"Sehr verehrte Damen, sehr verehrte Herren,
während wir uns im postkulinarischen Dämmerzustand befinden und uns mit wohlwollender Gesinnung dem Wort und seinem Wert zuwenden, wacht eine Frau in Kanada in wenigen Stunden von ihrem eigenen Weinen auf.
Denn es ist Donnerstag, und donnerstags ist Ensaf Haidars Angst am schlimmsten. Donnerstag ist der Tag vor Freitag, und Freitag gilt als Heiliger Tag in Saudi-Arabien. Es ist der Tag, an dem Ensaf Haidars Mann, der Blogger Raif Badawi, die nächsten 50 von 1.000 Peitschenschlägen erhalten könnte, als Strafe, dass er "vom Glauben abfiel". Raif Badawi wurde heute vor vier Jahren und sechs Tagen verhaftet, für Sätze wie diese:
Meinungsfreiheit ist die Luft, die jeder Denker zum Atmen braucht, der Zündstoff für das Feuer seiner Ideen. ...
Du bist ein Mensch? Dann ist es dein gutes Recht, dich auszudrücken und zu denken, was immer du willst. So wie es auch dein Recht ist, zu sagen, was denkst, zu glauben oder nicht zu glauben. Liberalismus heißt leben und leben lassen.
2006 entdeckt Raif, damals Anfang 20, Internet-Blogs als Instrument des freien Wortes. Jenseits aller üblichen, gefährlichen und teuren Publikationsmethoden, kann er auf einmal einem großen Publikum gegenüber Stellung beziehen. 2008 begründet Raif den Web-Log Saudi Free Liberals Forum, in dem jeder und vor allem: jede sich zu Themen wie Religionsfreiheit, Frauenrechten und Menschenrechten äußern kann. Die meisten kommentieren anonym.
Nichts weniger als sein Leben soll das Raif Badawi kosten.
Ist das der Wert des Wortes: Die Währung von Freiheit, Schmerz und Tod?
Am Wochenende vor zwei Wochen nahm ich das erste Mal an einem Literatur-BarCamp teil. BarCamp, das ist eine Art extrem-demokratische Un-Konferenz. Anstatt dass es ein, zwei Rednerinnen gibt, die kluge Gedanken über das zur Schweigsamkeit und WhatsAppen verdammte Publikum versprühen, kann jeder der TeilGEBENDEN eines BarCamps morgens Themen für eine Session vorschlagen. Findet der Vorschlag ein Minimal-Quorum, erhält der Vorschlagende einen Time-Slot und einen eigenen Raum für 45 Minuten.
In zwei Tagen veranstalteten 153 Teilgebende aus der Buchbranche – Blogger, Buchhändlerinnen, Lektorinnen, Autoren, Rezensenten – 65 Sessions. Über die Kunst des Narrativs im Videospiel, über die Mutterfigur in der Gegenwartsliteratur, wie man vom Selbstmordgedanken zum ersten Verlagsvertrag kommt, welchen Sex erfolgreiche Frauen lesen wollen … ich sehe, das wäre für manche hier interessant. Das #litcamp17 findet Anfang Juli Zwo17 statt.
Bei meiner Session über das "Geschäftsmodell e-Bookpiraterie" kam auch die "Gegenseite" zu Wort: Der eBook-Pirat. Zu ihm und seinen Nöten gleich.
Ein Viertel der deutschen eBookleser bedient sich aus illegalen Quellen. Laut Trafficanalysen der Piraterie-Bekämpfer File Defense und Digimarc ist Deutschland Weltmeister im illegalen Stream und Sharing. Keine andere Nation bezahlt so ungern für Literatur im Netz wie das Land der Dichter und Denker, pardon, das Land der Daddler und Downloader. Kindles werden gleich mit 1.000 illegalen eBook-Kopien und einem Augenzwinkern verschenkt. Bei Google findet jeder bei Eingabe der Stichworte "ebook" und "free" auf der ersten Seite 5 Links zu illegalen, leicht anzusteuernden Gratis-Quellen – pro Buch. In Facebook-Gruppen "bestellen" E-Booksauger ihre Wunschlektüre, irgendein Upper wird den Dropboxlink schon besorgen. Wer für Kultur im Web bezahlt, gilt als peinlicher Neuländer. Der Wert des Wortes: ach, klick dich.
Die Wertschätzung des Wortes scheitert aber nicht nur am teutonischen Geilheitsfaktor Geiz. Sondern an der Tyrannin Gewohnheit.
2008 eroberten Tablets und Smartphones die Welt – und veränderten das Kultur-Konsumverhalten elementar: Es wird so viel kopiert wie nie zuvor. So viel gratis verschleudert. Mediatheken, Online-Archive, gratis Zeitschriftenartikel, nahezu vollständige Bücher bei Google, Geschenkdownloads, Flatrate-Abos: Immer mehr Menschen nutzen immer mehr Kulturwerke online, ohne dafür zu bezahlen. Rund 330 Millionen Menschen nutzen täglich weltweit illegal distribuierte digitale Kultur for free.
Megaplattformen wie Spotify, Netflix oder YouTube, die der Cloud-Computing-Experte Tariq Krim als "McDonalds für unsere Köpfe" bezeichnet, liefern oben drauf noch Kultur zum Schleuderpreis, mit einem Urheber-Split-Tarif, für den sich nicht mal ein Hoffnarr die Klingelkappe aufgesetzt hätte. 100 Millionen Menschen hören Musik nur noch via Spotify. In 190 Ländern ist Netflix zu haben. Eine Milliarde Menschen schieben sich über Facebook gigantische Mengen Texte und Clips zu und organisieren geschützten Ebookklau.
Kostenloser digitaler Kulturkonsum in diesem Umfang bleibt nicht ohne Folgen für die analoge Welt und ihre Strukturen, ob auf wirtschaftlicher, sozialer oder humanistischer Ebene.
Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich handelt es sich zunächst um den "transfer of value": den Wertetransfer. Nicht mehr die Leistungen der Schöpfer werden respektiert und honoriert, sondern die "Leistung" des Werk-Vermittlers. Content war mal King, aber distribution ist heute King Kong. Die größten Intermediäre, das GAFA-Quartett aus Google, Apple, Facebook und Amazon, setzen zu viert mehr um als die ersten 30 DAX-Unternehmen.
Der Werte-Transfer weg vom individuellem Schöpfer, hin zur Masseverteiler und seinen teuren Geräten, hat nicht nur Folgen für die ökonomische Seite unserer Branche. Es ist nicht allein die Vergütung, die uns fehlt oder die Rechtsdurchsetzung, die faktisch ignoriert wird. Sondern gleichsam sinkt die Anerkennung der schöpferischen Leistung, der Respekt vor dem Schaffen eines Individuums, und ein unumkehrbarer Wertschätzungsverlust für die gesamte Kunst und Kultur im Dunstkreis jedes WLAN-Netzes.
Die drei Hauptgründe der eBookpiraten vom LitCamp waren: 1) Format-Chaos – hier wurde Adobe als Kaufverhinderer genannt, 2) als ungerecht empfundene Nebenwirkungen von eBooks wie Unverleihbarkeit, closed shop-Systems und Leselizenz statt Eigentum – und, 3), ja, jetzt müssen Sie tapfer sein: Der Preis. Die Umfrage beim #litcamp16 ergab folgenden Preis als angemessen – (Ah, Moment, machen wir schnell hier eine Umfrage. Bitte Handzeichen; "Buch, das Sie interessiert, egal ob eBook-Ausgabe von Hardcover, Taschenbuch oder Backlist, bitte Handzeichen für 15 bis 20, 10 bis 15, 5 bis 10, 1 bis 5 ) ––
Jetzt das Wahlergebnis aus Heidelberg: ///// 4 Euro 99.
Ich höre die Taschenrechner hinter Ihren Stirnhöhlen rattern und die Frage: Müssen wir jetzt eBooks noch billiger machen? Gegenfrage: Und dann?
Was sind die Folgen, wenn wir den Wert des Wortes freiwillig auf den Preis reduzieren, und der digitalen Disruption der Märkte weiter nachgeben?
Ist das überhaupt der Wert des Wortes: sein Preis?
Wäre der Preis das Äquivalent zu dem Aufwand, wäre jedes Buch unbezahlbar. Ich arbeite an einem Buch ja nicht nur dann, wenn ich in chiropraktisch bedenklicher Haltung über die Tastatur gekrümmt auf Buchstaben einhämmere. Das wären pro Buch rund tausend Stunden. Dazu kommen Nachdenken, Nachlesen, Nachfühlen, pro Buch 4.000 Stunden, verteilt über ein bis drei Jahre. Den Wert meiner Arbeit in diesen Zeiteinheiten zu messen geht jedoch an seinem Schöpfungsprozess weit vorbei.
Ich setze nichts weniger als mein gesamtes kurzes, fehlbares Menschenleben ein. Jeder Text, auch dieser hier, in diesem Moment, ist das Ergebnis der Filterfunktion durch die Erlebnismembran meiner Person. Meiner Seele. Meines individuellen Erfahrungshorizonts. Alles, was ich schreibe, ist die Essenz meiner Persönlichkeit, meiner Intelligenz, und auch meiner relativen Dummheit, meinem Mut zum Risiko, und meiner gelebten Jahre.
Ich arbeite nun seit fast 25 Jahren als Schreibende, seit 20 Jahren bin ich "online": Ich bin im wachsenden digitalen Raum ebenfalls erwachsen geworden. Ich hätte es nie gedacht, als ich 1995 meine ersten eMails verschickte oder 2002 einen illegalen Scan meiner Bücher in den ersten usenet-Foren fand; ich hätte nie gedacht, dass ich nach 20 Jahren Internet sage:
Ich habe Angst. Ich habe Angst, dass die Sache gründlich schief geht.
Es ist ein zutiefst befremdliches Gefühl, jeden Tag mit zu erleben, wie wertlos meine Arbeit im digitalen Raum wird. Wie auf mich gespuckt wird, in Hater-Foren, wie ich per eMail beschimpft werde, als Künstlerpack, als Schreibscheißerfotze, die sich einen anderen Beruf suchen soll, wenn sie ihre eBooks bezahlt haben will. Auf Podien muss ich mir von studierten Herren sagen lassen, dass ich eine Besitzstandswahrerin bin, die den Wissensfluss hemmt und das Internet nur nicht verstanden hat; jenes Internet, dessen erfolgreichste Geschäftsmodelle auf dem unethischen Ausbeuten meiner Leistung beruht.
Ja, es lässt sich viel allzu Menschliches studieren im politischen Engagement, meine Herrschaften. Es ist befremdlich und beängstigend zu sehen, wie der Hass mehr wird. Nicht nur auf mich. Hate-Speach, Drohungen, Cybermobbing, Propaganda. Wie die Entfremdung zunimmt, obgleich wir doch das globale Dorf eröffnen wollten.
Das Wort und sein von der Gesellschaft definierter Wert, ist stets ein Spiegel der Gesellschaft. Wir lebten bis eben übrigens mitnichten im Paradies:
Vor drei Wochen war ich in Zürich bei einer Art "Oldschool BarCamp" der Schweizer Verlegerinnen und Buchhändlerinnen. In drei statt 60 Kollektivsessions wurden Ideen erarbeitet, wie die Buchbranche zu retten sei. Die Vorschläge mit den meisten Votums-Klebepünktchen der 120 Tagungsgäste lauteten: "Bücher teurer machen" und: "Mehr auf Inhalt setzen".
Der Vorschlag von mir, "AutorInnen besser bezahlen", erhielt ganze drei Votumspünktchen, davon einer von einer Agentin. Und zwei von mir.
Kein einziger Verleger und kein Buchhändler sah sich genötigt, für bessere Inhalte und teure Bücher die Quellen, aus denen er trinkt, zu fördern.
Und schieben Sie das jetzt nicht auf die Schweizer: Statt sich für Plattformregulierung, Piraterie oder einen integren Umgang mit Literatur in der digitalen Transformation zu engagieren, verstricken auch Sie sich in spaltende Stellungskriege ums Urhebervertragsrecht.
Der Wert Ihrer Arbeit, meiner Arbeit, ist digitalisiert nicht mehr be-greifbar. Das ist nicht metaphorisch gemeint. Es gibt keinerlei Hindernisse mehr, um sich ein Buch zu besorgen – weder Öffnungszeiten noch schlecht gelaunte Buchhändler noch mangelnde Parkplätze an der Fußgängerzone. Der Vorteil des allzeit abrufbereiten eBooks ist gleichzeitig sein Nachteil: Jederzeit, von überall, Elba oder Etagen-Klo, können Sie sich ein eBook ziehen, kopieren, "sharen" – ebooks sind so leicht zu haben wie der Gratiskuli vom Versicherungsmakler. Und unter Millionen Titeln wird das einzelne zum Pixelklecks, sogar die Zehn Gebote sind da nicht mehr als drei witzlose Tweets.
Autorinnen, die diese luftigen, flüchtigen Pixelkleckse erarbeiten, sind für den User bestenfalls virtuell, meist egal. So, wie uns die Kaffeebauern egal sind.
So durchlaufen Sie und ich bei aller Liebe und Beharkerei den radikalsten Entwertungs-Prozess seit Erfindung der Kultur: Menschen, die aufgrund des digitalen Überangebotes nichts mehr besitzen müssen um es zu nutzen, haben auch nichts zu verlieren. Wir gehen verloren, und sitzen immer noch still. Oder wie der Plattform-Analyst Stefan Herwig sagte: "Es muss noch viel schlimmer werden, bevor es besser wird."
Schlimmer geht’s bestimmt noch immer: Wir leben 2016 in einer Welt, in der ein 140-Zeichen-Tweet 304.000 Dollar wert ist – wenn er von Cristiano Ronaldo kommt. In der selben Welt ist Onlinepiraterie der fünftgrößte Schwarzmarkt, und gibt es keinerlei internationale Abkommen, um das klügste, sensibelste Literaturwerk vor Piraterie oder Plagiat im Web zu schützen. Es ist eine Welt, in der Schikanierer, Hass-Prediger und Unternehmen, die die Urheberrechte ignorieren, im Internet privilegiert werden, während Bürger ihre Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung, Datenschutz und Urheberrecht, eintauschen gegen Gratis-Tetris-Apps. Wir leben in einer Welt, in der Algorithmen entscheiden, welche Informationen zugänglich sind, und in der digitale Zensur leichter möglich ist, als ich "content control software" aussprechen kann. In der jedes eBook, dass Sie von Amazon lesen, heimlich verändert oder gelöscht werden kann, und einem Überwachungstool Ihrer Gelüste gleichkommt. Eine Welt, in der Regierungen digitale Strukturen nutzen, um Worte zu kontrollieren, und in der komplexe Zusammenhänge verachtet werden. Das Kommentarkürzel TLDR, "Too long, did’t read" ist das Symptom einer Selbst-Verdummung, alles in Häppchen am Bildschirmchen lesen und bewerten zu wollen. Mehr Wörter dürfen es für die meisten nicht sein! – und wer will für diese Handvoll Wörter schon wirklich zahlen?
Sie und ich, wir müssen uns auf einmal verteidigen, Geld für unsere Arbeit erhalten zu wollen. Wir sind aufgerufen, den Wert des Wortes zu beziffern, in Euro und Dollar – und scheitern kläglich. Denn wie will man jenen, die Literatur, die Filme, die Musik und Fotos, zwar konsumieren, aber diese Werte für ihr eigenes Leben, die Ausformung ihrer Persönlichkeit, ihr Erleben, ihr Inneres nicht wahrhaben wollen, den Wert von Kultur je erklären? Kultur im Netz, das ist so wie der Strom aus der Steckdose. Ist eben da! – und könnte billiger sein.
Wie also das Wort und seinen Wert in der digitalen Evolution retten?
Hören Sie zum einen auf zu hoffen, sein analoger Wert sei unfallfrei ins digitale zu übertragen. Das ist zurzeit nicht möglich.
Ein Buch kann den Kollektivkonsens des digitalen Raums niemals befriedigen. Das widerspricht seiner Natur, und auch seinem über die Jahrtausende gefundenen Selbstauftrag: Ein Buch ist immer nur individuell geschaffen, und wird auch stets nur auf Individualität einwirken. Tausende lesen dasselbe Buch und doch jeder ein anderes – weil Bücher nicht nur Resonanzkörper der einzelnen Schöpfer sind, sondern mehr noch ihrer einzigartigen Leserinnen.
Ein Buch ist der Kontraentwurf zur virtuellen Welt und seiner behaupteten "Schwarmintelligenz", die im Web kollektiv einen Konsensbrei aus Wissen und Vermutung anrührt, in kurzen, verdaulichen Texthäppchen – der schon am nächsten Tag aus der Timeline und aus dem Gedächtnis verschwunden ist.
Nichts bleibt so wenig haften wie digitale Zwischenrufe. Auch entwickelt sich diese Schwarmintelligenz zunehmend zu einer Schwarm-Inkontinenz.
Das Buch: Inbegriff des Individuums.
Das Internet: Inbegriff der Masse.
Und vielleicht liegt genau dort die Chance zu einem Gegengewicht – wenn wir, anstatt der digitalen Transformation ausgeliefert, pessimistisch oder allzu mitläuferisch zu begegnen, uns dieses Wertes annehmen und zu unserer Mission machen:
Geben wir dem Buch seine Verantwortung zurück. Ich stehe als Urheberin für mein Buch mit meinem Namen gerade. Ich bin verantwortlich. Ich mache mich sichtbar. Verletzbar. Kritisierbar. Ich bringe mein ganzes Sein ein für ein Buch, meine Würde, meinen Willen, mich für meine Worte zu verantworten.
In der Anonymität des www dagegen ist es leicht, sich als Urheber von Hass-Parolen, Verleumdungen und verbalen Entgleisungen im Kollektiv zu verstecken und keinerlei Verantwortung zu übernehmen.
Eine Gesellschaft, in der viel gedruckte Bücher von vielseitigen Individuen verfasst, gelesen wird, ist weniger anfällig gegenüber Fremdenhass, Intoleranz, Homophobie oder religiösen Wahn. Bücher stellen mehr denn je das existenzielle Gegengewicht zu Empathielosigkeit, destruktiven Rudelbewegungen und Konsumtechnokratie dar; sie sind die wirksamsten Vermittler von Empathie und Emotion, von der Fähigkeit, die Welt breiter und unterschiedlicher wahrzunehmen als nur durch Monitorgroße Schlitze. Sie sind Aufklärungsmittel, um Kulturen verstehen; andere Liebe, anderer Hass!, um Kulturen zu verbinden. Sie erinnern uns daran, Individuen zu sein und einander als solche zu respektieren. Sie widerstehen der Zensur, und erhalten den Mut zur Verantwortung und zu einem individuellen Schaffen, losgelöst von wirtschaftlicher Beugehaft oder modernem Mäzenatentum.
Also:
Machen Sie Bücher, die sich an Individuen richten.
Sie werden die Blogbeiträge von Raif Badawi, wegen derer er verhaftet wurde, übrigens nie wieder im Internet finden. Sondern: Im Buchhandel.
Raif Badawis Buch "1.000 Peitschenhiebe. Weil ich sage, was ich denke" ist bei Ullstein erschienen, kostet 4,99 Euro, und enthält auf 60 Seiten 14 zentrale Texte des Internet-Aktivisten. Die Erlöse gehen an seine geflohene Familie.
Dieser Medienwechsel hin zu dem gedruckten Buch, dem tapferen Aufklärungs-Medium, ist nur logisch. Gedruckte Bücher sind mehr denn je ein humanistischer Wert.
Und das ist es, was ich Ihnen heute sagen will, das also ist Ihre Aufgabe, liebe Verlegerinnen und Verleger:
Gehen Sie hinein in die Debatten, in welcher Sorte digitaler Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Wohl kaum in einer, in der neue Geschäftsmodelle auf der Basis unethischen Umgangs mit menschlichen Leistungen geschieht.
Machen Sie Bücher, die das Filigrane, das Einzigartige des Menschen berührt, Bücher, die die Toleranz, das Selberdenken, den Mut betören.
Laufen Sie nicht mit im digitalen Ausverkauf, aber bleiben Sie auch nicht nur trotzig stehen. Finden Sie einen dritten Weg – und zwar mit Autoren und Autorinnen.
Es geht um die Rettung einer menschlichen, toleranten Menschheit, um nichts weniger; es geht um Widerstand gegen digitale Entfremdung und die Bewahrung von Mitgefühl und Weltoffenheit.
Das ist für mich 2016 der Wert des Wortes.
Erwerben – und verkaufen Sie ihn nicht zu billig."
(Fettungen durch die Redaktion)
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Quellen und Hintergründe zu Nina Georges Rede:
Themenkomplex Plattformregulierung und Intermediäre:
http://gema-politik.de/gastbeitrag-stefan-herwig/
Themenkomplex Internet, Hyperkapitalismus, Ausbeutung menschlicher Leistung und digitale Entfremdungen:
http://www.zeit.de/kultur/2016-06/entschleunigung-internet-tariq-krim
http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445722/?aid=800948
Themenkomplex Piraterie:
http://www.gvu.de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen
https://tarnkappe.info/gutenberg-3-6-ebook-piracy-report-erschienen/
Erica (Autorin)
Wie muss ich mir das vorstellen: Frau George und ihr Verleger mussten sich bisher nicht rechtfertigen, wenn ein Text von Frau George kein Geld abgeworfen hat? Die gänzlich gewandelten Bedingungen der digitalen Produktion bringen in "gewisser Weise" die Produktionsbedingungen der analogen Welt konsequent an ihr Ende. Jede konventionelle Vorlage des verlegerischen Kapitals bringt dann bei 0 EUR Kosten 0 EUR Gewinn. Frau George versteigt sich nun gar zu einer Formulierung wie "radikalsten Entwertungs-Prozess seit Erfindung der Kultur". Hier wird der beschränkte "Verwertungshorizont" von Frau George deutlich. Außerhalb von "Verwertung" ist für Frau George "Kultur" offensichtlich nicht möglich.
Wenn in dieser eingetretenen Krise nun versucht wird, mit einem abgewandelten bürgerlichen Sachenrecht - also mit dem Urheberrecht - diese Krise zu lösen, dann folgen notwendig Zensur, Wissensvernichtung, Fanatismus, Geheimnis, Kult usw. Das Internet schafft die tatsächliche materielle Basis für freie Kommunikation, Kreativität, Entscheidungsfindung,... Wie das aussehen wird, zeichnet sich vage ab, es gibt genug Menschen, die man hätte nach Leipzig einlanden können um darüber zu sprechen. Frau George steht für die Vergangenheit.
Der Text von Frau George ist eine einzige Anfeindung des Internets. Frau George spürt, dass das Internet die Privilegien ihrer Schicht von "Inhalteproduzenten" entwertet und beschimpft alle die sich außerhalb dieser Schicht befinden als "Masse", als "Konsensbrei", ""McDonalds für unsere Köpfe" usw. So wird das nichts Frau George.
ich glaube Sie setzen da etwas voraus, dass so noch nicht entschieden ist: Die Frage ob das Urheberrecht auch im Netz funktionieren kann. Wenn sie automatisch annehmen, dass im Raum der "freien Informationen" kein ruam mehr für Ausschließbarkeit von Waren ist (Die das Urheberrecht ja herstellen soll) , dann bedeutet das gleichzeitig das Ende von Daternschutz, Persönlichkeitsrechtschschutz und aller anderen Rechtsgüter, die mit distribuierter und regulierter Information zu tun haben, wie zum Beispiel auch Jugendmedienschutz.
Ich behaupte: Diese Frage, ob "Ausschließbarkeit" im Netz geschaffen werden kann, an der sich dann auch die Verwertbarkeit anschießt, ist noch offen. Genau um diese Frage wird momentan gerungen, und der vorliegende Text von Nina George ist ein Baustein in diesem Diskurs, und ein Argument FÜR Urheberrecht und Ausschließbarkeit.
In einer Sache gehen sie aber auf jeden Fall fehl: Der Raum der freien Informationen lässt durchaus Platz für Verwertung übrig, aber nur nicht in demselben Maße. Insofern ist es durchaus legitim dies als eine Entwertung zu bezeichnen.
Ich persönlich glaube, dass ein Raum der freien Information (was das Internet jetzt bereits nicht mehr ist) eine totalitäre Schreckensvorstellung darstellt, der wir unbedingt entgegentreten sollten. Auf die kommerzielle Verwertung von Kulturgütern kann eine Gesellschaft vielleicht gerade noch so verzichten, aber was ist mit journalistischen Inhalten. Was ist mit Privatsphäre und Datenschutz? Dadurch würden sich Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft so erheblich zu unseren Ungunsten verschieben, dass mir wirklich Angst und Bange würde.
Und wofür dass alles? Wofür der Verzicht auf Ausschließbarkeit? Was ist damit wirklich gewonnen, abgesehen von Millionen Katzenvideos auf YouTube, und deren kulturarmen Equivalente in allen anderen digitalisierbaren Kulturbereichen?
HAben sie dazu eine überzeugende Antwort?
SH
Gegenstand meiner Anmerkung ist der von Frau George referierte vulgäre Gegensatz zwischen "gedrucktem Buch" und "Monitorgroßen Schlitzen".
Sie schreibt:
"Eine Gesellschaft, in der viel gedruckte Bücher von vielseitigen Individuen verfasst, gelesen wird, ist weniger anfällig gegenüber Fremdenhass, Intoleranz, Homophobie oder religiösen Wahn. Bücher stellen mehr denn je das existenzielle Gegengewicht zu Empathielosigkeit, destruktiven Rudelbewegungen und Konsumtechnokratie dar; sie sind die wirksamsten Vermittler von Empathie und Emotion, von der Fähigkeit, die Welt breiter und unterschiedlicher wahrzunehmen als nur durch Monitorgroße Schlitze."
Das ist bestenfalls rührseliger Kitsch und in einer Art Selbstrührung resp. Selbstmitleid wohl auch das eigentliche Ziel von Frau George. Insofern gehe ich von ihrer guten Absicht und Betroffenheit aus. Sprachlich ist der zitierte Satz ohnehin nur Gestammel - falsche Fälle, falsche Bezüge.... und sinnbildlich für die schrecklichen Plattheiten in der gesamten Rede. In einer substanziellen Diskussion aber ist der Text von Frau George analytisch falsch und in den gesellschaftlichen Implikationen geradezu reaktionär. Das "gedruckte Buch" steht als Medium inhaltlich für gar nichts, genausowenig wie das "Internet". Frau George will allen Ernstes "Das Buch" als endgültige erhalten und lädt das Buch- Ding mit geradezu religiöser Bedeutung auf, macht es zum Fetisch. Sie übersieht dabei den Kern der Diskussion - nämlich die "Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Inhalten". Diese haben sich radikal geändert und werden sich weiter ändern, es bringt nichts "das Buch" als eine Monstranz hochzuhalten.
Sie schreiben: "In einer Sache gehen sie (also ich, Trier) aber auf jeden Fall fehl: Der Raum der freien Informationen lässt durchaus Platz für Verwertung übrig, aber nur nicht in demselben Maße. Insofern ist es durchaus legitim dies als eine Entwertung zu bezeichnen."
Das Internet wie es aktuell beschaffen ist, lässt doch nicht nur "durchaus Platz für die Verwertung", es ist ein grenzenloser Raum der Verwertung, es ist die absolute Verwertung. Das Verhalten der "EBook Piraten" so wie es Frau George erklärt, ist ja bloß moralisierend diffamierend aber nicht ökonomisch analysierend. Die Nutzer verhalten sich vollkommen "wertorientiert" und "Google" stellt die dafür notwendige Form zur Verfügung. Mal so nebenbei: Google schafft und liefert auch die "moralische" Rechtfertigung für die Nutzer (wir konsumieren die Werbung und liefern die Daten als Gegenleisung dieses Geschäftes). Es ist eben nur eine andere Moral als die von Frau George - hier ganz konventionelle Schreiberin versteht Frau George nur nicht, dass es keine "gute" oder "schlechte" Moral gibt. Zwischen Frau George, Google und den EBook Piraten besteht insofern kein Unterschied in der allen gemeinsamen Teilnahme am "Verwertungszusammenhang" Internet, es besteht nur ein Unterschied der Interessen innerhalb des durch "Google" neu geschaffenen Verwertungszusammenhangs. Die "Kultur" ist im Internet nicht entwertet, die Produzenten laufen bloß in Gefahr sich ökonomisch nicht mehr zu reproduzieren.
Hier stimme ich Ihnen zu: "Dadurch würden sich Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft so erheblich zu unseren Ungunsten verschieben, dass mir wirklich Angst und Bange würde." Es müsste noch herausgearbeitet werden, wen Sie mit "uns" meinen: Denn es gibt ja wie bei jedem solcher Prozesse Verlierer und Gewinner. In der jetzt vorgefundenen Konstellation sogar mit einer Radikalität, die uns in ein "Mittelalter" zurückstürzen könnte.
Ich kann bloß ahnen was Sie mit einer "überzeugenden Antwort" meinen. Nein, ich kann Sie nicht vom Risiko erlösen, welches mit dieser umstürzenden Veränderung verbunden ist. Aber ich weiß, dass wir diese Diskussion ohne Internet nicht führen könnten.
Das können sie in diesem Falle von eBook-Piraten auf viele andere kriminelle Handlungen überrragen, die nicht wirklich aus Aggression geboren sind. Und übertragen sie es auf Cyberkriminalität, so ist auch die Rolle von Google nicht unzutreffend beschrieben.
"Mal so nebenbei: Google schafft und liefert auch die "moralische" Rechtfertigung für die Nutzer (wir konsumieren die Werbung und liefern die Daten als Gegenleisung dieses Geschäftes). Es ist eben nur eine andere Moral als die von Frau George - hier ganz konventionelle Schreiberin versteht Frau George nur nicht, dass es keine "gute" oder "schlechte" Moral gibt. Zwischen Frau George, Google und den EBook Piraten besteht insofern kein Unterschied in der allen gemeinsamen Teilnahme am "Verwertungszusammenhang" Internet, es besteht nur ein Unterschied der Interessen innerhalb des durch "Google" neu geschaffenen Verwertungszusammenhangs."
Da geht aber gerade extrem viel bei ihnen durcheinander. Der Unterschied zwischen frau George ist es, das ihre Verwertung nicht destruktiv (oder disruptiv) in andere Verwertungsformen eingreift. Es ist so, als wenn sie gerade Täter und Opfer über einen Kamm scheren, nur weil beide mnach einem "Eigeninteresse" handeln. Mit dieser fragwürdigen Gleichstellung gehen gesellschaftlich und philosophisch gerade jede Menge Werte über die Wupper.
Freiheit ist nicht nur wenn alel tun können was sie wollen, sodnenr wir müssen auch Antworten darauf haben, was passiert wenn die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen kollidiert. Genau das passiert hier gerade. Die Trittbrettfahrerei von Google und den E-Book Piraten nimmt frau George ihr Geschäftsmodell und ihre unternehmerische - und damit auch künstlerische - Freiheit - und nicht umgekehrt!
Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen verblüfft darüber, dass wir uns über diese Art von gesellschaftlichen Konventionen noch streiten müssen.
Und noch zur Darstellung von "Schlitzen" und gedruckten Büchern. Hier vergleicht die Autorim m.E. nicht wirklich Comoputer und Buchseiten miteinander, sondern die gesellschaftlichen Kulturkreise und Schwingungen die sie - momentan - auslösen.
Auch wenn ich selber kein so ausnehemder Verfechter des ausschließlich gedruckten Wortes bin, so kann ich doch nachvollziehen dass Frau George hier momentan über die gesellschafltichen Realitäten schreibt, die die Informaioinskanäle hier gerade typischerweise formen. Daher finde ich den Vergleich durchaus statthaft, und auch kaum vulgär.
Es reifen nun aber unabhängig von Ihrem Bemühen Konstellationen heran, die diesen "Verwertungszusammenhang" auflösen werden. Auf den unlösbaren Widerspruch zwischen einer konventionellen Lösungsstrategie "Urheberrecht" und der praktischen Undurchführbarkeit dieser Lösungsstrategie in der "Digitalen Welt" mache ich aufmerksam. Google ist nur dann "Trittbrettfahrer" oder gar im Bunde mit den "Piraten" "kriminell" , wenn man in den überkommenen Zuständen "moralisch" denkt. Google aber ist auf dem Weg einen neuen Zustand herbeizuführen, der "normal" wird. Um es deutlich zu machen, spitze ich zu: Dann wird eben jener idyllische Zustand des "Urheberrechts", den Frau George so sentimental beschreibt, "kriminell" und "unmoralisch" werden. Sie versucht dann als "Piratin" außerhalb des "Google Rechtes" etwas zu publizieren. Wenn das aufmerksamkeitsökonomisch erfolglos sein wird - davon gehe ich aus - wird es ignoriert werden, ist es einigermaßen erfolgreich und tritt in Konkurrenz zu Google wird es innerhalb eines neuen Systems von "Recht und Moral" bekämpft werden.
Die Dystopie einer durch Google "beherrschten" Welt , die Frau George beschreibt, ist ebenso sentimental und vorallem harmlos wie der idyllische Zustand des "Urheberrechts". Während Frau George der Dystopie einfach den idyllischen Zustand entgegenhält, versuche ich zu zeigen, dass "Google" als "Technik" die materiellen Voraussetzungen für eine "Welt neuer Freiheit schafft". Ob es gelingt den Raum von "Freiheit" zu erweitern oder jene Dystopie eintritt, weiß ich nicht. Versöhnlich würde ich sagen, dass Frau George jene Dystopie, wie auch ich nicht will, dass ich aber ihr Denken für zu eingegrenzt halte.
"Google ist nur dann "Trittbrettfahrer" oder gar im Bunde mit den "Piraten" "kriminell" , wenn man in den überkommenen Zuständen "moralisch" denkt."
Sie erklären hier relativ leichtfertig Etwas für "überkommen" über das wir uns gesellschaftlich noch streiten. Das sind keine Naturgewalten, die da über uns hereinbrechen, und gegen die wir keine Mittel haben, sondern wir können in der tat den Kurs des Netzes, den Kurs von Google und auch das Ausmaß der Disruption, dass diese Protagonisten erzeugen durchaus steuern, politisch, gesellschaftlich und ökonomishc.
Ich hielte ehrlich gesagt diese Art von Denken ebenfalls für überkommen. das Internet ist keine Urgewalt, die sich der Einflussnahme entzieht, im Gegenteil, es ist ein von Menschen geschaffener gesellschaftlicher raum, in dem wir regeln ebenso setzen und verändern können - und sollten - wie wir es auch in unserer Kohlenstoffwelt tun.
Ganz abgesehen davon halte ich die Auflösung der "moralischen" Dimension von Handeln von Wirtschaftsakteuren für ziemlich bedenklich.