50 Jahre Verlag Klaus Wagenbach – Jubiläumsfeier in Berlin

"Gegen die Verleumder des Buches"

30. Juni 2014
von Holger Heimann

Mehr als 1.000 Gäste kamen am vergangenen Freitag ins Berliner Gorki-Theater, um den 50. Geburtstag des Wagenbach Verlags zu feiern.  Bei Wagenbach verstehen sie nicht nur etwas vom Büchermachen, auch große Feste können sie feiern – vor und weit nach Mitternacht.

Der Mann mit den roten Socken stand am Aufgang zum großen Saal im Gorki-Theater. Und vor ihm reihten sich immer neue Gratulanten, sie formten eine enorme Schlange, die einfach nicht kürzer werden wollte. Klaus Wagenbach schüttelte geduldig, ausdauernd, verschmitzt, glücklich Hände, immer neue Hände an diesem Freitagabend in Berlin zur Feier des von ihm vor 50 Jahren gegründeten Verlags.

„Die Gäste haben sich vermehrt wie die Karnickel“, sagte Susanne Schüssler später in Anspielung auf das Wappentier des Verlags, den sie als Nachfolgerin ihres Mannes seit 2002 leitet. Weil mehr als 1000 Menschen gekommen waren, Autoren, Verleger, Buchhändler, Journalisten, Politiker – einige von weit her, aus Frankreich, aus Italien –, um zu gratulieren, verzögerte sich die Festrede der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters ganz erheblich. Aber misslich war das nicht, die große Feiergemeinde unterhielt sich schließlich von Beginn an beschwingt und sommerlich leicht miteinander an diesem Jubiläumsfeierabend.

Als Grütters schließlich die Bühne betrat, hinter ihr in Leuchtschrift „50 Jahre Verlag Klaus Wagenbach“, da traf sie gleich den richtigen Ton zur Feier eines Verlags und seines Gründers Klaus Wagenbach: „Andere haben eine Geschäftsidee, er hatte Überzeugungen.“ Die Politikerin pries mithin eine Haltung, die den Verlag oft an den Rand des Abgrunds, aber auf glückliche Weise immer auch darüber hinweg gebracht hat. „Andere Gründer wollen Geld verdienen, Klaus Wagenbach wollte die Gesellschaft verändern“ – setzte Grütters ihre vergleichende Rede so trefflich wie einprägsam fort. „Eine Demokratie ohne ein paar hundert Widersprechkünstler ist undenkbar“, hat Jean Paul einmal gesagt. Als Widersprechkünstler per excellence lobte die Kulturstaatsministerin nun Klaus Wagenbach. Mit seinem Verlag habe er literarisch und politisch Maßstäbe gesetzt und so den demokratischen Diskurs belebt. Welch schöne, seltene Pointe – jener Verleger, der wegen seiner linken Gesinnung so häufig wie kein anderer seiner Berufskollegen vor Gericht zitiert worden war, wurde jetzt von einer konservativen Politikerin für sein Lebenswerk gefeiert: „Wir können stolz darauf sein, dass sich solch ein Verlag in unserem Land behaupten konnte.“

Die großen politischen Kämpfe und Zerreißproben liegen hinter dem Verlag. Doch einfacher ist das Verlagsgeschäft deswegen nicht geworden, glaubt Susanne Schüssler. Die Verlegerin, wie alle „Wagenbachs“ mit einer roten Schleife am Handgelenk, sieht viele Leser in Lethargie und Langeweile versinken. Es gelte, die Schläfrigen wach zu küssen – und wach zu halten mit komplexen Büchern, deren Lektüre ein intellektuelles Vergnügen bereiten könne. Bücher zur Politik, kündigte Schüssler an, sollen im Verlagsprogramm wieder mehr Gewicht bekommen.

Klaus Wagenbach trat als letzter ans Rednerpult und der Applaus wurde jetzt so laut wie sonst nur bei einem Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Brasilien. (Wohl nicht ganz zufällig wurde das große Wagenbach-Fest an einem spielfreien Tag gefeiert.) „Gegen die Verleumder des Buches“ trat der Altverleger einmal mehr an. Und kaum einer (vielleicht mit Ausnahme von Michael Krüger) kann das schließlich so wie er – von der handwerklichen Tradition des Büchermachens, der Sorgfalt und Achtsamkeit als verlegerischer Pflicht, der Dauerhaftigkeit und Körperlichkeit des Buches zu schwärmen – und im Gegensatz dazu „das graue Plastikgerät“ – alle E-Book-Reader dieses Planeten also – gleich noch ein bisschen grauer und unscheinbarer aussehen zu lassen. Die digitale Welt ist für ihn ein anderes Universum, mit dem Klaus Wagenbach nichts verbindet. Zu erzählen bleibt da nur von einer großen Fremdheit. Glücklicherweise kam der 83-Jährige rasch zurück zum Vertrauten – mit dem wunderbaren Zitat eines Autors seines Verlags, von Peter Brückner nämlich: „Wer das Nichtstun ebenso wie die Arbeit scheut, findet leicht zum Buch.“ Klaus Wagenbachs Geburtstagswunsch an die Feiernden knüpfte an diesen erfahrungsgesättigten Satz, der vielen aus dem Herzen zu sprechen schien, ganz unmittelbar an: Die Leser sollten ihre Wunschlektüre in einem Buchladen – und also nicht im Internet – suchen. Unvermeidlich wäre es dann, dass sie dank der Überredungskunst des Buchhändlers oder der Buchhändlerin mindestens drei Titel mit nach Hause nähmen – darunter hoffentlich einen aus dem Hause Wagenbach.

Dass die Käufer damit keine schlechte Wahl träfen, bewies die sich anschließende unterhaltsame literarische Reise durch 50 Jahre Wagenbach-Programm. Wer immer die Eingebung hatte, Mitglieder des Gorki-Ensembles aus den schwarzen Quartbüchern oder den roten Salto-Bänden lesen zu lassen – es war ein sehr gute Idee. Denn innerhalb von etwa einer Stunde wurde so äußerst kurzweilig kenntlich, was dieses Verlagsprogramm ausmacht, wie vielfältig es zusammengesetzt ist, welche ganz unterschiedlichen Bücher und Autoren es repräsentieren.

Ein Genuss jedenfalls als Mechthild Großmann mit ihrer rauchigen Stimme Alice Vollenweiders Kochrezept „Risotto Milanese“ vortrug oder Sophie Rois den britischen Humor von Alan Bennett zum Klingen brachte. In Djuna Barnes’ Ratschlägen für die intelligente Frau, aus denen ebenfalls vorgelesen wurde, heißt es: „Was haben Sie nach Mitternacht schon gehört, das Sie für wertvoller halten als Ihren Nachtschlaf?“ Da wären jetzt die Feiernden im Garten des Maxim-Gorki-Theaters zu befragen. Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen. Es war ein perfekter Abend.