Corona-Krise: Zur Situation des Mitteldeutschen Verlags

"Ein ganzes Frühjahrsprogramm krepiert im Rohr"

29. April 2020
von Börsenblatt
Die Schließung der Buchhandlungen hat die unabhängigen Verlage besonders hart getroffen. Der Mitteldeutsche Verlag habe schon viele stürmische Zeiten erlebt und überlebt. Corona aber könnte das Ende bedeuten. Verleger Roman Pliske schildert die existenzbedrohende Situation. 

"Der Mitteldeutsche Verlag (Sitz Halle (Saale)) ist seit fast 75 Jahren ein fester und wichtiger Bestandteil der deutschen Verlagslandschaft. In der Zeit nach der Wiedervereinigung hat er stürmische Zeiten erlebt und einige Kratzer abbekommen. Aber er ist nicht untergegangen. Bis heute. Bis Corona.

Auch in den letzten Jahren wurde der Verlag immer wieder starken Strapazen ausgesetzt: 2013 vernichtete ein Großbrand im Lager der damaligen Verlagsauslieferung rund die Hälfte der Verlagsproduktion. Der Verlag war dafür nicht versichert, da er einen alten Vertrag aus den 1990er Jahren hatte. 2016 folgte das VG-Wort-Urteil zur Verlegerbeteiligung, seitdem entgeht dem Verlag ein Drittel seines Jahresgewinns. Im Februar 2019 meldete der Großhändler KNV Insolvenz an und nahm das Weihnachtsgeschäft gleich mit. Und zum 1. Januar 2020 stieg das Porto für Büchersendungen bei der Deutschen Post um bis zu 60 Prozent.

Die Coronapandemie erwischte auch den Mitteldeutschen Verlag mit ihren direkten und indirekten Auswirkungen: Seit Mitte März registrieren wir einen starken Einbruch der Verkaufszahlen, einzelne Frühjahresneuerscheinungen wurden schon nach wenigen Tagen aus dem Sortiment zurückgegeben, da auch der Buchhandel kein Kapital binden kann. In der zweiten Märzhälfte hatten wir nur 20 Prozent des Umsatzes des Vorjahres, der April begann gar mit Minusumsätzen. Erst seit vergangener Woche sind bundesweit die Buchhandlungen wieder offen und verkaufen derzeit Bestandsware. Der Onlineriese Amazon verkauft bis Mai keine neuen Bücher der Verlage, weil er sich den relevanten Produkten zuwendet.

Die Absage der Leipziger Messe bedeutete, dass Novitäten 'unsichtbar' wurden, rund 40 geplante Lesungen im Umfeld der Messe ('Leipzig liest', 'Halle liest mit') fielen ins Wasser. Auch die sonstigen geplanten Lesungen (ca. 50 pro Monat) können nicht stattfinden, dadurch gibt es auch keinen Direktverkauf von Titeln. Neben den Lesungen sind auch Ausstellungen (für die wir Kataloge und Begleitbände produzieren) bis mindestens August gestrichen. Durch diese Planungsunsicherheit können wir kein Veranstaltungsmanagement leisten. Gerade für den Teil unserer Autorinnen und Autoren, die mit öffentlichen Auftritten einen wichtigen Teil ihrer Einkünfte erwirtschaftet, ist das ein großes Problem.

Die Relevanz des Buches in den Kulturflächen der Medien nimmt seit Jahren ab, auch derzeit werden weniger Bücher besprochen. Ein ganzes Frühjahrsprogramm krepiert dadurch im Rohr, ausfallende Einnahmen machen es kaum mehr möglich, mittelfristig Projekte zu realisieren, die nicht sofortige Umsatzträger sind (Literatur). Im März haben wir ein Drittel der Rücklagen der vergangenen 15 Jahre aufgebraucht! In Reaktion auf diese existenzbedrohende Situation ist der komplette Verlag mit seinen 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kurzarbeit. Bezüglich der sogenannten Soforthilfe, die den Verlag 14 Tage länger überleben lassen würde, haben wir seit vier Wochen nur eine Eingangsbestätigung. Das Herbstprogramm 2020 mussten wir um ein Drittel streichen, die Buchmesse Frankfurt am Main mit dem für uns wichtigen Gastland Kanada wackelt.

2021 wird ein ganz anderes Jahr, als wir uns das gedacht und erhofft haben. Der Verlag wird dann im Februar 75 Jahre alt – wenn es ihn bis dahin noch gibt. Wir arbeiten daran."