Buchhandlung Interart in Leipzig schließt

Der letzte Mohikaner geht

18. Dezember 2017
von Nils Kahlefendt
Nichts ist unendlich: Nach fast 50 Jahren in der Leipziger Sortimentslandschaft schließt Siegfried Jahn seine Buchhandlung Interart in der Königshaus-Passage. Der leidenschaftliche Sortimenter und Indianistik-Experte hatte sich auf DDR-Kinderliteratur und Ethnografisches spezialisiert.

"Das war’s", verkündet nüchtern ein handgeschriebener Aushang im Schaufenster: Am 23. Dezember, einen Tag vor Weihnachten, schließt Siegfried Jahn seine Buchhandlung Interart in der Leipziger Königshaus-Passage. Für immer. 23 Jahre betrieb er die auf Kinderbücher (vor allem solche aus DDR-Produktion und ihre Wiederauflagen) sowie auf ein Indianistik-Spezialsortiment ausgerichtete Buchhandlung. In der Leipziger Sortimentslandschaft war Jahn fast 50 Jahre unterwegs – somit geht gerade der vermutlich älteste noch aktive Kollege von Bord. "Nichts ist unendlich", zitiert der Buchhändler die Karussell-Rockballade "Als ich fortging"; eine Kundin summt wissend die Melodie.

"Prominente Erwachsenen-Autoren waren sich nicht zu schade, für Kinder zu schreiben"

Im wildbewegten Jahr 1968 begann Jahn seine Buchhandelslehre; im Bücherkabinett am Markt, heute eine Fielmann-Filiale. Nach einem kurzen Zwischenspiel in der Volksbuchhandelsfiliale Martin Andersen Nexö am Adler wechselte er 1972 ins Bilderkabinett in der Reichsstraße. Nach der Wende dockte Jahn kurz beim Zentralantiquariat Leipzig an, später bei Bachmanns im Alten Rathaus. 1995 machte er sich mit Interart selbstständig. Wie hat er all die Jahre in zentralster Innenstadt-Lage überlebt? War nicht Peter Hinkes Connewitzer Buchhandlung, die einst in der benachbarten Messehofpassage domizilierte, schon mal die "letzte Buchhandlung vor dem Wahnsinn"? In Jahns Fall war Fortuna einmal einem Sortimenter gnädig: Die Königshaus-Passage, im Besitz von Nachkommen der Familie Kroch, wurde bislang noch nicht so luxussaniert wie etwa die Mädler-Passage, wo die Mieten gut drei Mal so hoch sind.

Gestartet war Siegfried Jahn 1995 mit dem Vorsatz, das Konzept des Bilderkabinetts an neuem Ort fortzuführen. Ein kleines Regalbrett mit DDR-Kinderliteratur lief so gut, dass Jahn umschwenkte. An der Ausrichtung des Ladens, meint er lachend, "sind also meine Kunden schuld gewesen". Das sind nicht nur in die Jahre gekommene Kinder, sondern auch viele Mütter und Väter, die lange nach 1989 geboren wurden. Auf die Qualität der Bücher aus DDR-Produktion und ihre Neuauflagen etwa beim Beltz-Imprint Der KinderbuchVerlag oder dem Leipziger Kinderbuchverlag (LeiV) schwört Jahn – wegen der tollen Illustratoren, nicht zuletzt, weil zahlreiche prominente Erwachsenen-Autoren von Fühmann bis Hacks "sich nicht zu schade waren, für Kinder zu schreiben. Im Gegenteil – die hatten irrsinnigen Spaß daran".

Die Indianistik begleitet Jahn weiter

Auf die Indianistik-Spur wurde Jahn als Kind gebracht: "Das Indianerbuch", ein Klassiker der Leipziger Ethnologin Eva Lips, war der Auslöser. Noch zu DDR-Zeiten gründete Jahn den Indianistik-Verein Uhwentsya karenhata ("Wo der Ahorn wächst"), der seine Jagdgründe im damaligen Jugendklubhaus Walter Barth nahm und dort sogar ein irokesisches Langhaus aufbaute. Dass die Stadt das Areal in Nachwendezeiten verkaufte, die sächsischen Indianer quasi heimatlos wurden, wurmt Jahn noch immer. Die Roten Männer werden ihn jedoch auch im Unruhestand begleiten: Bereits zur Buchmesse im März erscheint im Passage Verlag sein viertes Buch: "Indianer Nordamerikas auf Postkarten". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Goldenen Zeitalter der Ansichtskarte, wurden jährlich über 20.000 Tonnen Postkarten in die USA geliefert – viele mit Indianer-Motiven, die meisten gedruckt in Leipzig. Ein reiches Betätigungsfeld für den letzten Mohikaner des Leipziger Buchhandels, für möglichst noch viele Jahre. Howgh!