Corona-Krise: Bilanz der ersten Wiederöffnungswoche

"Es wird im Moment einfach mehr gelesen"

24. April 2020
von Stefan Hauck
Jetzt gibt es in den Buchläden auch eine "Kundendrehzahl": Die maximale Kundenzahl kontrollieren, mit Mundschutz arbeiten, die Mitarbeiter in Teams aufteilen, kleinen Kindern die Angst vorm Mundschutz nehmen, all das ist gerade Alltag in unabhängigen Buchhandlungen. Der Bedarf der Kunden, wieder in den Laden zu kommen, ist groß. Eine kleine Bilanz der ersten Woche.

Kindern die Angst vor Masken nehmen

Bis Mittwoch war die Kundenfrequenz in der Wäller Buchhandlung im rheinland-pfälzischen Altenkirchen noch verhalten, seit Donnerstag zieht sie an. „Am Welttag des Buches war hier viel los“, sagt Solveig Ariane Prusko. „Haben wir bislang viel geliefert, bestellen jetzt viele online und holen die Bücher dann gerne im Laden ab.“ Was die Buchhändlerin des Öfteren beobachtet hat: „Der Mundschutz schüchtert die kleinen Kinder ein – es macht ihnen Angst, wenn sie den Mund nicht sehen“. Jungen und Mädchen, die sonst in ihrer Wäller Buchhandlung gucken, spielen und stöbern, schauen sie jetzt mit großen Augen an, sind verunsichert und wollen lieber wieder schnell aus dem Laden: „Sie trauen sich gar nichts mehr anzufassen“. Diese Erfahrung haben auch andere Buchhändler gemacht, aber Prusko wollte es dabei nicht belassen.

Eine ihrer Kundinnen ist Kindergartenleiterin und Theaterpädagogin, die Kindern mit einer Handpuppe kompliziertere Sachverhalte leichter vermitteln und vor allem Angst nehmen kann. Prusko fragte, die Pädagogin kam mit Handpuppe, Pruskos Mann filmte mit dem Smartphone, und heraus kam ein wunderbares Mundschutz-Erklär-Video für die Jüngsten, das auf der Homepage der Buchhandlung und auf Facebook zu sehen ist.

"Die Leute wollen stöbern und entdecken"

Dass kleine Kinder auf Menschen mit Mundschutz ängstlich reagieren, hat auch Elke Zenner in der Frankfurter Buchhandlung Eselsohr beobachtet. Aber auch, dass andere wiederum selbst eine Maske tragen möchten: „Die sagen: Wenn meine Mama einen Mundschutz hat, dann will ich auch einen haben.“ Für die Maskenwilligen hat das Eselsohr ein besonderes Angebot: Eine Schneiderin hat aus quietschbunten Stoffen eigens Masken für Kinder genäht; "die müssen ja viel kleiner sein, damit sie überhaupt passen“, erläutert Zenner. Dier erste Lieferung der Masken für acht Euro ist komplett ausverkauft, Kunden warten bereits sehnsüchtig auf die nächste. Seit Montag ist die auf Kinder- und Jugendbuch spezialisierte Buchhandlung im Rahmen des Möglichen sehr gut frequentiert, je zwei Kunden dürfen auf einmal in den Laden: „Man merkt, die Leute wollen gerne stöbern und entdecken“, beobachtet nicht nur Zenner. Insbesondere Beschäftigungsbücher, Experimentierbücher, die Sticker-Bücher von Usborne und Hörbücher sind im Moment stark gefragt.

Der Spagat zwischen stöbernden und wartenden Kunden

Was die Buchhändlerinnen quer durch die Republik beschäftigt, ist, wie sie die Kundenfrequenz steuern – das war bislang ja nie ein Thema. Eigentlich möchten sie alle Gastgeberinnen sein, es freut sie, wenn die Kunden stöbern und mit einem Bücherstapel zur Kasse kommen. Wenn allerdings drei Kunden eine dreiviertel Stunde stöbern und nur noch zwei andere Kunden in rascherem Wechsel den Laden betreten und wieder verlassen, während fünf weitere Kunden vor der Ladentür vom linken auf den rechten Fuß treten – dann macht sich eben doch eine Anspannung breit. „Da muss man mit einem großen Fingerspitzengefühl agieren, man will ja die stöbernden Kunden nicht aufschrecken, aber es gibt eben auch einige Kunden, die ungehalten werden, weil sie längeres Warten gar nicht mehr gewohnt sind“, sagt Kim Otto von der Buchhandlung Tolksdorf in Hofheim am Taunus stellvertretend für viele ihrer Kolleginnen zwischen Flensburg und Konstanz. Am Montag und Dienstag war es hier so voll wie vor Weihnachten, auch beim italienischen Eiscafé gegenüber holten sich viele ein Eis ab, ab Mittwoch pendelte sich die Kundenfrequenz ein, aber einen Blick hat Otto oder eine Mitarbeiterin immer auf die Tür gerichtet. Mehr als sechs Kunden dürfen nicht in den Laden, das Ordnungsamt der Kreisstadt hat Otto am vorigen Samstag in einem Brief mitgeteilt, unter welchen Vorgaben sie öffnen darf.

Tolksdorf hat auch neue Kunden, „Einige sagen: Das läuft ja bei Ihnen viel besser als bei Amazon, da komme ich doch zu Ihnen“, freut sich Otto. Sie hat drei Niesschutzwände für den Kassenbereich und die Bestellterminals installiert, telefoniert wird nur noch im Büro. Sie hat ihre Mitarbeiterinnen in zwei Teams aufteilt – für den Fall der Fälle. Mit den Masken den ganzen Tag zu arbeiten, auch damit ist Otto nicht alleine, ist alles andere als einfach: „Man kriegt nicht so gut Luft, das ist für alle Mitarbeiter sehr anstrengend – und ich möchte mir noch gar nicht vorstellen, wie das wird, wenn es in sechs Wochen 35 Grad heiß ist.“ Und man kann auch nicht ständig hinter der Niesschutzwand arbeiten.

Mundschutz tragen ist anstrengend

Dass das permanente Tragen des Mundschutzes sehr anstrengend ist – das kann Irene Nehen in Bremen nur bestätigen. Die Inhaberin der Buchhandlung Otto Melchers hat ebenfalls immer ein Auge auf die Eingangstür: „Wenn Kunden zu lange warten, sprechen wir sie an, denn manche möchten auch nur ein Buch abholen.“ Drei Kunden dürfen in ihren Laden, auch Kinder freuen sich aufs Stöbern, „und wir haben ordentlich zu tun. Es wird tüchtig bestellt, viel mehr als sonst im April.“ Zum einen führt Nehen es auf die neu gewonnenen Kunden zurück, zum anderen „wird einfach mehr gelesen, es fallen ja auch ganz viele andere Aktivitäten weg. Die Kunden decken sich mit Lesestoff ein und freuen sich auf die Bücher zuhause“ – eine Beobachtung, die auch viele andere Sortimenterinnen machen. Was Nehen freut: „Die Zahlungsmoral der Kunden ist außerordentlich gut.“

Ohne Niesschutzwand geht es erst nächsten Montag los

Während bei Otto Melchers die Niesschutzwände seit Montag aufgebaut sind, sind sie bei LiteraDur im baden-württembergischen Waldbronn, Pfinztal-Berghausen und Remchingen-Wilferdingen noch nicht eingetroffen. Deswegen wurde entschieden: Hier werden erst am Montag Kunden den Laden betreten dürfen, sicher ist sicher. Einstweilen wird noch an der Eingangstür bedient. Auch bei der Buchhandlung Pelzner in Nürnberg geht es erst am Montag los, da Bayern erst ab dann das eingeschränkte Einkaufen erlaubt, der Bestell- und Lieferservice läuft inzwischen – samt Abholstation – wie am Schnürchen: „Wir haben momentan keinen Grund, uns über die Umsätze zu beschweren“, sagt Doris Müller-Höreth, "auch wenn sie sicher viel härter als sonst verdient sind.“ Bei den Bestellungen sei zwar auch viel Solidarität gegenüber den kleinen Buchhandlungen dabei – „aber wir merken, dass es gerade einen großen Lektürebedarf gibt: Die Leute wollen lesen, lesen, lesen.“