Antiquariat

"Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, macht jedes Problem zum Nagel"

25. Oktober 2016
von Börsenblatt
Urban Zerfaß (Jg. 1957) ist Antiquar in Berlin und seit kurzem stellvertretender Sprecher der IG Antiquariat und Versandbuchhandel im Börsenverein. Gespräch über einen Branchenzweig im Wandel.

Herr Zerfaß, in jüngster Zeit sind in den Feuilletons dunkel-pessimistische Berichte über die Lage des deutschen Antiquariats erschienen. Ist die Situation wirklich so verheerend?

Urban Zerfaß: Wir erleben momentan Veränderungen auf mehreren Ebenen. Viele der derzeit aktiven Antiquare haben in der Zeit vor dem Internet den Einstieg in den Beruf gefunden, meist als Seiteneinsteiger mit akademischem Hintergrund. Das Peter Brückner zugeschriebene Zitat, das sinngemäß sagt, dass derjenige, der sowohl die Arbeit als auch das Nichtstun nicht mag, von selbst den Weg zum Buch findet, trifft hier ganz gut zu. Die Zugangsschwellen waren flach, der Markt beweglich und die Möglichkeiten, durch Kontakte und Vorbilder zu lernen, groß. Man konnte recht schnell in Beziehung sowohl zur Ware als auch zum Kunden kommen. Und Bücher und Kunden hatten uns eine Menge zu sagen …

Seit etwa 15 Jahren dominiert aber der gerade auf der Unterbrechung von Beziehungen begründete Handel durch die Vermittlungsplattformen. Der Makler stellt sich dazwischen, erarbeitet sich selbst den Status einer Institution und versucht, um seiner Provision willen, den Kontakt zum Käufer zu monopolisieren. Und da die Technik verführerisch einfach zu bedienen ist und wie ein Reiz-Reaktions-Schema funktioniert, gründete sich die Mehrzahl der heute existierenden Firmen erst mit oder vielleicht sogar wegen des Internethandels. Diesen Kollegen fehlt die Aufbauerfahrung von Versuch und Irrtum auf kleiner Flamme, es wurde ihnen nicht von erfahrenen Sammlern der Kopf gewaschen, wenn man einen typischen Fehler gemacht hatte, die Titelauflage mit der Erstausgabe verwechselte, den seltensten Band eines Reihenwerks nicht kannte oder oder oder …

"Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, macht jedes Problem zum Nagel." Wenn ein Händler außer dem Wissen um die Preise der Konkurrenten keine Anhaltspunkte für die Wertigkeit seiner Ware hat, dann kann er nur eins: billiger werden. Und hier betreten wir ein neues Feld: was sich anbietet wird abgelehnt! Diese Bücher stauen sich auf den Plattformen. Der "richtige" Sammler ist ein eingestellter Narzisst, der selbstwertstabilisierende Objekte sucht. Er ist vermögend genug, um hohe Qualitäten zu fordern und dann auch zu belohnen. Die Nachlässe dieser Kunden sind im Markt sehr willkommen, regelmäßig versteigern Auktionsfirmen gewachsene Sammlungen und erzielen hohe Preise. Die anderen Kunden suchen Bücher, sonst nichts, oft auch, weil sie sie lesen wollen und der Titel vergriffen ist, sie sammeln aber nicht. Der angelsächsische Markt hat uns gegenüber einen großen Vorteil, weil er klar zwischen "rare books" und "second-hand books" unterscheidet. Diese beiden Märkte sind getrennt, werden in der Berichterstattung aber dauernd vermischt. Man kann als Händler auch beide Plätze bespielen, sogar drei, wenn man den Sortimentsbuchhandel mit beachtet. Und hier, an den Trennlinien zwischen den Märkten, zeigen sich spannende Veränderungen. Sie sind für viele Händler ruinös, da ihr Geschäftsmodell nicht dynamisch angelegt ist. Das das ist dann auch verheerend.

Die Buchauktionen kommen in der oben genannten Berichterstattung meist nicht vor – weil sie nicht in das undifferenziert negative Bild passen? Werden hier einfach Entwicklungen, die vor allem das Gebrauchtbuch betreffen (Stichwort Preisverfall), als Maßstab für viel größere Zusammenhänge genommen?

Ja, das sehe ich so. Die typische Berichterstattung im deutschen Feuilleton über eine Buchauktion überschlägt sich mit Rekordergebnissen, orientiert sich also fast nur am Geldwert und bedient so ein Bedürfnis nach Dauererregung der "Gesellschaft des Spektakels" (ein wirklich visionäres Buch von Guy Debord – und in der seltenen ersten deutschen Ausgabe auch spektakulär teuer …).

Andere Kriterien für die Beurteilung einer Versteigerung, zum Beispiel die Geschlossenheit einer angebotenen Reihe oder die Tatsache, dass ein Druck seit Jahrzehnten als verschollen galt, kommen ohne Preisbezug selten zur Sprache. Dann müssten Journalisten aber auch den Katalog lesen und nicht nur die Pressemitteilung oder die Ergebnisliste. Interessant finde ich, dass in letzter Zeit häufiger Konvolute von eigentlich preislich geringwertigen Büchern angeboten werden, man also versucht, die oben beschriebenen Grenzen zu verschieben. Diese Konvolute sind spannend, weil eine Menge Aneignungsaggression in ihnen gebunden ist, die man als Händler wieder reaktivieren kann. Es ist nämlich überhaupt nicht einfach, eine große Menge wirklich guter Bücher zusammen zu tragen. Das dauert seine Zeit und kostet in der Summe doch erhebliches Geld. Vor wenigen Tagen erst stand in einer renommierten Zeitung, wissenschaftliche Bücher seien wertlos und Antiquariate im Aussterben begriffen. Das ist grotesk! Schlechte oder uninteressante Bücher werden weder besser noch begehrenswerter, wenn man sie zuhauf für Cent-Beträge anbietet. Seltener angebotene, inhaltlich wichtige Gebrauchsliteratur und auch schön gestaltete Bücher verkaufen sich weiterhin stabil bis prächtig.

Wo im Handel werden neue Initiativen sichtbar? Welche Vertreter einer jüngeren Generation sehen Sie, die sich erfolgreich dem Branchenwandel anpassen?

Der Einzelhandel hat, glaube ich, das Grundproblem, dass der Kunde sich in seiner Gesamtheit nicht mehr so recht entscheiden will oder kann. Als Faustregel gilt, dass der Verkaufserfolg umgekehrt proportional zum zusätzlichen Aufwand durch die Frage nach zusätzlichen Bildern, einer genauen Analyse der Vergilbungsstufe des Papiers und anderer Feinheiten ist. Von der Erosion der Umgangsformen im Internet ganz zu schweigen. Hier setzen einige Händler klug an und bieten beispielsweise selbst zusammengestellte Sammlungen an, das erhöht den Konkurrenzdruck unter potentiellen Erwerbsinteressenten und ist wohl auch erfolgreich.

Als sehr gutes Beispiel dafür nenne ich Thomas Hatry, ein findiger Kollege, der nicht erst in der Not fleißig wurde. Man spürt seine Lust an der Komposition, das ist etwas, was in unserer Branche nicht so verbreitet ist. Aber Hatry steht durch seinen großen und perfekt gelegenen Laden in Heidelberg auch mitten im Getriebe einer Universitätsstadt; er steht, wie oben gesagt, in Beziehung. Diese zentrale Qualität eines Händlers, Beziehungen herstellen und pflegen zu können, gegen die industrialisierten Widerstände der Provisionsmaschinen und Monopolisten, ist unverzichtbar. Durch die Branchenvereinigungen wird dies vereinfacht, gemacht werden muss es aber von jedem selbst.

Fragen: Björn Biester