Aktuelle Bücher zum NSU-Prozess

Ein Urteil und viele offene Fragen

11. Juli 2018
von Börsenblatt
Das OLG München hat heute das Urteil im NSU-Prozess verkündet: Lebenslang für Beate Zschäpe. Zum gesamten Tatkomplex, zum Prozess und zu den offenen Fragen sind zahlreiche Publikationen angekündigt. Boersenblatt.net stellt eine Auswahl vor.   

Am 438. Verhandlungstag hat das Oberlandesgericht München heute das Urteil im Prozess um die Mord- und Raubserie des sogenannten National-Sozialistischen Untergrunds (NSU) verkündet. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, vier Mitangeklagte erhielten Haftstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Bei Zschäpe stellte das Gericht zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Doch mit der Entscheidung des Gerichts ist der gesamte Tatkomplex noch nicht aufgeklärt. Unbekannte Mittäter seien noch auf freiem Fuß, heißt es, und die Rolle der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden wirft immer noch zahlreiche Fragen auf. Das ist nicht nur Stoff für Untersuchungsausschüsse, sondern auch für Publikationen, die sich mit dem Verfahren und den politischen Hintergründen beschäftigen.

Die aufwendigste und spektakulärste Veröffentlichung zu den rechtsterroristischen Straftaten des Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hatte der Kunstmann Verlag bereits 2016 zum ersten Mal angekündigt: "Der NSU-Prozess. Das Protokoll" von Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler. Das Buch sollte unmittelbar nach Prozessende erscheinen; niemand konnte sich damals vorstellen, dass sich der Prozess so in die Länge ziehen würde. Zunächst auf 800 Seiten angelegt, hat sich das "Protokoll" nun zu einem Fünfbänder mit ca. 2.000 Seiten ausgewachsen, der am 17. Oktober 2018 erscheinen soll (Preis: 80 Euro). Das Protokoll liefert Originaltöne aus den Verhandlungen (vom 6. Mai 2013 bis zum 11. Juli 2018), die gekürzt, aber ansonsten unverändert wiedergegeben werden. Es kommen Richter, Zeugen, Sachverständige, Anwälte und die Angeklagte zu Wort, aus deren Äußerungen sich ein Gesamtbild der Terrororganisation, ihrer ruchlosen Taten und des Schmerzes ergibt, der den Opfern zugefügt wurde. Gleichzeitig vermitteln die Protokolle ein Bild von Geheimdienst- und Ermittlungsbehörden, die vertuschen und mit rassistischen Stereotypen arbeiten.

Bereits heute veröffentlicht der Verlag Bastei Lübbe das Buch des Nebenklage-Anwalts Mehmet Daimagüler, "Empörung reicht nicht" (350 S., 18 Euro), auch als E-Book in türkischer Sprache – unter dem Titel "Öfke yetmez!". Mit seinem Buch liefert Daimagüler nicht nur eine transparente Analyse des NSU-Prozesses, sondern beleuchtet auch den politischen Kontext. Daimagüler spricht von Staatsversagen und sieht auch nach dem Prozess viele Fragen unbeantwortet: Wurde die Aufklärung der Terrortaten behindert? Tragen Verfassungsschutz und Polizei eine Mitverantwortung? Wurden Ermittlungen wegen rassistischer Vorurteile in die falsche Richtung geführt?

Mit den offenen Fragen des NSU-Komplexes befasst sich auch das Buch "Ende der Aufklärung. Die offene Wunde NSU" von Andreas Förster u.a. (Hrsg.), das bei Klöpfer & Meyer am 2. August erscheint (328 S., 25 Euro). Der Prozess und die politische Aufarbeitung der Terrortaten habe nicht zu einer wirklichen Aufklärung beigetragen. Zu viele Fragen seien unbeantwortet geblieben, etwa die zu den Motiven des Mordtrios und zum undurchsichtigen Anteil staatlichen Wissens über die Existenz des NSU. Was wusste der Sicherheitsapparat? Die Autoren verlangen, dass die Gesellschaft und insbesondere die Angehörigen der Opfer ein Recht hätten, die volle Wahrheit zu erfahren.

Bei Droemer Knaur ist für den 2. November das Buch "Kollaps der Sicherheit. Der Terror des NSU und das Versagen des Staates" von Tanjev Schultz angekündigt (576 S., 26,99 Euro). Der frühere SZ-Redakteur und jetzige Professor an der Universität Mainz erzählt darin die unglaubliche Geschichte eines Terror-Trios, das mehr als zehn Jahre rassistisch motivierte Morde und schwere Straftaten begehen kann, ohne behelligt zu werden. Sympathien für rechtsextremes Gedankengut im Sicherheitsapparat, Schlamperei bei Ermittlungsbehörden (zum Beispiel die durch eine falsche DNA-Probe veranlasste Suche nach einer Phantom-Frau) und der Unwillen zur Aufklärung zeichnen nach Schultz' Einschätzung das Bild eines Staats, dessen Sicherheitsorgane versagen.

Aus welchem immer noch "fruchtbaren Schoß" der NSU kroch (um an das berühmte Brecht-Zitat zu erinnern), ist das Thema von Matthias Quents Untersuchung "Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus. Wie der NSU entstand und was er über die Gesellschaft verrät" (Beltz Juventa, 2. Aufl., 374 S., 29,95 Euro). Das Buch des Soziologen macht deutlich, dass der NSU kein isoliertes Phänomen ist, sondern in gesellschaftliche Entwicklungen und das rechtsextreme Lager eingebettet ist. Es geht zudem der Frage nach, ob die Gefahr neuer rechtsterroristischer Gruppierungen nach 2015 gestiegen ist.