Auch wegen seiner ungewöhnlichen Dotierung wird der Julius-Campe-Preis weithin geschätzt in der Szene, ist seine Vergabe für den Laureaten doch mit dem Empfang von 99 Flaschen exzellenten Weines verbunden. Diesen Umstand nahm Felicitas von Lovenberg zum Anlass, in einer heiteren Rede auf den Zusammenhang zwischen Flasche und Geist zu sprechen zu kommen - zumal, wie sie einleitend sagte, gegenwärtig in Frankfurt "wenig gelesen, viel geredet und reichlich getrunken" werde, man also allerorts Zeuge (und Teilnehmer) der messetypischen "ritualisierten Form von Gelagen" werde.
Für die Preisträgerin erwies sich das gewählte Thema sogleich - wer hätte anderes vermutet! - als ein vornehmlich Literarisches. So ließ von Lovenberg eine Reihe geistreicher Bücher zum Thema durchs Bild torkeln, die die vielfältigen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Alkohol und Poesie zum Gegenstand haben. Beachtung fanden Michael Krügers liquide Statistikstudien über "Literatur und Alkohol", die das Schluckverhalten des deutschen Lesers in internationalem Vergleich würdigen; auch ein Klassiker der Trinkliteratur wie die Untersuchung des englischen Dichters Kingsley Amis "On Drink" (Anständig Trinken); schließlich die soeben erschienene "Schule der Trunkenheit", in deren Nachwort Peter Richter dem Genießer die schöne Unterscheidung schenkt, dass ja jeder "betrunken" sein könne, "trunken" hingegen nur ein Kenner.
Mit ihrem vergnüglichen Vortrag belegte Felicitas von Lovenberg, was ihr zuvor Daniel Kampa als Laudator attestiert hatte: nämlich eine Kritikerin zu sein, die ihre Aufgabe weniger im scharfrichterlichen Urteil als vielmehr in der Unterhaltung und der Verführung zum Lesen erkenne. "Herabsetzung ist nicht Ihr Metier", stellte Kampa, an die Preisträgerin gewandt, fest. "Die größere Kunst ist, intelligent zu loben."