Antiquariat

15 Cent? 695 Euro?

1. Dezember 2016
von Börsenblatt
Jürgen Holsteins "Blickfang" von 2005 kann man für 399 Euro im Antiquariat erwerben oder für 15 Cent bei Momox abstoßen. Annäherungen an ein Rätsel des Gebrauchtbuchhandels der Gegenwart.

Jürgen Holsteins monumentale Publikation "Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919 bis 1933" von 2005 hat seinerzeit Furore gemacht und war schnell vergriffen – bei einem Subskriptionspreis von 148 Euro und einer Auflage von 400 Exemplaren.

Heute taucht das Buch im Netz oder auf Verkaufsveranstaltungen (jüngst unter anderem in Bochum-Wattenscheid und Berlin) regelmäßig auf; die aktuellen Preise liegen zwischen knapp 400 und, als Ausreißer nach oben, 1000 Euro. Wenn der Eindruck nicht täuscht, bewegt sich der Markt hier gerade schrittweise nach unten, also eher Richtung 350 Euro. Womöglich wirkt sich dabei indirekt auch die 2015 erschienene abgespeckte Neuausgabe des Kölner Taschen Verlags aus, die lediglich 49,99 Euro kostet?

Schockierend bleibt auf jeden Fall, was die Ankaufsplattform Momox für die Originalausgabe von 2005 geben würde: magere 0,15 Euro (der Momox-Konkurrent Rebuy allerdings kauft "Blickfang" im Augenblick gar nicht an). Mehr als eine sehr pauschale Erläuterung gibt es zur Preisgestaltung auf der Momox-Seite nicht: "Unsere Preise werden anhand unserer Erfahrungen aus Angebot, Nachfrage, unseren Kosten beim Versand, Prüfen und Lagern sowie einem Risikoabschlag errechnet. Daher können sich Preise sehr schnell ändern oder quasi neue Artikel für uns fast wertlos sein, wenn es keine entsprechende Nachfrage gibt."

15 Cent für ein Buch, das für mehrere hundert Euro gehandelt wird, das scheint ein schlechter Deal für einen Verkäufer zu sein, zumal die Momox-Schwester Medimops als "letzten Preis" 949,99 Euro angezeigt … Für die Taschen-Ausgabe bietet Momox aktuell immerhin 14,39 Euro.

Andererseits: ist die Annahme, dass jemand ein solches Buch für Pfennigbeträge über Momox veräußert, überhaupt realistisch? Und wird nicht die Momox-Preisgestaltung maßgeblich und softwaregesteuert aus dem Amazon-Verkaufsranking abgeleitet? Auf Amazon Marketplace werden derzeit vier Exemplare der Ausgabe von 2005 zu Preisen zwischen 399 und 555 Euro angeboten. (Wie steht es konkret mit der Nachfrage?) Scheitern die Momox-Rechenmodelle etwa an dem bibliophilen Sonder- und Ausnahmefall "Blickfang", weil die Datenlage nicht ausreichend ist? Welchen Ankaufspreis würde ein Antiquariat einem privaten Anbieter offerieren? Haben wir es hier einfach mit Parallelwelten des gegenwärtigen Antiquariats- und Gebrauchtbuchhandels zu tun, die sich nicht oder wenig berühren?