Bizarre Start-up-Branche

Noch schräger als gedacht

17. Januar 2017
von Börsenblatt
Früher hat der Journalist Dan Lyons über die Absurditäten der Start-up-Branche geschrieben. Als er dann selbst bei einem dieser hippen Hightechunternehmen anheuert, stellt er fest: Seine Satiren waren untertrieben.

Eigentlich ist der deutsche Titel des Buchs von Dan ­Lyons ein wenig verschenkt: "Von Nerds, Einhörnern und Disruption. Meine irren Abenteuer in der Start-up-Welt" (Redline, 304 S., 19,99 Euro) ist zwar eine adäquate Übersetzung des Originals "Disrupted. My Misadventure in the Start-Up-Bubble". Doch bei uns klingt das eher nach einem dieser Büchlein aus dem Bahnhofskiosk, die man mal eben im Zug zwischen Hamburg und Berlin herunterliest. Dabei hat es Lyons mit "Disrupted" auf die Bestsellerliste der "New York Times" geschafft. Er hat ein sehr wichtiges Buch aus einem Teil der Arbeitswelt geschrieben, der längst nicht mehr Nische ist, sondern vor allem in den USA eine wesentliche Säule der Wirtschaft.

Als "Newsweek"-Journalist verfasste Lyons Satiren über die Hightechbranche und ihre Start-ups, die von Analysten mit immer irrsinnigeren Summen bewertet werden, obwohl manche gar kein Geld verdienen und man oft nicht einmal weiß, was deren Geschäftsmodell sein soll. Als er seinen Job verlor, heuerte Lyons selbst bei einem dieser Unternehmen an: bei HubSpot. Die Marketing- und Vertriebsplattform ist ein Prototyp für diese Art von Firmen, für die Enkel der New Economy, die in loftartigen Backsteinbauten residieren und deren Belegschaft so aussieht, als käme sie frisch vom College.

Lyons, der als Drehbuchautor ein besonderes Gespür für Szenen hat, erzählt sehr amüsant davon, wie seine Anwerbung im Vorfeld von HubSpot hochgejubelt worden sei: Da kommt ein renommierter "Newsweek"-Mann. Und wie dann an seinem ers­ten Arbeitstag niemand einen blassen Schimmer davon hat, wer er ist und was er eigentlich will. Die Chefs sind nicht da und die junge Dame am Empfang verfrachtet den ergrauten Fremdkörper erst einmal stundenlang auf das Besuchersofa, unbemerkt von den Heerscharen von blutjungen Hipstern, die in ­Casual-Business-Uniform vorbeimarschieren.

Lyons will den "populären Mythos des visionären Unternehmers" entlarven, wie er schreibt. Die Leute an der Spitze von HubSpot seien "keine Helden, sondern ein Haufen Marketingscharlatane, die eine gute Geschichte über die magische Verwandlungskraft der Computertechnik draufhaben". Die Kollegen, die er dort kennenlernt, leben in einer Blase, "immun gegen die Realität". Die Schulungen, die er durchläuft, kommen ihm vor wie die Gehirnwäsche beim Eintritt in eine Sekte. Die Büros gleichen einem Montessori-Kindergarten: "Es genügt nicht mehr, dass die Arbeit Arbeit ist, sie muss auch Spaß sein."

Lyons ist bitterböse. Er macht sich über die Karrieren von Menschen lustig, mit denen er in seinem früheren Berufsleben nicht einmal gesprochen hätte. Der vermeintliche Assistent entpuppt sich als sein Vorgesetzter. Kein Wunder: "An der Westküste bekommt jeder Collegeabbrecher mit Kapuzen­sweatshirt für eine halbgare Idee Startkapital hinterhergeworfen." Und das Firmenlogo von HubSpot? Lyons weiß bis heute nicht, was es ausdrücken soll. Vielleicht ein "Zahnrad, aus dem kleine orangefarbene Penisse herausragen"?

Unerbittlich  Manchmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Denn Lyons' Buch ist nicht nur eine Art Erlebnisprotokoll. Es beschreibt auch die demografische Unerbittlichkeit, der sich Menschen in der Altersgruppe ab 50 – ach was: 40 – ausgesetzt sehen. Die Medienbranche, die ihn hat fallen lassen, bekommt ebenfalls einen mit. In diesen Momenten ist der Satiriker todernst. Im Lauf des Buchs muss er seine Ansichten, die er über die Branche hatte, als er noch über sie schrieb, dann doch revidieren. Alles bei HubSpot ist so, wie er es sich vorgestellt hat – nur schräger. Bald beschließt er, seine "ernüchternde und schmerzliche Selbsterkenntnis" in einem Buch zu verarbeiten.

Dieses Vorhaben bringt ihm am Schluss sogar Ärger ein. Auf seinem Rechner geschehen unerklärliche Dinge. Wurde er gehackt? Man erfährt es nicht. Man fühlt nur, dass man niemals in einem Unternehmen wie HubSpot arbeiten möchte.