Gastspiel von Marianna Hillmer und Johannes Klaus

Durchs Raster gefallen

13. Mai 2020
von Börsenblatt

Kitas sind immer noch dicht: Kinder gelten nicht als systemrelevant. Das Verlegerpaar Marianna Hillmer und Johannes Klaus über das Arbeiten im Homeoffice mit zwei Töchtern – und die Ignoranz der Politik.

Es ist eine wirtschaftliche Katastrophe. Die meisten Branchen trifft es hart. Unserem Verlag, erst 2017 gegründet, brechen seit Anfang März die Einnahmen weg – in Zeiten von Reisewarnungen und geschlossenen Grenzen ist unser Thema Reise nicht gerade en vogue. Die Absage der kleinen und großen Messen und Lesungen betrifft allein für uns und unsere Autoren mehr als 20 Veranstaltungen, nur bis Ende Mai. Auch die Buchbranche gerät in den Corona-Strudel. Autoren, Buchhandlungen und Verlage passen sich jedoch kreativ und krisengestählt an, um ihre Kunden dennoch zu beliefern und zumindest online Leselust zu wecken. Chapeau!

Wenig später werden Schulen und Kindertagesstätten geschlossen – zweifellos ein richtiger Schritt, um die Pandemie schnellstmöglich einzudämmen und eine Eskalation zu vermeiden. Wir wie viele andere Familien merken, dass sich eine Vollzeit-Kinderbetreuung nicht mit dem Homeoffice verein­baren lässt. Der Effekt: keine Einnahmen und keine Zeit, ­etwas dagegen zu tun.

Eine finanzielle Hilfe für die von der ausgefallenen Kinderbetreuung Betroffenen wurde zwar Anfang April gesetzlich beschlossen. Liest man jedoch die Verordnung, wird schnell klar: Selbstständige sind nicht inbegriffen. Arbeitnehmer in Kurz­arbeit auch nicht. Vielleicht dachten die Beamten, dass sich die Kinder leise beschäftigen, selbst einkaufen und kochen und darüber hinaus die Eltern in Ruhe arbeiten lassen? Oder sollen Selbstständige ihre Arbeit einfach in die Nachtstunden verlegen? Die können sich das doch flexibel einteilen!

Wir sind ein eingespieltes Team, Homeoffice und Kinderbetreuung stellen keine komplett neue Herausforderung für uns dar. Wir betreuten unsere erste Tochter zweieinhalb Jahre zu Hause, beide dabei selbstständig in Vollzeit tätig, bekamen ein zweites Kind und gründeten einen erfolgreichen Verlag. Und wir haben es immer genossen, so viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen und uns gleichzeitig beruflich zu verwirk­lichen. Auch jetzt arrangierten wir uns. So lange konnte es ja nicht dauern, bis alles wieder aufmachen würde, und sicherlich würde man auch die Familien nicht vergessen!

Die lapidare Bekanntgabe der Bundesregierung, Kitas erst ab dem 1. August zu öffnen, ließ uns ungläubig zurück. Dieser Zustand soll auf Monate anhalten? Es hatte sich noch nicht mal jemand die Mühe gemacht, Kinder in aktuelle Studien zur Epidemie einzubeziehen. Durchgefallen durchs Raster der Systemrelevanz. Die Bedürfnisse und Nöte der Kinder spielten keine Rolle.

In den Köpfen vieler Menschen setzte sich dagegen schnell fest: Kinder sind Virenschleudern. Es verging seit Mitte April kein Tag, an dem unsere Kinder nicht auf der Straße angeraunzt wurden oder Menschen zusammenzuckten, weil unsere knapp zweijährige Tochter an ihnen nicht mit zwei Metern
Abstand vorbeirannte.

Noch nie haben wir so ungern in Deutschland gelebt und uns ernsthaft gefragt, ob wir unsere Töchter in einem Umfeld großziehen möchten, in dem Kinder hauptsächlich als Belästigung wahrgenommen werden. Die Regelungen zur schritt­weisen Öffnung nach systemrelevanten Berufsgruppen und ­Abschlussklassen ist eine staatliche Manifestierung einer Zweiklassengesellschaft. Immerhin wurden Alleinerziehende mittlerweile mit einem Betreuungsanspruch bedacht. Aber wie erklärt man einem vierjährigen Kind, dass es leider nicht zurück zu seinen Freunden in die Kita darf, weil die Eltern dafür den falschen Beruf haben?

Systemrelevanz – für uns bereits jetzt das Unwort des Jahres.