Aktuelle Bücher zum Thema Sterben und Tod

Ein ewiger Kreislauf

24. August 2017
von Nicola Bardola
Ist der Tod Ende oder Übergang? Neue Bücher über das Sterben plädieren dafür, die Frage nach der Vergänglichkeit nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu stellen.

Schon der römische Philosoph Seneca, den Gerd König in "Der gute Tod" (Reclam, 96 S., Oktober, 6 Euro) als fortschrittlichen antiken Denker vorstellt, hat sich grund­legend mit Sterben und Tod auseinandergesetzt. König hat aus Senecas Gesamtwerk wichtige Passagen ausgewählt, in sieben Kapiteln von der "Furcht vor dem Tod" bis zum "Umgang mit dem Tod Nahestehender" thematisch geordnet und sie dabei alle neu aus dem Lateinischen übersetzt.

Das liest sich leicht und wirkt sehr aktuell, denn Seneca variiert kunstvoll seine Überzeugung, dass Angst vor dem Lebensende absurd, die Beschäftigung damit aber gleichzeitig notwendig sei, um daraus Konsequenzen für den Alltag zu ziehen: "Nicht das Leben an sich hat einen Wert, sondern gut zu leben." Mit seinen Gedanken überzeugt Seneca die ­Leser auch bildhaft von seinen Ansichten zum Tod. "Aus der körperlichen Hülle geht die Seele mal mit Gleichmut heraus, mal verlässt sie sie mit Wagemut im Sprung. Dabei fragt sie nicht danach, welches Ende die sterblichen Überreste nehmen werden, sondern wie wir abgeschnittenen Bart und Kopf­haaren keinen Wert beimessen, so ist die göttliche Seele der Meinung, dass es sie nichts angeht, wohin ihre fleischerne Hülle gebracht wird."

Trotzdem ist sie da, diese Hülle. Und die Angehörigen trauern. Mit Totenkulten und Jenseitsvorstellungen beschäftigt sich Theresa Schwietzer in ihrem Buch "Ein Blick auf die andere Seite" (Edition Büchergilde, September, 120 S., 20 Euro). Der Anlass dafür ist sehr persönlich: Schwietzer hatte beim Begräbnis ihrer Großmutter frustrierende Erlebnisse. Wie lassen sich die geliebten Verstorbenen besser ehren und bestatten? Antworten sucht Schwietzer, die ihr Buch mit Holzschnitten und Buntstiftzeichnungen selbst illustriert hat, beispielsweise in Indien ("Im Kreislauf der Wiedergeburt"), Ecuador ("Die Seelen der Tropen"), Haiti ("Im Zeichen des Voodoo") und Zentral- und Südafrika ("Leben mit den Ahnengeistern"). Was sie an Ritualen und Zeremonien schildert, ist äußerst farbenprächtig und reichhaltig. Letztlich wirft Schwietzer die Frage auf, ob unsere Art, sich von den Toten zu trennen, nicht im Lauf der Jahrhunderte verkümmert ist und das Leid der Hinterbliebenen vergrößert.

Hilfreich kann auch die Auseinandersetzung mit dem Tod in einem Trauer­tagebuch sein: "Erinnerungsmomente" (St. Benno, 100 S., Cabraleder, 10 x 15 cm, 19,95 Euro) bietet Raum für Notizen darüber, was nun fehlt, was unvergesslich bleibt, was man Schönes mit dem Verstorbenen erlebt hat.

Wie sich der Vorgang des Abschiednehmens und Trauerns möglichst gut gestalten lässt, das beschäftigt auch den US-Palliativmediziner Frank Ostases­ki, der schon an vielen Sterbebetten gesessen hat. In "Die fünf Einladungen. Was wir vom Tod lernen können, um erfüllt zu leben" (Knaur MensSana, Oktober, 400 S., 17,99 Euro) schreibt der Gründer von Zen-Hospizen: "Ich bin kein Romantiker, was das Sterben angeht. Es ist harte Arbeit, vielleicht die härteste, die wir in unserem Leben je tun werden" – und er weist auf den koreanischen Zenmeister Seung Sahn hin. Der erinnerte mit seinem Weckruf "Bald tot" daran, dass wir die Wahrheit über den Tod zwar kennen, aber nicht über sie sprechen. Für Ostaseski ist der Tod eine Chance zur Transforma­tion, eine individuelle Begegnung mit dem Unbekannten und schließlich ein spiritueller Lehrmeister für mehr Liebe und Weisheit im Diesseits.

Erlebnisberichte von Menschen, die dem Tod noch einmal knapp entronnen sind, sammelt der Psychologe und Theologe Joachim Nicolay in seinem Buch "Ein Gehen ins Licht. Nahtoderfahrungen" (Butzon & Bercker, September, 224 S., 18 Euro). Seine These: "Für den christlichen Glauben stellen Nahtod- und Transzendenzerlebnisse eine Herausforderung, aber auch eine Chance dar. Sie rücken die Erfahrungsdimension wieder ins Bewusstsein. Ihre Einbeziehung könnte dazu beitragen, Glauben und reli­giöse Symbole zu revitalisieren, und ein Gegengewicht zur Überbetonung rationaler Zugänge darstellen", schreibt ­Nicolay und fordert eine Hermeneutik der Nahtoderfahrungen.
Er versucht, das "numinose und mystische Erlebnis" genauer zu definieren, vergleicht es mit Sterbeerlebnissen, beschäftigt sich mit negativen Nahtoderfahrungen – und scheut auch nicht vor der Frage zurück, ob Selbstmord­attentäter ins Paradies kommen. Außerdem gibt es zahlreiche Gastbeiträge.

Sich mit dem Leben nach dem Tod zu beschäftigen, ist für den 1934 geborenen ­katholischen Priester Gerhard Lohfink eine Selbstverständlichkeit. "Am Ende das Nichts? Über Auferstehung und ewiges Leben" (Herder, 328 S., 28 Euro) heißt das neue Buch des emeritierten Tübinger Professors für das Neue Testament. Von Diderot ausgehend schreibt er: "Was ist das für eine erbärmliche Art von Unsterblichkeit, in einer Enzyklopädie weiterzuleben! Wen kann es trösten, dass er einmal irgendwo in den unermesslichen Informa­tionsfluten des World Wide Web begraben sein wird! (…) Das Fortleben im Nachruhm ist eine windige und absolut unbefriedigende Hoffnung." Der setzt Lohfink den christlichen Glauben an die Auferstehung der Toten gegenüber.

Dass der Tod nicht das letzte Wort hat, zeigt Susanne Preusker in ihrem originellen Buch "Ich schreib dir ­einfach weiter. SMS eines Abschieds" (Patmos, 112 S., 16 Euro), das sich um die Korrespondenz zweier Freundinnen dreht. Die Frauen schreiben sich Kurznachrichten, auch als eine von ihnen an Krebs erkrankt und zum Sterben ins Hospiz geht. Nach ihrem Tod schickt die Freundin, die zurückbleibt, weiter SMS-Botschaften an das Handy der Verstorbenen – was nicht ohne Wirkung bleibt.

Der authentische Gedankenaustausch, der auch optisch dargestellt und von Preuskers Texten umrahmt wird, spendet ebenso Trost wie die Auseinandersetzung mit den Gedanken der Antike. Für Stoiker und viele andere Denker ist der Tod Teil eines ewigen Kreislaufs aus Werden und Vergehen, der die Seele nicht tangiert. Wie Platon versteht auch Seneca den Körper als Grab der Seele. Seneca möchte, dass der Mensch den Tod ständig gedanklich vorwegnimmt: "Leben muss man das ganze Leben lang lernen und – worüber du vielleicht noch mehr in Staunen gerätst – das ganze Leben muss man lernen zu sterben."