Leichter lesbare Bücher 3/3: Interview mit Loewe-Verlagsleiter Christoph Gondrom

"Radikal anders erzählen"

5. Februar 2020
von Börsenblatt
Bild statt Text – mit diesem Rezept versucht Loewe bei den Digital Natives zu punkten. Christoph Gondrom, Verlagsleiter im Loewe Verlag, erklärt das Konzept.

Welche Überlegungen gingen der Entwicklung von Loewe Wow! voraus?
Ausgehend vom in der "Quo Vadis?"-Studie des Börsenvereins festgestellten Leserschwund kamen wir schnell zu der Überzeugung, dass es nicht ausreichen würde, die Bücher so zu belassen und mehr in Werbung zu investieren. Nein, wir müssen die Bücher anders machen, wenn wir die Entwicklung wirklich umkehren wollen. Nur wie? Da kam uns eine Aussage in den Sinn, die Frank Sommer vor ein paar Jahren in einem Seminar zum Thema "Future Reading" traf: "Kinder und Jugendliche sind nicht dumm, weil sie sich nicht mehr auf längere Texte konzentrieren können. Vielmehr werden Kinder heutzutage mit weit mehr Informationen bombardiert als früher – und deren Gehirne entwickeln Strategien, dieser Informationsflut Herr zu werden." Dies war der Nukleus unserer Überlegungen. Im Folgenden ging es darum, eine Text- und Bildsprache zu finden, die der Entwicklung nicht hinterherhinkt, sondern die Kinder dort abholt wo sie sich medial befinden. Und da hilft eben nicht ein bisschen mehr Durchschuss, sondern nur eine radikal andere Text-/Bildgestaltung.

Herausgekommen sind actionorientierte Bücher, im Comicstil illustriert. Wen genau hat Loewe als Leser für diese Art von Büchern identifiziert?

Mit Loewe Wow! sprechen wir explizit alle Kinder und Jugendlichen an, denn die Veränderung der Medienkonsumprozesse betrifft die gesamte junge Generation. Dabei sehen wir für das Buch große Chancen. Denn egal ob Vielleser, Wenigleser oder Nichtleser: Alle Kinder und Jugendlichen lieben Geschichten – sie müssen mittlerweile nur radikal anders erzählt und präsentiert werden.

Was genau ist an diesen Büchern so "radikal anders"?
Im Kern steht natürlich die Daumenregel 90/10 – also 90 Prozent Illustration, 10 Prozent Text. Das Loewe-Wow!-Layout ist abwechslungsreich, überraschend und bietet Lesepausen, jedoch niemals auf Kosten der Immersion. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass die Illustrationen sinntragend sind. Sinologen haben festgestellt, dass sich die Kommunikation zwischen Kindern und Jugendlichen mittels Whatsapp & Co. rasant in Richtung einer hieroglyphenartigen Sprache entwickelt. Emojis bebildern nicht nur, sie beinhalten auch sinntragende Aussagen. Text und Bild werden beim Kommunizieren als Einheit begriffen. Das ist auch unser Ansatz. Dadurch wird auch eine neue Art des Erzählens generiert.

Es ist von Digital Natives und veränderten Mediengewohnheiten die Rede. Warum muss das Buch dem folgen und nicht als Buch Entschleunigung in einer beschleunigten Medienwelt bieten?
Das Buch hat in der Tat große Chancen, ein Ruhepol im digitalen Dauergewitter zu sein. Nur sieht es in der Praxis oftmals so aus, dass Kinder und Jugendliche ein Buch in die Hand nehmen, aufschlagen – und stöhnend wieder zuklappen. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche das Buch aufschlagen und sagen "Wow! – Das will ich lesen!" Nur wenn diese Hürde genommen wird, können begeisterte Buchleser entstehen, die überhaupt erst in den Genuss der entschleunigenden Wirkung von Lektüre kommen.

Den Leserschwund aufhalten ist auch ein Ziel von Loewe Wow! – liegt ihrer Meinung nach denn der Leserschwund allein an der reinen Textmenge von Büchern? Denn Mangas und Graphic Novels sind ja mittlerweile durchaus etablierte Genres im Kinder- und Jugendbuch.
Ja, Comics und Graphic Novels leisten schon seit Langem einen bedeutenden Beitrag zur Leseförderung. Gleichzeitig führen diese aufgrund von kulturellen Besonderheiten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern immer noch ein Nischendasein. Alle, die wir mit Büchern zu tun haben, sollten uns daher wirklich nicht auf der immer kleiner werdenden Gruppe von Viellesern ausruhen, sondern mutig sein und Veränderung wagen! Und Achtung: Auch die Vielleser haben Smartphones, nutzen YouTube und schauen Netflix und sind somit von den rasanten Veränderungen betroffen …

Wie kommen diese Bücher denn an die Wenig- und Nichtleser? Die halten sich ja nun eher fern von Buchhandlungen, und wenn sie eher gezwungenermaßen dort aufschlagen, ist der "Ich blätter mal rein"-Impuls ja eher gering ausgeprägt.
Auch wenn wir wie gesagt Wert darauf legen, dass die Loewe-Wow!-Bücher nicht nur etwas für Wenig- und Nichtleser, sondern auch für Vielleser sind, stimmt es natürlich, dass die Marketingansätze für diese Zielgruppen unterschiedlich sind. Ein großer Teil der Eltern von Wenig- und Nichtlesern wünschen sich, dass ihr Kind liest – und suchen in Buchhandlungen und im Internet aktiv nach geeigneten Buchempfehlungen. Somit spielen in  unserer Marketingstrategie die Empfehlungen von Buchhandlungen eine ganz entscheidende Rolle. Des Weiteren betreiben wir umfangreiches Blogger- und Multiplikatorenmarketing, hierbei geht es vor allem um authentische Erfahrungsberichte von Eltern. Darüber hinaus lancieren wir ab Februar eine groß angelegte Onlinekampagne mit interaktiven Anzeigen, die auf hochfrequentierten Kinder- und Elternportalen wie Toggo und Eltern.de geschaltet werden.

Mehr zum Thema "Leichter lesbare Bücher" lesen Sie im Börsenblatt-Spezial Kinder- und Jugendbuch vom 6. Februar.