Der Offene Brief im Wortlaut:
Sehr geehrte Frau Kulturstaatsministerin,
in einem offenen Brief wende ich mich heute mit einer Bitte an Sie, eine Bitte, die vielleicht einige meiner Buchhandelskolleginnen und -kollegen verärgern wird: Setzen Sie die Preisvergabe des Buchhandlungspreises in diesem Jahr aus und verteilen Sie die Preisgelder an selbständige Künstler und Kulturschaffende! (Bereits eingereichte Bewerbungen sollten dann einfach im nächsten Jahr unter bekannten Kriterien beachtet werden.) Mit den hohen Preisgeldern würden Sie einer Branche „Ihres Hauses“ zufüttern, die doch einigermaßen, wenngleich auch ganz unterschiedlich, überlebensfähig durch die vierwöchige Ladenschließungszeit gekommen ist. Chapeau vor all meinen Kolleginnen und Kollegen in den Buchhandlungen für ihr Engagement und Einfallsreichtum, mit dem sie alle die letzte März- und die ersten drei Aprilwochen gemeistert haben! Wir hielten unser Läden gemäß den Forderungen der Länder geschlossen, waren aber dennoch jeden Tag im Geschäft, um durch unser Tun die Umsätze nicht ins sprichwörtlich letzte Drittel rutschen zu lassen. Neben organisatorisch und behördlich auferlegten neuen Aufgaben haben wir den Kunden gezeigt, dass Bücher "zum täglich Brot” zählen. Wir haben mehr telefoniert, mehr Mails geschrieben – unzählige Beratungsmails-, haben die Schaufenster öfter als sonst dekoriert, Newsletter und Handzettel aktualisiert und als plötzliche Versandbuchhändler unsere Arbeit ganz anders wahrgenommen. Das Ostergeschäft hat uns geholfen, und wir haben wohl alle im großen Umfang davon profitiert, dass der Versandgigant während einer langen Zeit kaum Bücher verschickte. Viele von uns erhielten mancherlei überraschende Hilfen unserer Kunden, ich denke an Mietübernahmeangebote und großzügiges Vertrauen bei der Zusammenstellung von Literaturpaketen („Sie wissen doch, was ich so gerne lese…“). Während die meisten von uns Bundeszuschüsse beantragten und wohl auch erhalten haben, fielen z.B. für freiberufliche Musikerinnen und Musiker nicht nur die Passionskonzerte aus, die oft für ein Drittel oder mehr des Jahreseinkommens sorgen. Aufgrund ihrer speziellen Arbeitssituation ohne gewichtige betriebliche Ausgaben wie Gewerbemieten oder Leasingraten für Fahrzeuge konnten sie außerdem, obwohl doch genau wie wir selbständig tätig, diese Bundesmittel eben nicht abrufen. Wegen fehlender Einkünfte und evt. erspielten Wettbewerbsgeldern können zudem gerade junge Absolventinnen und Absolventen von Musikhochschulen weder Instrumentenkredite abzahlen noch Leasingraten für ihr Instrument begleichen. Es bleibt für sie nur der Gang zum Jobcenter, um Arbeitslosengeld II zu beantragen. Viele gut und lange ausgebildete Musiker leben von ihrem Ersparten, dass die wenigsten doch haben.
Und die Aussichten sind miserabel, denn viele Bundesländer haben ihre Hilfsangebote eingestellt, manche gerade erst angefahren.
Sehr geehrte Frau Grütters, vergeben Sie die bereitstehenden Gelder des Buchhandlungspreises, immerhin eine knappe Million Euro, als solidarischen Beitrag Ihres ministerialen Hauses in diesem Jahr an selbständige Künstler! Das wäre ein hilfreicher Tropfen auf die heißgespielten Saiten, Bögen, Tasten Grifflöcher, die heißer gesungenen Stimmbänder, die heißgeschwungenen Pinsel, Meißel, die Kameras…, die auch in diesen für sie brotlosen Zeiten durch Proben und Gestalten beansprucht sind.
Herzlichen Dank für Ihr Verständnis!
Ursula Steinborn. Buchhandlung seitenweise, Freiberg
Chapeau, Frau Steinborn! In bedrängter Lage an die zu denken, denen es noch schlechter geht. Eine tolle Haltung. Meinen Respekt haben Sie. Dass Ihr Vorschlag Fürsprecher findet und an entscheidender Stelle gehört und erwogen wird, wünsche ich Ihnen und denen, für die Sie das Wort ergriffen haben. Aber so richtig zuversichtlich bin ich da nicht.
Die "Umwidmung" der Preisgelder für den Deutschen Buchhandlungspreis ist da, wenn auch gut gemeint, leider wenig hilfreich.
Abgesehen davon, dass das eine mit dem anderen wenig zu tun hat und erst einmal zu prüfen ist, ob solche Fördermittel einfach anders als beantragt verwendet werden können - würde man das Preisgeld gleichmäßig nur an diejenigen selbstständigen Künstlerinnen und Künstler verteilen, die Mitglied in der KSK sind (und das ist nur ein Teil), erhielte jede und jeder etwas mehr als 5 Euro (bei enormem Verwaltungsaufwand!).
Das Hilfe benötigt wird, steht außer Frage. Aber der hier gemachte Vorschlag ist nicht die Lösung.