Gemeinsamer Appell der Autoren und Verlage

Gegen die Sturheit

9. Februar 2017
von Börsenblatt
Der Standort Deutschland und seine vielfältige Medienlandschaft sind in Gefahr, wenn Urheberrecht und Publikationsfreiheit geschwächt werden. Wissenschaftsautoren und Verleger rufen die Politik jetzt in einem gemeinsamen Appell zur Umkehr auf. Informationen und Stimmen zum Hintergrund der Aktion.

Was haben "alternative Fakten" mit dem Urheberrecht zu tun? Mehr, als einem auf den ersten Blick bewusst ist. Wenn Regierungen und ihre Pressesprecher dazu übergehen, Tatsachenbehauptungen an die Stelle verifizierbarer Fakten zu setzen oder wenn sie sich in Orwellscher Manier in "Doppeldenk" üben (und je nach Laune Fünfe gerade sein lassen), dann geraten Gesellschaften, die sich auf rechtliche und moralische Wahrheiten gründen, ins Rutschen.

Mehr denn je braucht deshalb die "Bildungsrepublik Deutschland" freie Autoren und eine vielfältige Verlagslandschaft. Mit diesen Worten, bei leicht veränderter Satzstellung, ist ein Appell überschrieben, den mehr als 70 Verleger und Wissenschaftsautoren am 6. Februar im Internet veröffentlicht haben – darunter die Historiker Norbert Frei, Jürgen Osterhammel und Michael Wolff­sohn (www.publikationsfreiheit.de). Die Unterzeichner fordern darin ein Urheberrecht, das den Beitrag von Autoren und Verlagen zur Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit sichert. Denn für eine pluralistische und innovative Gesellschaft ist er unabdingbar.

Im Moment scheint der Zug allerdings eher in die andere Richtung zu fahren: Die Rechtsprechung und die Gesetzgebungsverfahren der vergangenen Monate zum Urheberrecht bedeuten – von Ausnahmen wie dem Urhebervertragsrecht abgesehen – eine Aushöhlung und Schwächung der Rechtsposition von Autoren und Verlagen. Daraus spricht immer unverhüllter die Auffassung, dass im Bereich von Wissenschaft und Forschung das privatwirtschaftliche System des Verlegens zum Auslaufmodell erklärt und von einem mit öffentlichen Mitteln finanzierten und staatlich verwalteten Publikationsapparat abgelöst werden soll. In der Konsequenz würde dies – und da sind Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit unmittelbar berührt – das Ende einer unabhängigen, aus individueller ­Initiative erwachsenen Verlagslandschaft bedeuten, und damit auch den Wegfall eines dem staatlichen Zugriff entzogenen Korrektivs. Es wäre zugleich der Zusammenbruch der »gesamten bestehenden Publikations-Infrastruktur vom Autor über den Verlag bis zum Fachbuchhandel«, so eine Warnung des Appells.

Vor diesem Hintergrund würde das Interesse privater Unternehmer, Angebote für den akademischen Markt zu ent­wickeln, erlöschen, befürchtet Börsen­vereins-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis. "Wissenschaftliche Autoren werden mangels eines starken Urheberrechts kaum mehr kompetente Partner für op­timale Veröffentlichungen finden." Die bislang der Gesellschaft zur Verfügung stehende Vielfalt an hochwertiger und bestens zugänglicher Literatur werde vom Markt verschwinden, so Skipis. "Inwieweit die öffentliche Hand eine ähnlich effiziente und wettbewerbsfähige Verlagslandschaft aufbauen kann wie private, marktwirtschaftlich motivierte Unternehmen, ist mehr als fraglich."

Nach dem VG-Wort-Desaster, das der Bundesgerichtshof mit dem sogenannten Vogel-Urteil vom 21. April angerichtet hatte und das die Verlage zu Rück­zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe verpflichtet, konfrontiert die Bundes­regierung die Verlage nun mit dem Entwurf des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes (UrhWissenG), das die be­stehenden Schrankenregelungen (Urheberrechtsausnahmen) zugleich systematisiert und drastisch ausweitet. Zu einem Zeitpunkt also, an dem unklar ist, wie die Nutzungen, die bisher pauschal durch die Verwertungsgesellschaften (VG Wort, VG Bild-Kunst) vergütet wurden, künftig kompensiert werden sollen. (Die vor Weihnachten verabschiedete nationale Übergangslösung sieht laut Börsenverein keinen verbindlichen Beteiligungsanspruch vor, sondern setzt die Zustimmung des Autors zur Beteiligung des Verlags voraus.)

Der Appell warnt vor den Folgen einer extensiven Ausnahme-Praxis: Wenn die professionelle Veröffentlichung von Forschungs­ergebnissen in großen Teilen vom Urheberrechtsschutz ausgenommen werde, werde die Leistung von Autoren und Verlagen entwertet. Ein Blick auf die Vorschläge des Gesetzentwurfs bestätigt diese Einschätzung:

  • Schulen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen sollen künftig grundsätzlich bis zu 25 Prozent eines Werks gegen angemessene Vergütung nutzen können. Ausnahme: Schul­bücher.
  • Unterrichts- und Lehrmedien sollen künftig unter erleichterten Bedingungen hergestellt werden können.
  • Für nichtkommerzielle wissenschaftliche Forschung sollen grundsätzlich bis zu 25 Prozent eines Werks gegen angemessene Vergütung genutzt werden können, in einigen Fällen auch mehr.
  • Große Mengen urheberrechtlich geschützter Inhalte, die mithilfe von Software ausgewertet werden sollen (Text & Data Mining), dürfen künftig zu diesem Zweck vervielfältigt werden.
  • Bibliotheken – und in ähnlicher Weise Archiven, Museen und Bildungseinrichtungen – wird erlaubt, für bestimmte Zwecke Kopien herzustellen, diese zu verbreiten und zu verleihen. "Anschlusskopien" an Terminals sollen in bestimmtem Umfang zulässig sein.
  • Die in dem Gesetzentwurf aufgeführten Nutzungsbefugnisse sollen Vorrang vor vertraglichen Abreden haben.
  • Für die meisten Nutzungen ist eine angemessene Vergütung vorgesehen. Stichproben sollen genügen, um die Werknutzung zu ermitteln.


Noch sind einige Punkte des Gesetzentwurfs nicht geklärt, weil Ressortabstimmung und Verbandsanhörung noch andauern – aber die Tendenz stimmt dennoch bedenklich. Vor allem der Begriff "Anschlusskopie" ist für jeden Autor und jeden Verlag, der nachhaltig Bücher produziert, ein Reizwort. Wenn es so kommt, wie es bereits der Bundes­gerichtshof 2015 im Verfahren um Paragraf 52 b Urheberrechtsgesetz (Bereitstellung von Inhalten zu Lehrzwecken an elektronischen Leseplätzen) formuliert hatte – dass die Vervielfältigung von Bildschirminhalten (nach Paragraf 53 UrhG) und somit die "Anschluss­kopie" erlaubt sei –, dann würde dies vor allem den Markt für Lehrbücher zusammenbrechen lassen.

Sorgen bereitet den Verlagen auch eine weitere Entwicklung des akademischen Publizierens: die flächendeckende Ablösung des klassischen Subskriptionsmodells durch Open Access, wie sie vor allem die von 560 Forschungseinrichtungen getragene Initiative OA 2020 fordert. Ihren Geist atmet auch das Strategie­papier zu Open Access, dass Bundes­bildungsministerin Johanna Wanka im September veröffentlicht hatte. Darin heißt es unter anderem, dass "Open Access schrittweise zu einem Standard des wissenschaftlichen Publizierens" werden soll – und zwar unterschiedslos in den Geistes- wie in den Naturwissenschaften. Als Realität im STM-Segment (Science, Technology, Medicine) mag diese Form der direkten, durch Autoren oder Institutionen finanzierten Zugäng­lichmachung nicht aufzuhalten sein – was aber die Unterzeichner des Appells beunruhigt, ist die Tatsache, dass Wissenschaftler in einem staatlich gelenk­ten Open-Access-System nicht mehr frei darüber entscheiden dürfen sollen, wo und in welcher Form sie künftig veröffentlichen können. Dies bedeute einen "unmittelbaren Verlust eines ihrer Grundrechte".

Dass sich im akademischen Publizieren ein Transformationsprozess vollzieht, der zugleich "disruptiven" Charakter hat, machen weitere Entwicklungen deutlich, auf die auch die Appell-Unterzeichner hinweisen: so etwa die Forderung von Bibliotheksverbänden, E-Books lizenzfrei zu erwerben, um sie anschließend uneingeschränkt und kostenlos verleihen zu können. Flankiert wird diese Haltung von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von vergangenen November, in dem dieser entschieden hatte, dass E-Books und gedruckte Bücher beim Verleih durch Bibliotheken unter bestimmten Bedingungen gleich zu behandeln seien.

Der Appell fordert die Bundesregierung und die Länder entschieden dazu auf, die Publikationsfreiheit und das Urheberrecht zu stärken. Würde diese Forderung ignoriert, drohe nicht nur die Erosion einer vielfältig und weltweit vorbildlichen Medienlandschaft, sondern auch Schaden für Demokratie, Wirtschaft und Innovationskraft der Bundesrepublik. "Die Bildungsrepublik Deutschland wird demontiert. Das können und wollen wir nicht hinnehmen", heißt es gegen Ende des Appells. Ob die politisch Verantwortlichen ihre Pläne überdenken und korrigieren werden, ist ungewiss – aber zu überhören sind die Warnsignale aus dem Herzen der Wissenschaft nicht.

Vier Erstunterzeichner warnen

Ulrich Döring, Leuphana Universität Lüneburg:

"Mit jeder Zwangskollektivierung ist es folgender­maßen bestellt: Sie beginnt stets mit dem Versprechen verbesserter Teilhabe für viele, untergräbt im Laufe der Zeit die Eigeninitiative der Produzenten und endet in der staatlichen Verwaltung des Mangels für alle."

Norbert Frei, Friedrich-Schiller-Universität Jena:

"Wie in einem Obrigkeitsstaat soll 'Open Access' jetzt flächendeckend verordnet werden. Doch was für die Naturwissenschaften praktikabel sein mag, schadet den Geisteswissenschaften massiv."

Manuel René Theisen, Ludwig-Maximilians-Universität München:

"Die Gesetzesinitiative ist für ein Bildungsland wie Deutschland mehr als beschämend, seiner nicht würdig, aber was mich am meisten stört: Es handelt sich dabei um eine (falls das Gesetz so verabschiedet wird) legalisierte Sozialisierung geistigen Eigentums."

Bernd Blessin, Fachbuchautor:

"Wissenschaftliches Arbeiten findet auch außerhalb von Bildungs- und Forschungseinrichtungen statt. Die ge­tätigten Aufwendungen für Ausstattung, Material, Zeit etc. lassen sich nur zu einem geringen Teil durch Honorare decken. Eine – insbesondere finanzielle – ­Einschränkung der Urheberrechte ist inakzeptabel."

Interview mit Matthias Ulmer, Verleger und Geschäftsführer des Eugen Ulmer Verlags, Stuttgart

Wie kam bei dem Appell die Koalition von Verlegern und namhaften Wissenschaftlern zusammen?
Schon seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Paragraf 52 b Urheberrechtsgesetz werden viele Kollegen immer wieder von ihren Autoren angesprochen, wie es zu so einer unverständlichen Entscheidung kommen konnte. Und das Ergebnis ist dann meist, dass die Autoren sagen, wir müssten das stärker bekannt machen, das müsste doch gesellschaftlich diskutiert werden, nicht nur in Lobbygesprächen. Es ist zwar richtig, dass wir uns auf die Sacharbeit in Berlin und Brüssel konzentriert haben, aber die Debatte in den Medien und der interessierten Öffentlichkeit ist ebenso wichtig. Außer einigen wenigen Redaktionen und Akteuren wie Roland Reuß oder Uwe Jochum gab es da bislang nur wenige Impulse.

Erwarten Sie, dass der Appell die politisch Verantwortlichen umdenken lässt?
Nun, es ist schon meine Vorstellung von demokratischer Willensbildung, dass sich Politiker mit Argumenten und Stimmungen auseinandersetzen. Bei diesem Gesetzgebungsprozess sind wir aber damit konfrontiert, dass unsere Argumente systematisch negiert werden oder einfach nicht angehört werden. Das heißt in der Konsequenz, dass sowohl das Wissenschafts­ministerium als auch die Wissenschaftsorganisationen oder der Bibliotheksverband sehr genau wissen, dass wir triftige Argumente haben. Durch Sturstellen wollen die Verantwortlichen die Sache trotzdem durchziehen. Wir müssen uns also darum bemühen, die anderen Mitglieder der Bundesregierung und die Öffentlichkeit auf diesen absurden Vorgang hinzuweisen – und auch klar zu machen, dass es ein völlig falscher Eindruck ist, dass die Wissenschaft hier geschlossen einer Meinung ist.

Appell und Hintergründe

Die Unterschriftenliste sowie weiterführende Informationen zu den Kritikpunkten und Forderungen sind abrufbar unter www.publikationsfreiheit.de.