Bundesfinale des Vorlesewettbewerbs

Furiose Stimmen

22. Juni 2016
von Stefan Hauck
575.000 Sechstklässler haben beim Vorlesewettbewerb des Deutschen Buchhandels mitgemacht. Im Studio des RBB in Berlin ist der Beste unter den 16 Landessiegern gekürt worden: Matthias Stelzle (11) aus dem niedersächsischen Alfhausen, der das Gymnasium in Bersenbrück besucht.

Der freute sich riesig und staunte aber erst einmal: "Oh – ich hätte eher auf Hannah getippt!", die Landessiegerin aus Brandenburg. Stelzle hatte einfach ein solch gut gelauntes Strahlen drauf, dass nebenbei auch die Botschaft rüberkam: Leute, Lesen macht Spaß! Aber auch stimmlich hatte er sich trotz schwieriger Passagen souverän behauptet und das gewisse "Augenzwinkern" kommentierend eingebracht: Der Vorleser trat nicht hinter seinen Text zurück, sondern wurde mit ihm zu einer Einheit.

Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller machte die Dimension des Wettbewerbs deutlich: "In ein Stadion passen 30.000 bis 50.000 Menschen – da kämen bei 575.000 teilnehmenden Schülern schon einige Stadien zusammen." Aufgeregt waren die besten Vorleser schon, auch wenn sie es nicht unbedingt alle zugeben wollten. Schauspielerin und Moderatorin Sina Gätgens machte ihnen Mut: "Wir versprechen uns auch als Moderatoren immer wieder, deswegen – wir achten nicht darauf, ob ihr euch mal versprecht." Tiefes Ausatmen bei den 16 Landessiegern.

Die Bücher, aus denen die Kandidaten lasen, hatten sie sich am Vortag selbst aus einer Auswahl ausgesucht, ebenso die entsprechende Textpassage, die nicht länger als drei Minuten dauern darf. Meri Ketelhut (Baden-Württemberg) machte in ihrer Textpassage aus dem Roman "Milchmädchen" mit dramatischen Interjektionen die tragischen Ausmaße der ökonomischen Schieflage eines Bauernhofbetriebs deutlich. "Man merkt sofort, dass ihr der Text liegt", kommentierte Hörbuchverlegerin Angelika Schaack, "die Stimme muss zum Text passen."

Eine wundervolle, fast traumverlorene Stimmung zauberte dagegen Samantha Jaschik (Bayern): Während ihr Protagonist aus "Berg der Gefahren" rutschte, trudelte, stürzte, sich überschlug, ließ die Elfjährige aus Hinterschmiding ihre Stimme im gleichen Rhythmus rutschen, trudeln, stürzen, sich überschlagen. "Du hast geschafft, uns neugierig zu machen!", lobte Jurorin Sina Gätgens.

Hannah Schleicher (Brandenburg) wählte ein hochaktuelles Thema: Flucht und Migration. Sie wechselte mühelos zwischen den verschiedenen Stimmen der Figuren aus "Walking Home", sprang stimmlich atemlos mit den Flüchtenden. Thematisch ganz anders gelagert, ließ Alexandra Barth (Mecklenburg-Vorpommern) gepresst, knurrend, bebend die angestaute Wut der Figuren aus "Eins" heraus. Matilda Ontrop (Berlin) las mit ruhigen Bögen, gekonnt schnoddrig an den entsprechenden Passagen und sicher die Gags plazierend. Eine typische emotionsgeladene Familienszene trug Tarah Stabe (Hamburg) vor – "Du hast die Situation hervorragend wiedergegen, der arme Vater hat mir richtig leid getan", sagte Schauspieler Robert Schupp; "Das kam so glaubwürdig rüber: Hast Du da mit am Tisch gesessen…?", meinte Sina Gätgens.

Talisman Erdmännchen und Mütze

"Die Sache mit dem Zombie-Pony" war das Thema von Ann-Sophie Meier (Schleswig-Holstein), die munter ein Beschwörungsritual erleben ließ, auf den Schülerinnen böse hereinfallen. "Man lässt sich gerne von Deiner Stimmer tragen", meinte Autor Stefan Gemmel, "kann man dich buchen?" Sie hatte ihren Talisman, ein Erdmännchen mit dabei, während Ronja Meinhardt (Thüringen) gut behütet mit Mütze auftrat: "Die bringt mir Glück". Eine heftige Mutter-Tochter-Streitszene lieferte sie, gekonnt die Emotionen hochpeitschend: "Man weiß gar nicht so schnell, wer gut und böse ist – hochspannend", urteilte Angelika Schaack.

Und von wegen Jungs lesen nicht: Exakt die Hälfte der Landessieger waren männlich. Passend zum Agenten-Sujet "Angriff der Killerbienen" brachte Ole Brüntrup (Bremen) die nötige Coolness zwischen den Zeilen zum Klingen. "Wie ein Fahrradkette, die man dringend ölen sollte" – die Beschreibung einer Stimme aus "Ich, Onkel Mike" füllte Luis Hanke (Hessen) mit Leben; Witz, Lebendigkeit, Nachdenklichkeit mischte er zu einer überzeugenden Präsentation. Matthias Stelzle (Niedersachsen), der aus "Tapper Twins. Ziemlich beste Feinde" vorlas, parierte mühelos auch schwierige Begriffe wie Upper Eastside und brachte die Zuhörer zum Schmunzeln. "Du liest das Ding runter, als wenn es dein Text wäre", meinte Autor Stefan Gemmel.

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Filme vor dem inneren Augen

"Ganz eklig hat er gekeucht!" – als Matteo Vontz (Saarland) diesen Satz rief, hätte man eine Stecknadel im vollbesetzten Studio A des RBB fallen hören können. Ein Steinzeitmensch, der in unserer heutigen Zeit auftaucht, ist auch nicht ganz einfach – "gut gemeistert", befand Angelika Schaack. Max Reich (Rheinland-Pfalz) hatte sich mit "Im Labyrinth der Lügen" die Geschichte eines Fluchtversuchs aus der DDR ausgesucht. Subtil baute er Spannung auf, ließ die Beobachtungen des Jungen Paul auf die Zuhörer wirken – "Du hast einen Film vor unserem inneren Auge entstehen lassen", urteilte Robert Schupp. "Du hast nicht nur den ernst, sondern auch den Schalk durchblitzen lassen", freute sich die Vorjahressiegerin Leonie Reinhardt, die auch Mitglied der Jury war.

Tim Rether (Sachsen) erprobte schon mal die Größe es Studios: Sein Brüllen einzelner Sätze (gemäß Vorlage) klang mächtig, Dialoge kamen schneidend, abfertigend, wie ein Dompteur ließ er die Stimmen seiner Protagonsten aufeinander stoßen – es war mehr eine szenische Lesung – "sehr plastisch, fast möchte man sagen: Buch weg, lass uns hier den Dialog weiter spielen". Als überlegener Erzähler, der präzise satirische Spitzen setzte, präsentierte sich Kai-Niklas Holzhausen (Sachsen-Anhalt) und sich – wohltuend – nicht hetzen ließ, sondern die dem Text angemessene Zeit nahm. "Du hast stellvertretend für uns einen Albtraum durchlebt", staunte Juror Schupp.

Keine leichte Entscheidung war für die Jury die Wahl des Gewinners: Schließlich entschied sie sich für den 11-Jährigen Matthias Stelzle vom Gymnasium Bersenbrück in Bersenbrück.

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Der Jury beim Finale des Vorlesewettbewerbs 2015/16 gehörten an: Singa Gätgens (KiKA-Moderatorin und Schauspielerin), Stefan Gemmel (Kinder- und Jugendbuchautor und Lese-Weltrekordler), Leonie Reinhardt (Vorjahressiegerin), Angelika Schaack (Hörbuch-Verlegerin) und Robert Schupp (Schauspieler).

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, überreichte gemeinsam mit der Jury die Urkunden an die 16 Finalisten. "Nicht nur beim Fußball geht es derzeit um Spitzenleistungen: Die Begeisterung und die Darbietungen der vorlesenden Schülerinnen und Schüler waren mitreißend. Anders als auf dem Spielfeld gibt es beim Lesen nur Gewinner: Buchleser haben Grips, Weitblick und Fantasie. Diese Erfahrung möchten wir Kindern über unsere Initiative von Anfang an mitgeben", sagte Riethmüller.

Alle Finalisten erhalten ein Medienpaket mit Büchern und Hörbuch. Der Bundessieger gewinnt zusätzlich den Wanderpokal, eine Medaille, eine Lesung mit einem Jugendbuchautor an seiner Schule sowie ein Jahresabo des Nachrichten-Magazins "Dein SPIEGEL" und einen BücherScheck im Wert von 50 Euro. Er wird zudem eingeladen, als Jurymitglied am Finale des nächsten Vorlesewettbewerbs teilzunehmen. Die Bibliothek der Schule des Bundessiegers erhält zusätzlich eine Auswahl von circa 40 aktuellen Kinder- und Jugendbüchern, darunter auch die Titel, aus denen die Landessieger beim Bundesfinale vorgelesen haben.

Die 16 Teilnehmer des Finales in Berlin waren:

  • Josephine Banik, Leichlingen (Nordrhein-Westfalen)
  • Alexandra Barth, Rostock (Mecklenburg-Vorpommern)
  • Ole Brüntrup, Bremen
  • Luis Hanke, Gudensberg (Hessen)
  • Kai-Niklas Holzhausen, Wittenberg (Sachsen-Anhalt)
  • Samantha Jaschik, Hinterschmiding (Bayern)
  • Meri Ketelhut, Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg)
  • Ann-Sophie Meier, Tangstedt (Schleswig-Holstein)
  • Ronja Meinhardt, Meuselwitz (Thüringen)
  • Matilda Leni Ontrop, Berlin
  • Max Reich, Koblenz (Rheinland-Pfalz)
  • Tim Rether, Leipzig (Sachsen)
  • Hannah Schleicher, Kleinmachnow (Brandenburg)
  • Tarah Stabe, Hamburg
  • Matthias Stelzle, Bersenbrück (Niedersachsen)
  • Matteo Vontz, Losheim am See (Saarland)

Der rbb hat das Finale aufgezeichnet und produziert eine Sendung für den KiKA. Diese wird am 8. Oktober um 17.45 Uhr ausgestrahlt.