Christian Schumacher-Gebler im Interview

"Größe wird wichtiger"

12. Februar 2015
von Börsenblatt
Über das Glück der Bestseller, die Chancen des Büchermachens in Berlin, den Ärger mit Amazon – und die Hoffnung auf eine Kartellrechtsreform: Christian Schumacher-Gebler, Chef der deutschen Bonnier-Verlage, im Gespräch mit Torsten Casimir.
Bestsellermachen war 2014 für alle nicht so einfach. Wertet man die Buchcharts des Jahrgangs aus, dann scheint Bonnier noch stärker unter Druck zu stehen als Holtzbrinck und Random House.Betrachtet man die reine Punktzahl der drei genannten Gruppen, so mag dieser Eindruck entstehen. Der Vergleich dieser Verlagsgruppen hinkt jedoch gewaltig. Bonnier nimmt mit nur zwei Verlagen, nämlich Piper und Ullstein, und somit nur mit der Hälfte des Gruppenumsatzes an dem Wettbewerb um Bestsellerpunkte in den Kategorien Belletristik und Sachbuch teil. Weder Carlsen noch Ars Edition und auch nicht Thienemann-Esslinger spielen hier eine Rolle, denn die Punkte im Kinder-, Jugend- und Bilderbuch fließen nicht in die Konzernwertung ein. Holtzbrinck und Random House dagegen sind mit einer Vielzahl an Belletristik- und Sachbuchverlagen aktiv.

Und nicht auf Konzern-, sondern auf Verlagsebene betrachtet? Da war 2014 ein durchaus erfolgreiches Jahr für Bonnier. Wir haben zweistellig im Umsatz zugelegt und freuen uns über Giulia Enders' Bestseller »Darm mit Charme« aus dem Hause Ullstein, der sowohl im Umsatz- als auch im Absatzranking kategorieübergreifend Platz 1 des Gesamtjahres belegt. Auch Piper ist mit Hape Kerkelings »Der Junge muss an die frische Luft« auf Platz 4 hervorragend vertreten.

Piper hat es derzeit deutlich schwerer als Ullstein. Ist das so? Piper lag im Jahresranking der Bestsellerpunkte unwesentlich hinter Ullstein, aber was sagt das schon? Im Umsatz sind die Verlage gleichauf. Piper hatte 2014 ein sehr gutes Jahr und profitierte dabei stark von Hape Kerkelings Bestseller. Ullstein hatte »Darm mit Charme«. Ich finde, das hält sich die Waage.

Als der Verleger Klaus Humann Aladin gründete, verband er das mit dem Anspruch, nur Bücher zu bringen, die ihm Spaß machen. Ist Ihnen so ein hedonistischer Ansatz sympathisch? Ja, sehr sympathisch sogar. Und programmatisch ist Aladin eine Freude. Auf die Bücher, die dort gemacht werden, können wir stolz sein. Abgesehen davon schließt sich das »Spaßmachen« und viele Leser für diese Bücher zu gewinnen, somit wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ja nicht aus.

Das gilt auch für den Berlin Verlag: ein Haus, ein Verleger, vier Programmleiter, mehrere Lektoren – jedoch auf den Bestsellerlisten 2014 unsichtbar. Der Berlin Verlag ist in der Tat im vergangenen Jahr nicht durch Bestseller aufgefallen. Aber Achtungserfolge waren zu beobachten. Es gab viele Wechsel im Personal. Jetzt ist ein völlig neues Team am Start. Wir glauben ganz fest an diese neue Mannschaft und an ihren innovativen und inspirierenden Verleger Georg Oswald. Er geht die Sache mit großer Offenheit und neuen Ideen an. Zudem ist der Berlin Verlag in einer hervorragenden Ausgangssitua­tion. In der Hauptstadt kann er sich als freier und eigenständiger Verlag profilieren, zugleich aber auf die Finanzkraft Bonniers zurückgreifen, um auch bei großen Titeln mitzubieten.

Wie viel Zeit bekommen die Berliner? Als Bonnier 2004 die Ullstein Buchverlage erwarb, fragten viele skeptisch, wie man Ullstein wieder erfolgreich machen wolle. Mit viel harter Arbeit, aber auch mit viel Geduld ist es gelungen. Der Platz 1 im Jahresverlagsranking 2012 dokumentiert diese stetige Entwicklung. Bei Bonnier denken wir langfristig und nicht in Quartalszahlen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in 2015 und 2016 die ersten Erfolge der neuen Mannschaft des Berlin Verlags sehen werden.

Thienemann und Esslinger gehen nun seit einem Jahr zusammen. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus? Es läuft deutlich besser, als wir das im ersten Jahr erwartet hatten. Diese beiden etablierten Kinderbuchmarken zusammenzuspannen hat wunderbar funktioniert! In den letzten Jahren haben beide Verlage oftmals hart um die schwarze Null gerungen und teilweise Verluste geschrieben. Nun wurde erstmals wieder ein deutlich sichtbares positives Ergebnis erwirtschaftet. Dass das schon im ersten Jahr des Joint-Ventures gelungen ist, freut mich sehr. Und ich bin den Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart und dem neuen Management für diesen Kraftakt sehr dankbar.

Ihr größter Kinderbuchverlag Carlsen hat ein Riesenprojekt gestemmt: das Multimedia-Konzept LeYo! Komplett auf eigene Faust? Oder hilft die Konzern-Holding? Das hat Carlsen ganz allein bewerkstelligt. Wir haben ja sechs unabhängige Verlage in Deutschland, die völlig frei und eigenständig agieren. Als Holding versuchen wir nur, im Sinne einer zentralen Dienstleistung, Synergien anzubieten, die die Verlage nutzen können. Damit profitieren unsere Verlage an manchen Stellen von der Gesamtgröße. Aber in ihrer programmatischen Gestaltung und auch in allen sonstigen kreativen und strategischen Fragen lassen wir den Verlagen freie Hand. Dazu gehören auch neue Ideen an der Schnittstelle zwischen digitaler Innovation und klassischem Printgeschäft. LeYo! ist dafür ein tolles Beispiel.

Wie profitieren die Schwesterverlage von Carlsens LeYo!-Initiative? Eine Vernetzung findet natürlich auch im digitalen Bereich statt, und so haben Ars Edition und Thienemann-Esslinger von Anfang an mitbekommen, was die Kollegen in Hamburg machen. Beide Verlage haben längst begonnen, eigene Produkte für LeYo! zu publizieren. Innovation kann man nicht aus der Holding anordnen. Auf Holding-Ebene kann ich versuchen, einen Rahmen zu schaffen, in dem gute Ideen schnell zwischen den Häusern kommuniziert werden.

LeYo! ist auch ein Risiko, eine große Investition. Wie läuft es denn an? Man braucht einen langen Atem. Die Idee ist gut vom Handel aufgenommen und mitgetragen worden. Dafür sind wir dankbar. Aber das Produkt ist erklärungsbedürftig. Der »Spiegel« hat uns in einer Umfrage bescheinigt, dass Kinder gern mit LeYo! die Welt entdecken. Wenn sich das bestätigt, hat Carlsen alles richtig gemacht.

Gibt es bei Bonnier auch den Fall, dass Innovationsprojekte durch die Holding angestoßen werden? Ja. Wir hatten im Jahr 2013 unsere Kollegen in allen Häusern gebeten, an einem Digital-Innovationswettbewerb teilzunehmen: Wir haben 126 Ideen aus den Häusern zurückbekommen, wohlgemerkt aus allen Bereichen, und waren überwältigt von dieser Fülle an Kreativität und Ideenreichtum. Mit solchen Initiativen versuchen wir alle Mitarbeiter für die digitalen Möglichkeiten zu begeistern.

Was halten Sie von E-Book-Flatrates? Da legen Sie bei all meiner digitalen Euphorie den Finger in die Wunde. Ich nehme an, Sie wollen wissen, ob wir bei Kindle Unlimited teilnehmen werden. Nein, das planen wir aktuell nicht. Ich konnte aber weder in den USA noch hier in Deutschland erkennen, dass einer der anderen großen Marktteilnehmer dieses Modell mit Titeln unterstützt. Ich vermute, dort gibt es ähnliche Bedenken wie in unseren Verlagen.

Welche Bedenken sind das? Unsere große Sorge besteht darin, dass wir bei dem »All you can read« zu einem niedrigen Pauschalpreis von nur 9,99 Euro pro Monat am Ende des Tages unser Verlagsgeschäft, jedenfalls mit der Sorgfalt und Professionalität, wie wir es derzeit betreiben, und auch mit einer angemessenen Honorierung unserer Autoren, nicht mehr refinanzieren könnten. Qualität hat ihren Preis. Auch im Verlagsgeschäft. In diesem Zusammenhang fand ich einen Artikel in »Publishers Weekly« sehr interessant. Dort war zu lesen, dass mittlerweile auch Selfpublishing-Autoren, die bisher bei Amazon ihre Bücher auf Stückerlösbasis verkauft haben, beunruhigt darüber diskutierten, wie signifikant die Erlöse im Abo-Modell bei Kindle Unlimited zurückgegangen waren.

Bonnier Publishing in England strebt eine Umsatzverdoppelung von 50 Millionen auf 100 Millionen Pfund bis 2016 an. Haben Sie konkrete Wachstumsziele? Ich glaube allgemein, dass Größe wichtiger wird. In Deutschland und in vielen anderen Ländern ist zu beobachten, dass große Verlagsgruppen auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Und ich glaube, es gibt da einen Zusammenhang. Jedenfalls hat Größe den gewissen Charme, mit den international agierenden Giganten des Onlinehandels halbwegs auf Augenhöhe verhandeln zu können. Für Bonnier kann ich nur sagen: Wir sind offen für Wachstum und offen für Kooperatio­nen. Aber unsere strategische Überzeugung, innerhalb des Gruppenverbunds kleine und wendige Einheiten zu haben, wollen wir dabei nicht aufgeben. Mit der aktuellen Struktur bieten wir ideale Möglichkeiten, weitere Partner anzubinden, ohne dass diese ihre Identität aufgeben müssten.

Stichwort Augenhöhe mit Giganten: Da hatten Sie ja 2014 ein besonderes Erlebnis. Wie sieht Ihr Verhandlungsergebnis mit Amazon konkret aus? Das darf ich nicht sagen. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit dem, was wir da abgeschlossen haben.

Dürfen Sie bestätigen, dass es ein Mehrjahresvertrag bis 2017 ist? Nein, darf ich nicht.

Sind denn die Autoren auch zufrieden? Ich glaube, ja. Natürlich war es am Ende ein Kompromiss, aber einer, der es uns ermöglicht, weiterhin seriös unserem Auftrag im Sinne der Autoren gerecht zu werden. Wir haben für dieses Ergebnis fast zehn Monate mit Amazon gerungen – auch mit der Erfahrung, dass das für beide Seiten anstrengend ist. Wir wollten ein Ergebnis erzielen, mit dem wir langfristig leben können. Wenn man langfristig denkt, und Bonnier ist seit 200 Jahren als Verlag aktiv, muss man auch mal sagen: Bis hierher und nicht weiter! Und zur Not dann mit den Konsequenzen leben.

Haben die Verhandlungen mit Amazon Ihrem wirtschaftlichen Ergebnis 2014 geschadet? Wir hätten den Sommer gern vermieden. Aber wir hatten ein sehr gutes Jahr mit zweistelligem Umsatzwachstum gegenüber 2013. Dabei würde ich es gern belassen. (lacht dabei)

Irgendwann, heißt es, habe sich dann Jeff Bezos persönlich für die Verhandlungen interessiert. Hat er das? Mag sein, dass das so gewesen ist. (lacht erneut)

Sie kennen ihn also jetzt? Indirekt. Es wäre spannend gewesen, die Argumente mit ihm persönlich auszutauschen, aber diese Gelegenheit hat sich nicht ergeben.

Tauschen Sie sich unter den großen Verlagshäusern über solche Erfahrungen mit Amazon aus?
Nein, natürlich nicht. Das Kartellrecht in seiner jetzigen Form verbietet jeglichen Austausch zwischen den Verlagen. Das ist angesichts der Machtverhältnisse eine unglückliche Situation. Ich habe allerdings vernommen, dass die Politik im engen Kontakt zum Kartellamt steht und eine Reformation des Kartellrechts in Erwägung gezogen wird. Das Kartellrecht stammt aus dem Industriezeit-alter und passt einfach nicht mehr in unser Zeitalter des globalisierenden, monopolistischen Onlinehandels.

Zuerst veröffentlicht in Börsenblatt 7/2015.