgens geposteten Facebook-Video nimmt sie ihre Kunden bereits mit auf einen Rundgang durch die nach Infektionsschutzrichtlinien aufgerüstete Buchhandlung. "Es ist fast alles normal", meint Hoffmeister in dem kleinen Film – und es hat den Anschein, als müsste sie sich damit auch selbst etwas Mut zusprechen. Zum Video geht es hier.

Bücherstube am Krohnstieg: Einbahnstraßenverkehr im Laden

Daniel Lager hat das Wochenende dazu genutzt, im Laden aufzuräumen und den Staubwedel zu schwingen. "Die Motivation ist bei allen groß: endlich wieder persönlicher Kontakt und Plaudern. Doch mit der Begeisterung über die Wiedereröffnung geht auch Respekt vor der Situation einher", weiß der Inhaber der Bücherstube am Krohnstieg.

Kurz vor Ladenöffnung um 10 Uhr hat sich bereits eine kleine Schlange vor dem Geschäft gebildet, vier Kunden zur selben Zeit sind im Laden erlaubt, gleich am Eingang begrüßt eine Station zur Händedesinfektion die Ankömmlinge. Auch hier geben Pfeile am Boden eine Einbahnstraßensituation vor, damit der Mindestabstand eingehalten werden kann. Auf dem Kassentressen eine Plexiglassscheibe in einer Halterung aus Holz, Marke "Eigenbau". Solange ein Mundschutz nicht verpflichtend ist, stellt Lager seinen Mitarbeitern die Nutzung frei. Im Büchereck von Christiane Hoffmeister, wo im Laufe des Tages weiterhin ein reges Kommen und Gehen herrscht, aber niemand vor der Tür warten muss – sechs Kunden sind auf der Verkaufsfläche erlaubt – wird durchgehend mit Maske gearbeitet.

Cohen+Dobernigg: "Der Mundschutz aus der Apotheke ist für mich am angenehmsten"

Buchhändler John Cohen nutzt den Tag zum Masken-Praxistest, drei Modelle hat er bereits probegetragen: eine selbstgenähte Stoffmaske mit Einsatz aus Kaffeefilterpapier, eine gekaufte Stoffmaske und einen Mundschutz aus Vlies aus der Apotheke. "Den ganzen Tag mit Mundschutz, das ist nicht ohne. Das Modell aus der Apotheke war am angenehmsten für mich", erklärt der Inhaber von Cohen+Dobernigg im Schanzenviertel.

"Etwas nervös" sei er im Vorfeld der Wiedereröffnung gewesen. "Wie halte ich die Leute in Schach, wie weise ich auf Abstand in, wie sage ich ihnen, dass sie eventuell Wartezeiten einplanen müssen?": Das waren Fragen, die er sich gestellt hatte. Doch es sei alles "lebhaft, aber entspannt und vernünftig" verlaufen, so sein Eindruck, "mit Abstand und ohne Schlange".

Für die kommenden zwei Wochen sind die Öffnungszeiten von 20 Uhr auf 18 Uhr verkürzt. Cohen ist vor allem gespannt, wie es am Samstag werden wird, wenn normalerweise mehr los ist. "Wir haben in den vergangenen Wochen über den Online-Shop auch viele neue Kunden gewonnen. Nun hoffen wir, dass es kein Strohfeuer war", sagt Cohen, der heute mit besonders viel medialer Aufmerksamkeit zu tun hatte, sogar das Wall Street Journal wollte von ihm wissen, wie der Neustart war.

Marissal am Rathausplatz: Spagat im halbfertigen Laden - nach Renovierung

Während bei Cohen+Dobernigg der Spuckschutz in der, wie Cohen sagt, "Deluxe-Variante: schnell und teuer" elegant von der Decke abgehängt ist, behilft man sich bei Marissal am Rathausplatz heute noch mit einer improvisierten Version aus Folie, bis die am Sonnabend nach der Verlautbarung des Hamburger Senats georderte Profilösung geliefert wird.

"Wir sind gerade in einer besonderen Situation", berichtet Sandra Marissal, "wir haben die Zeit zum Renovieren genutzt, und da ja nicht bekannt war, wie lange die Schließung andauern würde, machen wir jetzt den Spagat im halbfertigen Laden." Nichtsdestotrotz stelle man eine "erfreuliche Kundenfrequenz" fest: "Obwohl sonst zum großen Teil Touristen und Büromitarbeiter aus dem Umfeld zu uns kommen, also beides Gruppen, die aktuell fehlen, war gleich ab 10 Uhr Betrieb. Man merkt: Die Leute wollen sich etwas Gutes tun und genießen es", beobachtet Marissal.

Auf den professionell angefertigten Spuckschutz warten noch einige weitere Hamburger Buchhandlungen an diesem Tag, zum Beispiel die Buchhandlung Bücher&Co., in der nicht nur das Team mit Mund- und Handschutz arbeitet, sondern sogar den Kunden Handschuhe angeboten werden, und die Buchhandlung am Mühlenkamp, die auf einem Aufsteller vor dem Geschäft darüber informiert, dass sich nur fünf Personen gleichzeitig im Laden befinden dürfen. "Heute Nachmittag muss ich mich hier vielleicht als Türsteher betätigen", meint Inhaber Jörg Bauer.

Stories: Vor der Tür gibt es Infozettel und fünf Einkaufskörbe

Einen Mitarbeiter als "Conférencier" vor der Tür hat Annerose Beurich bereits eingeplant. "Er wird den Kunden einen Infozettel und einen der insgesamt fünf Einkaufskörbe geben", erläutert die Inhaberin der Buchhandlung Stories!, die noch nicht wieder geöffnet hat und damit eine Ausnahme darstellt. "Wir wollen allen Maßnahmen gerecht werden", erklärt Beurich, "sobald die Spuckschutzwände da sind, machen wir auf."

Trotzdem gibt es Unsicherheit: "Ich freue mich, dass wir wieder öffnen dürfen, aber das Einkaufen bei Stories! wird anders sein, als es war. Aufgrund der Restriktionen sind uns in vielfacher Hinsicht die Hände gebunden und ich bin gespannt, wie die Kunden reagieren werden."

Buchhandlung Hoffmann: Desinfektionsmittelspender am Eingang

Buchhändler Ulrich Hoffmann konstatiert derweil bereits "viel Neugier und Freude" bei seinen Kunden. Der Trend, dass er bereits breite Unterstützung und Zuneigung während der rund einmonatigen Schließzeit erhalten hat, setzt sich an diesem Tag fort. "Das ist ein absolut positiver Effekt der Situation und die Leute gehen hier heute sehr rücksichtsvoll miteinander um" stellt er fest.

Große Acrylglaswände schirmen in der Buchhandlung Hoffmann den Kassenbereich ab – "auch wenn das für Sparkassencharakter sorgt", sagt Hoffmann mit einem Lachen –, Handdesinfektion am Eingang und an vielen Stellen Hinweise zum Abstandhalten zollen den Umständen Respekt.

Der Mundschutz ist auch hier ein Diskussionsthema. "Wir gucken uns das jetzt an und sammeln jede Menge neue Erfahrungen in unserem Job", behält Hoffmann eine positive Sicht auf die Situation. Und betont: "Wenn wir das alles hinter uns gebracht haben, werde ich eine große Party für meine Kunden schmeißen!"