Belletristik zum Fest

Festliche Lesefreuden

8. September 2016
von Börsenblatt
Viele neue Bücher verkürzen die Wartezeit bis zum Fest: Manche sind kriminell gut, andere eher besinnlich. Und in allen spielt Weihnachten die Hauptrolle.

Wenn Kerzen leuchten, Geschenke liebevoll verpackt und Weihnachtskugeln aus dem Keller geholt werden, beginnt die Zeit der Zimtsterne und der Vorfreude – nur für Weihnachtsmuffel brechen harte Tage an. Aber auch, wer zu beschäftigt ist, um sich in adventliche Aktivitäten zu stürzen, kann in den Wochen vor Heiligabend schnell zum Außenseiter werden. So jedenfalls ergeht es dem Biber im Bilderbuch "Morgen, Biber, wird’s was geben!": Bis Weihnachten muss er noch etliche Bäume fällen, deshalb kann er nicht mit den anderen im Wald basteln oder singen.
Die herzerwärmende Geschichte für Kinder ab vier endet natürlich trotzdem mit einem schönen Fest beim fleißigen Nagetier, das ganz heimlich doch noch alles für Weihnachten gerichtet hat (Annette Betz, 32 S., 12,95 Euro). Das Buch von Britta Schwarz und Mathias Weber braucht einen Vorleser, der sich selbst auf Weihnachten freut und Adventsrituale und Bilder­bücher mit klaren Botschaften mag. In diesem Fall lautet sie: Nimm dir Zeit für deine Freunde, feiere und schlemme mit ihnen. Denn was wäre Weihnachten ohne Marzipan und Co.?

Gans gibt es jedes Jahr in Edgar Rais "Weihnachtsgeschichte" bei einem Fest voller Rituale. Es beginnt immer damit, dass Tante Constanze mit klappernden Absätzen in die Küche geht, um den Braten zu holen, und Onkel Hugo das Tranchiermesser wetzt – bis mit einem Mal ein elektrisches Messer vor ihm liegt, für die Kinder ein sichtbares Zeichen dafür, dass er alt geworden ist. Doch dann brennt der Weihnachtsbaum und Onkel Hugo löscht beherzt und über­raschend rüstig das Feuer. Diese bittersüße Weihnachtserinnerung ist eine der Geschichten in "Gans und gar", die sich auf leichte Weise dem schwierigen Thema Weihnachtsessen widmen (Insel Taschenbuch, 232 S., 8 Euro).

Von Liebe und Herzensgüte in der "ganz und gar wahren Geschichte des Weihnachtsmanns" erzählt Matt Haig in "Ein Junge namens Weihnacht" (dtv, Oktober, 272 S., 18 Euro). Der Roman erzählt von der Kindheit des Weihnachtsmanns, der in Armut in der finnischen Einöde aufwächst – bevor er sich eines Tages mit seinem kleinen Nagerfreund Miika in der Tasche auf den Weg zum Nordpol macht, um seinen verschwundenen Vater zu suchen. Für den jungen Nikolas beginnt ein Abenteuer, das ihn zu seiner Bestimmung führt und die Welt zu einem besseren Ort macht. Bezaubernde Illustra­tionen unterstützen die Geschichte, die den Atem der Leser stocken lässt – und im nächsten Moment zu Tränen rührt.

Die meisten Weihnachtsgeschichten lassen es anklingen: Der Dezember ist auch die Zeit des Nachdenkens, der Besinnlichkeit und der Anteilnahme. Mitten in der dunklen Jahreszeit, wenn die Tage am kürzesten sind, wird die christliche Botschaft des Lichts, die Geburt des Heilands ­verkündet. Unter dem Titel "Alles ändert sich. Die Welt im Licht von Weihnachten" hat Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland und ­bayerischer Landesbischof, Predigten rund um das Fest der Feste zusammengefasst. 
2015 machte der Theologieprofessor auf sich aufmerksam, als er an Weihnachten vor Geflüchteten im Münchner Hauptbahnhof predigte. Mit seinem Buch will er dazu anregen, über Schicksalsschläge und Trauer nachzudenken, über Kaufrausch und Krieg, Flucht und Armut, Bitterkeit und neue Hoffnung (Patmos, 176 S., 12,99 Euro).

Nachdenklich stimmen auch die "Tierischen Weihnachts­geschichten" in "Sch(l)af in himmlischer Ruh!" (St. Benno, 272 S., 14,95 Euro). Mit dabei: die Erzählung "Der Weihnachts-Spatz" des Kinderbuchautors Rolf Krenzer. Ein kleiner Vogel hört mit, was der Engel Maria verkündet. Fast platzt er vor Glück, will allen davon erzählen. Aber die Menschen verstehen den Spatz nicht, auch wenn er sich noch so viel Mühe gibt. Nur die Tiere erfassen die Bedeutung seines Zwitscherns und kümmern sich um Maria und Josef, und so spielen bis heute Ochs, Esel und Spatz Hauptrollen in jedem Krippenspiel.
Eine tierische Weihnachtsgeschichte von Selma Lagerlöf findet sich ebenfalls in der kleinen Sammlung: Ein Eremit fleht Gott an, die Erde mit den verdorbenen Menschen endlich zu vernichten. Doch dann baut ein Bachstelzenpaar sein Nest auf der Hand des knorrigen Alten, der sich nun um die Vögel und später um ihre Jungen kümmert. Die schlichte und doch berührende Geschichte der ersten Literaturnobelpreisträgerin dreht sich nicht direkt um Weihnachten, aber um alles, wofür das Fest steht: Liebe, Vergebung und Hoffnung.

Eher spannungsreich als besinnlich geht es in der Agatha-Christie-Anthologie "Das Geheimnis des Weihnachtspuddings" (Atlantik Verlag, Oktober, 208 S., 15 Euro) zu. Denn sogar im Advent sind Hercule Poirots Spürsinn und Miss Marples Kombinationsgabe gefragt. Die britische "Queen of Crime" kann allerdings auch ganz anders. Mit viel Fantasie berichtet Agatha Christie beispielsweise davon, was vor über 2.000 Jahren im Stall von Bethlehem wirklich geschah: Ein störrischer Esel erkannte in der heiligen Nacht seine wahre Bestimmung, blickte in die Zukunft und sah das schwere Schicksal des kleinen Menschenjungen. Fortan war er Jesus, seinem Herrn, in allen Lebenslagen ein treuer Freund und Begleiter – und beschloss, nie wieder in die Zukunft zu schauen.

Am Jahresende kommen allerdings die wenigsten daran ­vorbei, in die Glaskugel zu blicken: Was werden die nächsten Monate wohl bringen? Martin Suter hat den heiklen Momenten des Jahreswechsels in seinem neuen Kolumnenband "Cheers. Feiern mit der Business Class" gleich ein ganzes Kapitel gewidmet (Diogenes, Oktober, 224 S., 14 Euro). Schließlich gilt es, bei festlichen Diners oder beim Silvesterfest des Chefs gesellschaftliche Stolpersteine zu vermeiden. Das gelingt den Protagonisten von Suters Episoden mal mehr, mal weniger gut. Eines jedoch schafft der Schweizer Autor ganz hervorragend: Beim Lesen macht sich schnell das Gefühl breit, dass es besonders zur Weihnachtszeit zu Hause am schönsten ist – bei einer Tasse Tee, ein paar Plätzchen und mit einem guten Buch in der Hand.

Ein solch gutes Buch könnte Petra Hartliebs "Ein Winter in Wien" sein – ein historischer Roman, der im Jahr 1910 spielt, wie ein Weihnachtsmärchen anmutet, und in dem Hoffnung, Liebe und Bücher die heimlichen Hauptrollen spielen (Kindler, 176 S., 16,95 Euro). Hartlieb, Buchhändlerin und Krimiautorin, erzählt von Marie, einer jungen Frau, die ein hartes Leben hinter sich hat, gerade mal lesen lernen durfte, dann aber mit zwölf Jahren von ihrem Vater zu einem fremden Hof gebracht wurde, wo sie als Magd schuften musste. Einige Jahre später hat sie Glück: Sie kann im Haushalt des berühmten Schriftstellers Arthur Schnitzler als Kindermädchen arbeiten.
Als es kurz vor Weihnachten zu schneien beginnt und Schnitzler sie bittet, ein Buch abzuholen, das er bestellt hat, verliebt sich der Buchhändler in sie. Er möchte sie wiedersehen und schickt ihr einen Rilke-Band. Mit Hartliebs Roman, der in winterlicher Atmosphäre von der Bedeutung der Bücher erzählt, kann Weihnachten kommen.