Autorin Ilona Einwohlt über das Thema Bodyshaming

"Es gilt, Klischees zu entlarven"

22. September 2017
von Börsenblatt
Ein defizitäres Körperbewusstsein, kritische Blicke und überholte Rollenmuster werden in Jugendbüchern thematisiert. Autorin Ilona Einwohlt gibt im Interview Einblicke ins eigene Schreiben und die Anforderungen an Jugendbuchautoren in Zeiten des Bodyshaming.

Worauf achten Sie beim Schreiben, um Bodyshaming nicht entstehen zu lassen?
Ich versuche, meine weiblichen Charaktere so facettenreich wie möglich anzulegen und alles, was mit Figur, Mode und Sport zu tun hat, achtsam zu thematisieren, wie im Leben eben, mit gesundem Menschenverstand. Es gibt in meinen Texten so gut wie keine Dialoge, in denen die Bewertung von Äußerlichkeiten oder Figurproblemen eine Rolle spielt oder ein Mädchen aufgrund dessen Probleme hätte. Und ich habe das Wort "Zicke" aus meinem Wortschatz gestrichen.

Sie schreiben auch Sachbücher. Welche Mittel stehen Ihnen da zur Verfügung?
Vor allem meine Coachingbücher dienen dazu, Mädchen innerlich stark und selbstbewusst zu machen, damit ihr Selbstwertgefühl nicht von anderen abhängig ist. Ich gebe ihnen beispielsweise konkrete Tipps, damit sie sich von den manipulierten Bildern in den Medien nicht blenden lassen und mache klar, dass der weibliche Körper ganz wunderbar und kraftvoll ist, wie er ist, und viele vermeintliche Defizite gesellschaftlich und männlich-schulmedizinisch geprägt sind. Denken Sie an Stichworte wie Menstruation, Deo, Haare färben, Muskeln, Penisneid oder Hirnforschung.

Ist das heute einfacher als früher?
Längst brauchen Mädchen und Frauen ihre Schönheit nicht als Lebensversicherung, um geheiratet zu werden - die Zeiten sind zum Glück vorbei. Deswegen ist die Konkurrenz untereinander an sich hinfällig! Aber aktuell ist es leider so, dass die gegenseitigen kritischen Blicke schärfer sind denn je. Genau deswegen müssen die inneren Werte, Kompetenzen und das individuelle Können herausgestellt werden.

Wie kann die Kinder- und Jugendliteratur mehr dazu beitragen?
Ganz klar: Aufhören, das Schönheitsideal mit Klischees zu bedienen! Fast jedes Mädchenbuch endet mit Kuss und Schluss. In vielen Büchern geht es ja ständig um Schönheit und Schminktipps und die Frage "Wie angele ich mir den Traumtypen mit einem coolen Outfit?". Und Mädchen, die schlau und nerdy sind, kriegen keinen Freund oder erst, wenn sie sich auch endlich mal schminken. Wenn ich ein Buch ohne Happy End schreibe, bekomme ich bei Onlinebewertungen keine Sternchen oder meine Figur wird als zu eigensinnig bewertet.

Trotzdem schreiben Sie weiter Geschichten mit eigensinnigen Helden?
Ja. Es gilt, Mädchen und Jungs stark zu machen, damit sie nicht von Äußerlichkeiten abhängig werden. Es gilt, Klischees zu entlarven und ein gutes Körperbewusstsein zu vermitteln. Und generell gilt von Anfang an: Aufhören, Mädchen nach ihrem äußeren Erscheinen zu beurteilen, wie kleine Frauen anzuziehen, beziehungsweise das in den Büchern auch noch zu thematisieren. Also aufhören, Mädchen und ihre Körper als defizitär zu schildern und zu kritisieren. Das ist ein längst überholtes Muster, aber nach wie vor in den Köpfen drin. Viele Frauen und Mädchen haben das verinnerlicht. Deswegen verdienen sie ja immer noch weniger als Männer oder sie werden zu Konsumopfern.

Stellen Sie auch Forderungen gezielt an das Kinderbuch?
Ja: Bitte aufhören, die Bücherwelt in Pink und Blau einzuteilen und entsprechend in weich und passiv contra stark und aktiv zu bewerten. Unterschiedliche Interessen und Lesebedürfnisse, also Mädchen als Zielgruppe, dürfen gerne bedient werden, aber bitte ohne dabei Klischees zu zementieren. Und bitte auch aufhören, sich vom Mainstream, von Gedanken an Verkaufszahlen, also von Vertrieb und Marketing die Cover und Titelrichtung vorgeben zu lassen. Wenn ich die Mädchenbücher heute lese, sind viele so traditionell wie nie. Als ob es die 1980er Jahre mit den emanzipatorischen Mädchenbüchern nie gegeben hätte.

Ilona Einwohlt
ist 1968 in Pinneberg geboren, hat Hispanistik und Germanistik in Frankfurt am Main studiert und schreibt seit 2004 Jugendbücher; am bekanntesten ist die bislang zehnbändige „Sina-Reihe“ (Arena), in der die Titelheldin Sina Rosenmüller tagebuchartig aus dem Alltag eines Teenagers in der Pubertät erzählt; die Romane haben auch Sachbuchanteile. Aktuell sind von Einwohlt Band 2 von "Erdbeersommer" (Arena) und "Gucken verboten!" (Sauerländer) erschienen.

Novitäten zum Thema Bodyshaming finden Sie im gestern erschienenen Börsenblatt-Spezial Kinder- und Jugendbuch.