Analyse von Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang

Brauchen Buchverlage ein eigenes Leistungsschutzrecht?

4. Mai 2016
von Börsenblatt

Nach der Veröffentlichung des VG-Wort-Urteils analysiert Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang die Begründung des Bundesgerichtshofs und bewertet die Konsequenzen der Entscheidung (Teil 1 von 2 Teilen).

Heute hat der Bundesgerichtshof die Begründung seines Urteils in der Sache Dr. Martin Vogel – VG Wort veröffentlicht. Bekanntlich wurden mit dieser Entscheidung die seit Jahrzehnten geltenden Verteilungspläne der VG Wort höchstrichterlich als rechtswidrig eingestuft. Es ist danach unzulässig, wenn Verwertungsgesellschaften bei den an Urheber erfolgenden Ausschüttungen für sog. gesetzliche Vergütungsansprüche – Entschädigungszahlungen für gesetzlich erlaubte Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke wie z.B. private Kopien - einen pauschalen Abzug (von 30 bzw. 50 Prozent) zugunsten von Verlagen vornehmen. Vielmehr habe eine Verwertungsgesellschaft ihre Einnahmen ausschließlich an die Inhaber der von ihr wahrgenommenen Rechte und Ansprüche auszukehren.

Die Argumentation des Gerichts
Blickt man in die nun vorliegenden Entscheidungsgründe, so wirken diese wie ein Ostinato der Aussage, dass Buchverlage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Inhaber von Rech-ten seien, die Verwertungsgesellschaften bei Ausschüttungen gesetzlicher Vergütungsansprüche in Form eines pauschalen Abzugs berücksichtigen dürften. Dabei wird gleich im amtlichen Leitsatz des Urteils vom Ersten Senat auf die Satzung der VG Wort verwiesen, wonach der Anteil am Ertrag, der Verlagen zusteht, ihrer verlegerischen Leistung entspreche. Gleichwohl kommt das Gericht bei seinen juristischen Erwägungen zu dem Schluss, dass diese verlegerischen Leistungen, die auf der Einräumung des Verlagsrechts vom Autor an den Verlag beruhen, von Verwertungsgesellschaften – neben der VG Wort betrifft das auch GEMA, VG Bild-Kunst und VG Musikedition – bei ihren Ausschüttungen nicht berücksichtigt werden dürften. Diese Aussage treffen die Richter in vollem Bewusstsein der Tatsache, dass Bundesregierung und Bundestag mehrfach ausdrücklich betont haben, dass gemeinsame Verwertungsgesellschaften von Autoren und Verlagen politisch gewollt sind – und mit dem 2006 geänderten § 63a UrhG sogar eine Norm mit dem einzigen Ziel verabschiedet wurde, die pauschale Beteiligung von Verlagen in der VG Wort zu sichern.

Verwertungsgesellschaften könnten ohne die Leistungen von Verlagen keine Einnahmen aus der Verwertung von verlegten Werken erzielen und damit auch deren Urhebern nichts ausschütten. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs dürfen Verlage gleichwohl in den Verteilungsplänen von Verwertungsgesellschaften nicht mit einem pauschalen Anteil berücksichtigt werden. Verlagen stünden nämlich nach dem Urheberrechtsgesetz keine eigenen Rechte oder Ansprüche zu, die von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden könnten. Insbesondere seien Buch- und Musikverlage nicht Inhaber eines Leistungsschutzrechts, das Verwertungsgesellschaften zur Wahrnehmung übertragen werden könnte. Auch der Europä-ische Gerichtshof habe deshalb in ständiger Rechtsprechung – zuletzt in dem im November 2015 entschiedenen Fall Hewlett Packard Belgium ./. Reprobel – erkannt, dass die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke kraft Gesetzes originär und ausschließlich den Urhebern zustünden. Es sei allein Sache des Gesetzgebers – und nicht Sache von Verwertungsgesellschaften oder von Gerichten – zu entscheiden, ob und inwieweit die verlegerische Leistung urheberrechtlichen Schutz genieße und ihre Nutzung gesetz-liche Vergütungsansprüche begründe. Eine solche Entscheidung hätten bislang weder der europäische Richtliniengeber noch der deutsche Gesetzgeber getroffen.

Eine Beteiligung eines Verlags an gesetzlichen Vergütungsansprüchen komme allenfalls dann in Frage, wenn es der Verlag selbst sei, der diese Rechte in die Verwertungsgesellschaft eingebracht habe. Dies setzt – so ist die Entscheidung wohl zu verstehen – allerdings voraus, dass der Urheber die Rechte noch nicht selbst der Verwertungsgesellschaft eingeräumt hat. Nur dann kann ein Verlag, dem der Urheber im Nachhinein – also nach dem Entstehen der Ansprüche durch Veröffentlichung des Werks - die fraglichen Rechte übertragen hat, diese bei der Verwertungsgesellschaft einbringen und Ausschüttungen z.B. für private Vervielfältigungen eines Buches beanspruchen. Das würde auf Seiten der Verwertungsge-sellschaften allerdings wohl eine aufwändige titelbezogene Erfassung und Abrechnung erfordern.

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil?
In den Kommentierungen der Entscheidung liest man mitunter, dass das Vogel-Urteil ebenso wie die Reprobel-Entscheidung des EuGH voraussehbar gewesen sei und beide unumstößlicher juristischer Logik folgten. Teilweise wird dem Börsenverein deshalb vorgeworfen, sehenden Auges in die Katastrophe gerannt zu sein, statt beispielsweise wie die deutschen Presseverleger rechtzeitig für die Zuerkennung eines eigenen Leistungsschutzrechts auch für Buchverlage zu sorgen. Dabei wird nicht nur übersehen, dass ein eigenes Leistungsschutzrecht für Buchverlage auch mit erheblichen Nachteilen verbunden sein könnte (siehe unten), sondern auch verkannt, dass Urteile von Gerichten schwer vorherzusehen sind. Das gilt umso mehr, wenn – wie im Falle der VG Wort – eine seit vielen Jahrzehnten in breitem Einvernehmen ausgeübte Praxis besteht und darüber hinaus die im Jahr 2008 vorgenommene Änderung des § 63a UrhG den einzigen Zweck verfolgte, diese gesetzlich abzusichern. Die verfassungsrechtliche Problematik liegt auf der Hand: In der Auslegung durch den Bundesgerichtshof greift das Urheberrechtsgesetz – auch für die Vergangenheit – in das eigentumsrechtlich geschützte Verlagsrecht ein, ohne diesen Eingriff, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, zu entschädigen oder in vergleichbarer Form zu kompensieren. Vor übertriebenen Hoffnungen in das Bundesverfassungsgericht muss gleichwohl gewarnt werden. Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist rechtskräftig und eine Verfassungsbeschwerde kein Superrevisionsverfahren gegen ein zivilgerichtliches Fehlurteil. Selbst eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde würde im Übrigen mehrere Jahre in Anspruch nehmen – ein Zeitraum, der nicht ungenutzt verstreichen sollte.

Konsequenzen der Entscheidung
Dies führt zu zwei wichtigen Fragen: Was muss geschehen, damit es in Zukunft rechtssicher eine pauschalierte Beteiligung von Autoren und Verlagen an gesetzlichen Vergütungsansprüchen (als Voraussetzung für funktionierende gemeinsame Verwertungsgesellschaften) geben kann? Und: Welche Auswirkungen hat es für Verlage, dass die ihnen in der Vergangenheit von Verwertungsgesellschaften ausgeschütteten Beteiligungen an gesetzlichen Vergütungsansprüchen jetzt höchstrichterlich als rechtswidrig eingestuft wurden?

Selbsthilfe ungewiss – der Gesetzgeber ist gefragt
Sowohl beim Blick zurück als auch in die Zukunft gilt, dass es zweifelhaft ist, ob es für Verlage, die VG Wort oder andere Verwertungsgesellschaften Mittel und Wege gibt, durch die Wahl bestimmter vertraglicher Gestaltungen für eine Heilung der vom Bundesgerichtshof wahrgenommenen rechtlichen Unzulänglichkeiten zu sorgen. Allem Anschein nach liegt Wohl und Wehe der Fortsetzung der bewährten Einrichtungen der kollektiven Rechtewahrnehmung einzig und allein in der Hand des europäischen und deutschen Gesetzgebers. Auch dies gilt in doppelter Hinsicht: Würde es gelingen, schon im Laufe der kommenden Monate die gesetzlichen Grundlagen so umzugestalten, dass Verlage wieder regulär an der Ausschüttungen der VG Wort und anderer Verwertungsgesellschaften beteiligt werden, könnte damit zugleich die Basis dafür gelegt werden, dass Rückforderungen gegen Verlage durch Verrechnungen mit künftigen Einnahmen im Bedarfsfall abgefedert werden können.

Die wichtigste Voraussetzung dafür, dass es zu einer Korrektur der fatalen Entscheidungen kommen kann und kommen wird, ist bereits gelegt. Nicht nur der zuständige EU-Kommissar Günter Oettinger, sondern auch Bundesjustizminister Heiko Maas und die maßgeblichen Politiker der Großen Koalition haben sich öffentlich festgelegt, Autoren und Verlagen in der VG Wort und anderen Verwertungsgesellschaften rasch helfen zu wollen. Waren die seit 2012 von VG Wort und Börsenverein wieder und wieder geäußerten Bitten nach einer gesetzlichen Absicherung gegen die Risiken des Vogel-Verfahrens bei der Politik jahrelang ohne Reaktion geblieben, hat sich die Lage inzwischen grundlegend geändert. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, das sich noch 2014 allen dringlichen Bitten nach einer schriftlichen Intervention der deutschen Regierung im Reprobel-Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof verschlossen hat, ist inzwischen sogar mit eigenen Formulierungsvorschlägen an die EU-Kommission herangetreten. Schließlich hat sich der Deutsche Bundestag mit einer Entschließung für eine Verlegerbeteiligung an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften aus der gesetzlichen Privatkopievergütung ausgesprochen.

Leistungsschutzrecht für Verlage – Pro und Contra
Gleichwohl wirft die Lektüre des Vogel-Urteils die Frage auf, ob und ggf. auf welche Weise sich im Urheberrechtsgesetz überhaupt eine rasche Korrektur der Rechtslage bewerkstelligen lässt. Die Richter des Ersten Senats des Bundesgerichtshofs sind, so meint man zwischen den Zeilen des Urteils zu lesen, der Meinung, dass sich hierfür insbesondere die gesetzliche Verankerung eines Leistungsschutzrechts für (Buch- und Musik-)Verlage eigne. Auch eine kürzlich veröffentlichte Konsultation der EU-Kommission weist in dieselbe Richtung. Im Börsenverein ist ein eigenständiges Verlegerrecht hingegen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder diskutiert, aber stets verworfen worden. Ist die Stunde, die Situation neu zu bewerten und die Buchverlage in eine neue rechtliche Welt zu führen, durch das Vogel-Urteil nun gekommen?

Um dies zu klären, muss zum Beispiel die Frage nach einem geeigneten Schutzgegenstand für ein Verlegerrecht bei monographischen Publikationen zufriedenstellend beantwortet werden. Das verlegte Werk scheidet als Anknüpfungspunkt aus, weil an ihm bereits das Urheberrecht des Autors hängt. Würde das Werk zusätzlich zum Schutzgegenstand eines Verlegerrechts gemacht, ginge dies entweder zu Lasten des Urhebers (dessen Rechtsstellung geschwächt würde) oder zu Lasten des Verlegers (dessen Recht nur pro forma bestünde und nicht selbständig durchsetzbar wäre) und riefe zudem bei Werknutzern bzw. bei Endverbrauchern erhebliche Rechtsunsicherheit hervor. Die Erscheinungsform der Publikation wiederum eignet sich nicht als Anknüpfungspunkt, weil sie beliebig wandelbar ist und Layouts zudem häufig unter Nutzung rechtlich geschützter Leistungen Dritter (Bildurheber, Grafiker etc.) entstehen. Sonstige Investitionsgegenstände von Buch- oder Musikverlagen wie Marketing, Vertrieb, Logistik etc. können aufgrund ihrer Eigenart keinen Anknüpfungspunkt für ein Verlegerrecht bieten. Alle Lösungen für ein Verlegerrecht, die ausschließlich an Investitionen von Verlagen ansetzen, würden wiederum notwendigerweise in teilweise erhebliche Widersprüche zur geltenden urheberrechtlichen Rechtslage führen, z.B. bei Investitionen in gemeinfreie oder aus sonstigen Gründen nicht schutzfähige Werke.

Bisher bestanden Bedenken, dass die Schaffung eines Verlegerrechts sowohl die Bereitschaft von Urhebern, ihnen umfassend Rechte einzuräumen, als auch das Band zwischen Autoren und Verlagen negativ beeinflussen könnte. Unmittelbare Auswirkungen könnte die Einführung eines Verlegerrechts zudem auf die kollektive Rechtewahrnehmung im Textbereich haben. Bisher waren Urheber und Verlage von einem gemeinsamen Vorgehen innerhalb einer Verwertungsgesellschaft überzeugt; das könnte sich – von beiden Seiten aus gesehen – schnell ändern.

Dass die Verankerung eines Verlegerrechts im europäischen Urheberrecht dazu führen wird, dass die Ausschüttungen der VG Wort so wie in der Vergangenheit zwischen Autoren und Verlagen aufgeteilt werden, erscheint keineswegs sicher. Wenn die Verleger in den Verwertungsgesellschaften nicht mehr gemeinsam mit den Autoren deren aus dem Urheberrecht fließende gesetzliche Vergütungsansprüche einbringen, sondern (nur noch) ihr eigenes Verlegerrecht, könnten folgende Einwände vorgebracht werden:
a)    die Verleger bekommen nur dann Geld, wenn die Nutzer – also z.B. die Industrie, von der die Verwertungsgesellschaften die Geräteabgaben einsammelt – für die Nutzung des Verlegerrechts mehr bezahlen als bislang für die Nutzung des Urheberrechts (Gebührenerhöhungen gegenüber den Nutzern sind aber nach allen bisherigen Erfahrungen politisch außerordentlich schwer durchsetzbar)
b)    die bisherigen Verteilungsschlüssel (70 : 30 bzw. 50 : 50) basieren auf der Betrachtung, dass das Urheberrecht von Autoren und Verlagen gemeinsam eingebracht wird – unter der neuen Rechtslage bringen die Autoren das Urheberrecht jedoch alleine ein, die Verlage hingegen „nur“ das Verlegerrecht.
Gegen beide Einwände gibt es schlüssige Gegenargumente. Da davon auszugehen ist, dass über die Rechtmäßigkeit der Verteilungspläne von Verwertungsgesellschaften wegen der jetzt entstandenen Rechtsunsicherheiten zukünftig viele Jahre letztlich von den Gerichten entschieden wird, ist eine zuverlässige Beurteilung der Rechtsfestigkeit der Lösung nicht möglich. Zulässig ist lediglich die Aussage, dass ein Verlegerrecht eine vollständige Ausgrenzung der Verlage von Ausschüttungen durch Verwertungsgesellschaften verhindern wird, die durch das Vogel-Urteil droht.

Es gilt, bei aller Dringlichkeit mit Sorgfalt zu entscheiden, ob die Branche bei der Politik die Schaffung eines gesetzlich verbrieften Verlegerrechts fordern sollte. Im zweiten Teil dieses Beitrags, der in Kürze erscheint, werden mögliche Regelungsalternativen auf legislativer Ebene betrachtet. Zentral geht es dann um die dramatischen Konsequenzen, die das Vogel-Urteil für alle deutschen Verlage, aber auch für die Verwertungsgesellschaften und letztlich auch die Autoren haben kann. Hierzu bringt das Börsenblatt ergänzend auch einen Beitrag von zwei Experten der Münchener Kanzlei Crowe Kleeberg, die die bilanzielle und insolvenzrechtliche Seite des Themas durchleuchten.