Über Mainstream und Kundenschwund

"Manche Verlage scheuen den direkten Kontakt zum Leser"

12. Oktober 2017
von Börsenblatt
Hängt die sinkende Kundenfrequenz in Buchläden mit dem Angebot im Kinder- und Jugendbuch zusammen? Sorgen Mainstream-Titel mit erwartbaren Inhalten für Kaufunlust oder retten sie den Umsatz? Diesen Fragen gingen Buchhändler und Verleger in einer avj-Podiumsdiskussion nach.

Ist Mainstream die richtige Antwort auf den Kundenschwund? lautete die Leitfrage der Podiumsdiskussion, zu der die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen avj während der Frankfurter Buchmesse in das Veranstaltungsforum Kids Stage geladen hatte. avj-Vorsitzende Renate Reichstein hatte den deutlichen Trend in Richtung Austauschbarkeit in den Kinder- und Jugendbuchprogrammen zum Anlass genommen zu fragen, inwieweit eine Keine-Experimente-Haltung die Kreativität verdrängt und in wieweit das in Zusammenhang mit dem Kundenschwund im stationären Einzelhandel steht.

Als gar nicht so einfach zu klären erwies sich bereits die Definition des Mainstream: »John Green oder Andreas Steinhöfel gelten als Autoren mit qualitativ hochwertigen Texten – wenn deren Bücher in Bestsellerlisten zu finden sind und sich bestens verkaufen: Sind sie dann Mainstream?“, fragte Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir als Moderator und brachte damit das Podium wie die Zuhörer ins Grübeln und in Erklärungsnöte.

„Verlage wollen den ökonomischen und den inhaltlichen Anspruch unter einen Hut bringen“, formulierte Volker Busch, der bis zum vergangenen Jahr Egmont-Verleger war. „Die Gleichsetzung Mainstream = Bestseller sitzt zwar in den Köpfen fest, greift aber nicht. Wir machen unsere Bestseller etwa mit Leidenschaft selbst – und genau deshalb kommen auch unsere Kunden“, meinte Wiebke Schleser, Inhaberin des BuchSegler in Berlin. „Mainstream sind meist Titel, die inhaltlich völlig austauschbar sind, ebenso die Epigonen, die Trendbücher kopieren“, erklärte Klett-Kinderbuch-Verlegerin Monika Osberghaus. Allerdings wollten Kunden "auch gerne 'so was Ähnliches wie Harry Potter', und da müssen wir die entsprechenden Angebote haben", erklärte Wiebke Schleser. "Der Begriff ist problematisch, weil er negativ besetzt ist", kritisierte Henrike Blum vom Literaturbüro Wien. Viel entscheidender sei, ob ein Text „die Zielgruppe packt. Ich würde nicht jedes Mainstream-Buch  von vornherein verteufeln“, sagte Volker Busch und stellte fest: „Man wird mit lauter Me-Too-Produkten als Verlag auch nicht weit kommen.“

Junge Mütter fehlen als Kundinnen in Läden

Der Kundenschwund ist bislang nicht wirklich erklärbar, vor allem die von Torsten Casimir gestellte Frage „Wer bleibt denn eigentlich weg?“ nicht. Schleser hat zwar weniger Kunden, die aber dafür mehr kaufen, sodass der Umsatz stabil bleibt, aber wohin sind sie gegangen? „Einige sind aus dem Kiez gezogen.“ Henrike Blum warnte vor der Gleichsetzung Käufer = Leser: „Nur weil die Kunden weniger werden, heißt das nicht  automatisch, dass die Leute weniger lesen. Kaufen sie mehr online, gehen sie mehr in Bibliotheken? Steigen dort die Ausleihzahlen?“

Letztlich  dürfe man nicht davor die Augen verschließen, dass das Buch in einer Konkurrenzsituation zu anderen Medien stehe, schob Busch nach: „Das Kinderbuch ist schon immer ein Geschenk, und Erwachsene schenken heute anders und anderes.“

Verlegerin Osberghaus sprach ein Problem an, das viele Vertriebler drückt: den Rückgang der jungen Mütter in Läden. „Wir sehen zum Beispiel, dass nach Zeitungsrezensionen die Bestellungen des besprochenen Buchs in Online-Handlungen rasch hochgehen, während in den stationären Läden gar nicht geordert wird. Das heißt, die Kunden sind da, aber viele junge Mütter haben ein ganz anderes Kaufhalten, die ordern über Zalando & Co und kennen gar nicht die Vorteile einer Buchhandlung – die kaufen die Bücher im Netz.“ Gute Absätze hingegen stellt Osberghaus bei den Buchhandlungen fest, „die viele Veranstaltungen machen und zu den Leuten rausgehen“.

An den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei verlegen

Volker Busch merkte kritisch an, dass Kinderbuchverlage auch durchaus in einer Blase lebten: „Manche Verlage sind abgeschottet, die scheuen den direkten Leserkontakt, die wollen noch nicht einmal einen viellesenden Schülerpraktikanten für drei Wochen.“ Stattdessen ließen sich viele von Marktforschern die Zielgruppen erklären oder erinnerten sich an ihre eigene Kindheit. „Am Ende produziert man für sich selbst.“ Und risikoarme Me-too-Produkte führten zu Enttäuschungen: „Man darf seine Leser aber nicht zu oft enttäuschen.“

Verlegen Verlage also an der Zielgruppe vorbei? „Mit 8000 Neuerscheinungen pro Jahr sind wir zu reichlich beschenkt“, konstatierte Buchhändlerin Schleser, während Monika Osberghaus dafür plädierte, Novitäten nur noch einmal im Jahr zu veröffentlichen, am besten im Herbst. Eine weitere Feststellung: „Die Lesewünsche der Kinder decken sich keineswegs mit den Vorstellungen der Erwachsenen, was Kinder lesen sollten.“