70 Jahre Aufbau Verlag

"Wir können uns aus eigener Kraft sanieren"

25. August 2015
von Börsenblatt
Mindestens 70 weitere Jahre soll der Aufbau Verlag bestehen. Ein ehrgeiziges Ziel, für das Matthias Koch und Gunnar Cynybulk viel Geld und Geist investieren. Der Eigentümer und sein Geschäftsführer im Gespräch.     

Herr Koch, wenn Sie im Jubeljahr zurückblicken - hat sich Ihr Engagement gelohnt?
Matthias Koch (MK): Die Tatsache, dass es den Aufbau Verlag noch gibt, dass er eben 2008 nicht zerschlagen wurde, ist sicher den finanziellen Anstrengungen auf meiner Seite zu verdanken, aber ebenso der geistigen Leistung des Lektorats und der übrigen Mitarbeiter. Es hat mir damals sehr imponiert, wie alle in der Insolvenz zusammengehalten haben und den Verlag erhalten wollten. Wir sind jetzt auf einem guten Weg und sind auch sehr stolz auf unser Jubiläumsprogramm.

Ist das 70. Jahr insgesamt ein gutes Jahr für den Verlag oder eher eines der schwierigen?
MK: Nein, es ist ein gutes Jahr. In den letzten drei Jahren sind wir jedes Jahr besser geworden. Wir haben heute eine sehr solide Perspektive, und die Familie Koch, die in unterschiedlicher Weise an den Unternehmen beteiligt ist, will den Verlag auch noch mindestens 70 Jahre erhalten.

Der Aufbau Verlag wurde 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone gegründet, stand immer für das »andere« Deutschland und pflegt bis heute seine Ost-Identität. Ist dies ein Handicap für die Präsenz in den westlichen Bundesländern?
Gunnar Cynybulk (GC): Es wäre nur dann ein Makel, als Verlag mit starker ostdeutscher Vergangenheit wahrgenommen zu werden, wenn wir in den alten Bundesländern nicht am Markt präsent wären. Aber das sind wir - -gerade mit unserem Herbstprogramm. 80 Prozent unseres Umsatzes machen wir im Westen. Aber wir sehen es als Chance und Verpflichtung, diese Ost-Tradition zu pflegen. In diesem Jahr sind wir damit auch sehr erfolgreich: mit Gregor Gysis und Friedrich Schorlemmers »Was bleiben wird«, Tom Pauls »Das wird mir nicht nochmal passieren« und etlichen anderen Titeln. Diesen Teil unserer Identität wollen wir überhaupt nicht verleugnen.

Die Umsätze verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf alle Bundesländer. Wie steht es mit der Marktdurchdringung? Sind Sie im Buchhandel in der Weise präsent, wie Sie es sein wollen?
GC: Ein Ziel unserer Strukturreform ist es, in allen Abteilungen des Hauses intensiver zu arbeiten, gerade auch im Vertrieb. Aber grundsätzlich sind wir gut präsent.
MK: Wir gehören zu den beliebteren, wenn nicht beliebtesten Verlagen bei den Buchhändlern. Die Buchhändler wissen die Qualität unserer Programme zu schätzen. Besser werden müssen wir im Internetgeschäft, im Onlinehandel, zumal wir da mit Wettbewerbern konkurrieren, die über ganz andere finanzielle Mittel verfügen. Da müssen wir uns entwickeln, im stationären Buchhandel hingegen sind wir gut vertreten.

Auf Sie kommen also Investitionen zu, die Sie wesentlich stärker belasten als etwa große Verlagsgruppen wie Random House, Holtzbrinck und Bonnier …
GC: Ja, aber die Weichen dafür sind gestellt. Was die inzwischen traditionelle Verwertung analoger Inhalte auf digitalen Plattformen anbelangt, sind wir gut positioniert. Wir haben 1 000 lieferbare E-Books, und etwa 15 Prozent unseres Umsatzes werden digital generiert. Das wollen wir ausbauen: Im Herbst kommt ein neuer Leiter für unsere gewachsene Digitalabteilung, die vieles leisten muss - vom Webshop über Verlagssoftware bis zu neuen Geschäftsmodellen für die Inhalte.
MK: Im E-Book-Geschäft sind wir einer der erfolgreichsten Verlage. Wir haben rechtzeitig das Potenzial erkannt, als andere noch sagten: Wir machen Bücher und keine digitalen Produkte. Aber wir sind natürlich abhängig von bestimmten Verteilern. Da müssen wir möglichst so vielseitig werden wie im stationären Buchhandel und uns aus der Abhängigkeit von ein, zwei Namen befreien.

Herr Koch, im vergangenen Jahr haben Sie die Geschäftsführung abgelöst - angeblich, weil Ihre Gewinnerwartungen nicht erfüllt wurden. Ist der damals angekündigte Kurswechsel in dieser Hinsicht gelungen?
MK: Diese Behauptung ist Unsinn. Es geht nicht darum, höhere Gewinne zu erzielen, sondern Verluste zu vermeiden. Daran arbeiten wir, und wir haben es geschafft, dass der Verlag in den letzten zwei Jahren kein zusätzliches Geld mehr brauchte. Wir sind jetzt in der Lage, den Verlag aus eigener Kraft zu sanieren.

Befindet sich die schwarze Null also in Reichweite?
MK: Sie wird auch dringend gebraucht. Wir müssen in den digitalen Bereich investieren und Rücklagen für schlechte Jahre bilden. Wenn der Verlag noch 70 Jahre bestehen soll, dann muss er natürlich Überschüsse erwirtschaften.
GC: 2015 werden wir sogar mit einem kleinen Gewinn abschließen. Ein Grund dafür ist das intensivere Bearbeiten der Spitzentitel, das jetzt fruchtet. Wir hatten im ersten Halbjahr vier Bestseller auf der Sachbuchliste und sind jetzt im Bestsellerranking auf Platz 14 der deutschen Verlage - und das ist noch nicht das Ende für dieses Jahr. Wichtige Titel wie Paula McLains »Lady Africa« oder Harald Martensteins »Schwarzes Gold aus Warnemünde« stehen noch aus; andere, wie »Auerhaus« von Bov Bjerg, lassen sich hervorragend an. Auch die folgenden Programme bis Herbst 2016 machen Hoffnung. Ich will nicht zu optimistisch klingen, aber ich bin es.

Als Sie und Reinhard Rohn vor eineinhalb Jahren die Geschäftsführung übernehmen sollten, haben Sie sich nicht gerade darum gerissen. Sind Sie inzwischen auf den Geschmack gekommen?
GC: Wir wurden angesprochen und mussten im Gespräch mit der Familie Koch herausfinden, wie sich die mittelfristige und langfristige Zukunft des Hauses gestaltet. Die Antworten waren so, dass wir gern eingewilligt haben. Diese anderthalb Jahre waren sehr arbeitsreich, und ich kann sagen: Der Geschmack kommt mit dem Erfolg - und da sich die Erfolge einstellen, schmeckt es gerade sehr gut.

Literatur steht schon in der Geburtsurkunde von Aufbau. In jüngster Zeit haben Sie allerdings wichtige Autoren verloren - Peter Henning zum Beispiel oder Fred Vargas, früher immer eine sichere Bank für den Verlag. Ist es Ihnen gelungen, den Abwanderungstrend zu stoppen?
GC: Es gab keinen Abwanderungstrend. Das sind zwei Einzelfälle, die man individuell betrachten sollte: Autoren möchten sich weiterentwickeln, kriegen verlockende Angebote, schlüpfen bei Agenten unter - und auf einmal verändert sich die Situation. Zu Fred Vargas können wir sagen: Wir haben für den neuen Roman - auch dank der Courage und des Engagements der Familie Koch, das höchste Vorschuss-angebot unterbreitet, das dieser Verlag jemals für einen Einzeltitel gemacht hat. Wenn es aber in Regionen geht, die wahnwitzig sind, dann müssen wir ökonomische Vernunft walten lassen und eben passen. Mit großem Bedauern mussten wir Fred Vargas mit ihrem neuen Titel ziehen lassen, aber wir haben die ganze Backlist von ihr, das sind insgesamt 17 Bücher.
MK: Es ist ein Trend in der Branche, dass Autoren von ihren Agenten versteigert werden wie Fußballstars auf dem Transfermarkt. In diesen Fällen ging es immer ums Geld, nicht um den Verlag. Auch jüngere Autoren, die ihr zweites oder drittes Buch machen, wollen 70 000 oder 100 000 Euro Vorschuss - darüber haben wir gerade im Verlag diskutiert.

Sie haben für die Gegenwartsliteratur eine neue Lektorin engagiert, Lina Muzur, die von Hanser kam und einige jüngere Autoren im Schlepptau hatte.
GC: Wir wollten gezielt das Lektorat für deutschsprachige Gegenwartsliteratur stärken. Das ist aber auch ein Markt, in dem die Autoren sehr umkämpft sind - gerade hier in Berlin. Tatsächlich können wir einen Zuwanderungstrend konstatieren: Wir sind mit interessan-ten Autoren im Gespräch oder haben sie bereits akquiriert.
MK: Wir investieren durch diese Stellenbesetzung in eine noch bessere Betreuung und ein noch besseres Lektorat. Für viele Autoren ist das ein Kriterium, sich für uns zu entscheiden.

Wie geht es den Schwesterverlagen Metrolit, Edition Braus und Die Andere Bibliothek? Hat sich die Lage bei Metrolit bei halbierter Mannschaft konsolidiert?
MK:Wir haben fast den gleichen Umsatz mit erheblich weniger Kosten gemacht. Das ist schon mal erfreulich, aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein müssen, und wir arbeiten an der Profilierung der Verlage. Das gilt ja auch für die Aufbau Verlagsgruppe: zum Beispiel die Abgrenzung zwischen Aufbau und Rütten & Loening beim Thema Spannung. Und genauso müssen wir das Profil von Metrolit schärfen und von Blumenbar abgrenzen. Das ist ein laufender Prozess. Schwerpunkt war zunächst die Sanierung von Aufbau und dann der Anderen Bibliothek. Da sind wir aber auch auf einem guten Weg, wir waren jetzt zweimal ausverkauft - mit »Nils Holgersson« und Michael Glawoggers »69 Hotelzimmer«. Wie Sie wissen, ist die Auflage limitiert, und nur Abonnenten können sicher sein, die Originalausgabe zu bekommen. Bei der Anderen Bibliothek können wir jetzt eine deutliche Umsatzsteigerung verzeichnen.
Die Aufbau Gruppe wird kaufmännisch von der Aufbau Media Betreuungs-gesellschaft verwaltet, unter ihrem Dach sind auch die anderen Verlage, die Kunstgalerie und das TAK Theater im Aufbau Haus …
MK: Die Galerie ist eine eigenständige Firma, das Theater ist eine eigenständige Abteilung. An beiden bin ich beteiligt und die Familie gleicht notfalls entstehende Defizite aus.

Alle Unternehmungen der Aufbau Gruppe und des Aufbau Hauses haben derzeit einen mehr oder weniger hohen Finanzbedarf. Wie können Sie diesen enormen Kraftakt bewältigen?
MK: Der Aufbau Verlag und die Andere Bibliothek benötigen kein Geld mehr. Metrolit und Edition Braus sind vergleichsweise kleinere Unternehmen. Aber es ist klar, dass man auch dort das gleiche Ziel erreichen muss: einen Überschuss zu erwirtschaften. Bei Galerie und Theater liegen die Dinge anders - die beiden gehören substanziell zum Konzept des Aufbau Hauses. Es soll ein Kreativ- und Kulturhaus sein und kein reines Kommerzhaus. Dazu gehört auch die Buchhandlung, an der ich ebenfalls beteiligt bin, die aber glücklicherweise nach drei Jahren auch die Gewinnphase erreicht hat. Das Aufbau Haus ist inzwischen voll vermietet, sodass wir die Mittel erwirtschaften können, um Galerie und Theater querzusubventionieren.

In der Phase der Konsolidierung geht Ihr Chefkaufmann Ralf Alkenbrecher Ende des Jahres von Bord. Beunruhigt Sie das?
MK: Nein, er ist ja sehr loyal und hat sein Ausscheiden sehr früh angekündigt. Ralf Alkenbrecher bleibt noch bis Jahresende und wirkt an der Gestaltung des neuen Arbeitsplatzes mit. Er wird dem Haus weiterhin verbunden bleiben. Für die Nachfolge liegen uns viele qualifizierte Bewerbungen vor. Wichtig ist mir, dass der neue kaufmännische Geschäftsführer, der Leiter des Digitalbereichs und die verlegerischen Geschäftsführer ein gutes Team bilden.

Wer den Digitalbereich leiten wird, ist noch nicht bekannt - aber gibt es schon erste Pläne?
GC: Wir haben einen digitalen Beirat berufen, der aus drei Experten besteht, die Erfahrungen mit Inhalten, Vertrieb und Software haben. Der neue Digitalleiter wird mit diesem Beirat bis zum Jahresende eine Strategie erarbeiten. Dabei wird es nicht nur um die üblichen Dinge gehen wie die Portionierung von Erzählinhalten oder das Anbieten serieller Produkte, vielmehr sollen auch neue Geschäftsfelder ins Visier genommen werden.
MK: Es geht nicht nur um neue Produkte, sondern auch um eine neue Beziehung zu den Kunden. Durch das Internet haben wir die Möglichkeit, Autoren und Leser zusammenzubringen und uns mit ihnen auszutauschen, ihre Wünsche kennenzulernen und uns an den Prozessen zu beteiligen. Da brauchen wir nicht in erster Linie Leute mit Verlagserfahrung, sondern Leute, die das digitale Geschäft kennen und uns helfen, Dinge zu entwickeln, auf die wir allein nicht kommen.

Wollen sie auch andere, buchfernere Zielgruppen ansprechen?
MK: Ja. Das Internet bietet gute Chancen, aus Nichtlesern Leser zu machen - die Schwelle ist niedriger.
GC: Es wird ohnehin viel mehr gelesen als früher - vor allem auf Smartphones. Wenn man einmal in einem sozialen Netzwerk ist und liest, dürfte der Transfer in einen anderen Lesebereich gar nicht so schwer sein. Beispielsweise auf die Website für Bov Bjergs »Auerhaus«. Da sieht man, wie der »Wildwechsel« von einer Plattform zu einer anderen stattfindet.  

Interview: Michael Roesler-Graichen